ATLANTEAN KODEX - The Golden Bough
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2010
Mehr über Atlantean Kodex
- Genre:
- Epic Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Cruz Del Sur (ALIVE)
- Release:
- 01.10.2010
- Fountain Of Nepenthe
- Pilgrim
- The White Goddess
- Temple Of Katholic Magick
- Disciples Of The Iron Crown
- Vesperal Hymn
- The Atlantean Kodex
- A Prophet In The Forest
- The Golden Bough
Ein Album voller ehrlicher Überzeugungskraft, das dereinst mit Sicherheit als zeitloses Werk gelten wird.
Wo die Zeit flieht und die Schwemme der Neuheiten uns die Muße zum Hören nimmt, da sehnen wir uns nach einem musikalischen Moment des Verharrens, nach Alben, die uns beim ersten Hören befehlen, uns in sie zu versenken, sie aufzusaugen, sie zu ergründen. Es sind die Alben, die uns in der Zeit des Überflusses und der Oberflächlichkeit aus dem schnöden Muster des Hineinhörens, Abnickens und Abhakens herausreißen, weil sie mehr zu sagen haben als die redlichen Arbeiter im Weinberg des Herrn mit all ihrem soliden Tagwerk. Sie singen das Lied der Hingabe an den Klang, den Ausdruck, die Seele des Heavy Metals, und diese Band aus der Oberpfalz versteht es, diese Hymne anzustimmen, ohne sich flacher Klischees, stumpfer Platitüden oder altbekannter Erfolgskonzepte zu bedienen.
So werden auch all die oft gehörten Vergleiche mit den epischen Scheiben von BATHORY, den alten Alben von MANOWAR oder den britischen Doomikonen von SOLSTICE - so zutreffend sie stilistisch auch sein mögen - dem Phänomen ATLANTEAN KODEX nicht gerecht. Ja, oftmals singt die Gitarre ihr entrückt durch den Nebel hallendes Lied, als schwebe Quorthons Geist über der Scheibe. An anderer Stelle türmen sich mächtige Riffs und Soli auf, welche Rock und Epik in einer Weise vereinen, die Ross The Boss beseelt haben könnte, und in einigen Passagen sind auf feinfühlige Weise keltische Melodielinien in walzende Doomriffs eingewoben, welche Britanniens Doomhelden das Wasser reichen können. Dennoch habe ich mir lange überlegt, ob ich auf diese Vergleiche in vorliegender Besprechung überhaupt eingehen soll. Warum? Weil man diese Band nicht einfach als "gelungene Mischung aus MANOWAR, SOLSTICE und BATHORY" beschreiben kann! So unantastbar und großartig diese Vorbilder sein mögen, so leicht wird eine Band als "uninteressante Kopie" abgestempelt, die nichts anderes tut, als solchen Vorbildern nachzueifern.
Genau an dieser Stelle geht der KODEX den entscheidenden Schritt weiter. Die Band bedient ähnliche stilistische Präferenzen, weckt ähnliche Emotionen und verneigt hier und da anerkennend das Haupt vor den musikalischen Ahnen, doch sie erstrahlt auf "The Golden Bough" im eigenen Glanz, erhebt die eigene Stimme und sie schafft das, was all die bloßen Epigonen alter Helden nie erreichen werden: Sie präsentiert sich als eines der Originale, die in der Lage sind, beim Hörer das markerschütternde und bahnbrechende Gefühl zu erzeugen, Zeuge eines jener großen Momente zu sein, in denen uns bewusst wird, dass eben doch noch nicht alles gesagt ist, doch noch nicht alles dem Fluss der Zeit geopfert. Wir legen ein neues Album auf, spielen es ab und sind vom ersten Ton an gebannt:
Der Wind braust, die Wellen brechen am Kiel eines durch rauhe See stoßenden Bootes mit knarzenden Planken und Rudern. Eine akustische Gitarre singt ihr einsames Lied, bis mit aller Wucht die doomigen Riffs mächtigen Wogen gleich gegen die Bordwand schlagen. Sänger Markus Becker erhebt zu 'The Fountains Of Nepenthe' seine Stimme, die ungewöhnlich und emotional von einer mythischen Landnahme in längst vergangenen Zeiten kündet. In warmem Klanggewand und schwebender Atmosphäre klingen die Instrumente natürlich und lebendig, die Stimme leidenschaftlich und das musikalische Schaffen fest mit der erzählten Geschichte verwoben. Dass der Opener zehn Minuten dauert, das merkt man gar nicht, so spannend ist die Dramaturgie, so straff der Griff, mit dem uns die Band durch ihr Werk führt. Ganz ohne verkopfte Strukturen und ohne schnöde Selbstgefälligkeiten, aber auch ohne stumpfe Perseveration, schafft es das Quintett, die Aufmerksamkeit auch in Stücken mit epischer Breite aufrecht zu erhalten.
Das noch ausladendere 'Pilgrim' lässt uns mit mächtigen Doom-Riffs erstarren, die jedoch nicht dunkel und zermalmend, sondern vielmehr bei aller Elegie erhellend und positiv sind. Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen - der alte Faust schießt mir durch den Kopf, denn so fühlt sich das Stück für mich an; erhaben und erhebend - nach langem Streben und Suchen ragt der Kopf aus den Wolken und sieht das Licht! Die weiße Göttin? Vielleicht, jedenfalls schließt sich das so betitelte kurze Instrumental an und öffnet die Pforten für das dunkel und sakral ausgerichtete und mit unglaublich wuchtigen Riffs eingeleitete 'Temple Of Katholic Magick', dessen Urgewalt im Basssound mich an die Griechen von NECROMANTIA erinnert, ohne die Bands stilistisch auch nur ansatzweise vergleichen zu wollen.
Dass die Band sich nicht nur ausladend und episch präsentieren kann, das beweist sie mit dem relativ kurzen und flotten, galoppierenden 'Disciples Of The Iron Crown', dessen sehr eingängiger und höchst melodischer Refrain mich komplett umhaut! 'Vesperal Hymn' setzt dem mit der wirklich grandios gesungenen Einleitung noch eins drauf. Hier muss ich an einige der ganz großen Momente eines David Byron denken, und neben URIAH HEEP auch an JETHRO TULL. Ein gigantischer Spannungsaufbau verbindet balladesk-folkloristischen Songwriter-Stil mit monumental in den Sessel drückender Heavy-Metal-Epik und ruhigen, atmosphärischen Passagen, durch die einsam eine akustische Gitarre und ein verspieltes Solo ihr ergreifendes Lied singen.
Wir kommen zur wieder deutlich schnelleren und dynamischen Bandhymne, die mit ihren grandiosen Leads und dem niemals wieder aus dem Ohr gehenden Refrain locker das Zeug dazu hat, zukünftigen Generationen episch orientierter Metaller eine würdige Hymne zu sein, wie wir alten Herren sie in 'Secret Of Steel' oder 'Under The Runes' haben. Die folgende Viertelstunde nimmt 'A Prophet In The Forest' in Anspruch, und auch hier könnt ihr wieder versichert sein, dass sie nicht langweilig wird. Folklore (nein, kein Folk Metal!), Doom und Epik ergeben einen mächtigen Song, der den Protagonisten auf dem Hügel an der Grenze seiner Heimat mit dem Blick in die Fremde zeigt, bevor diese großartige Scheibe ruhig und besinnlich mit dem kurzen Titelstück endet, das aus herrlichen Akustikarrangements, Wasserrauschen und einem von Elaine Harrington gesprochenen Gedicht besteht.
"The Golden Bough" ist letztlich weit mehr, als nur ein Album, das seine Klientel bedienen und von einer elitären Clique zum Kult erhoben werden sollte, denn das tun viele Bands mit so genannten Retro-Alben. "The Golden Bough" ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie ergreifend und wie ungekünstelt Heavy Metal auch im vierzigsten Jahre seines Bestehens noch sein kann. Ein Album, das ohne Klischees und ohne dick aufgetragene Standard-Attribute ganz tief ergreifen kann, wenn man es lässt. Dafür sendet der Schwabe seinen Dank in die Oberpfalz!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle