BENT KNEE - Say So
Mehr über Bent Knee
- Genre:
- Avantgarde / Progressive Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Cuneiform Records
- Release:
- 20.05.2016
- Black Tar Water
- Leak Water
- Counselor
- EVE
- Interlude
- The Things You Love
- Nakami
- Commercial
- Hands Up
- Good Girl
Eine weitere Neu-Definition progressiver Musik!
Warum tut man das? Warum hört man sich ein Album immer und immer wieder an, taucht so tief in die Musik ein, dass man sogar von ihr träumt? Bei "Shiny Eyed Babies", BENT KNEEs Vorgänger zu "Say So" ist die Antwort schlicht, kurz und bündig. Es gibt für mich keine bessere Musik. Wer wissen will, warum, liest sich den dazugehörigen Wasserfall an Worten durch.
Auch "Say So" hat diesen süchtig machenden Effekt, aber bislang ist die Ursache dafür noch eine andere. Ich möchte dieses Album endlich zur Gänze verstehen. Es sind dieselben Gehirne und Hände und Stimmen, die "Shiny Eyed Babies" gebaut haben, aber sie bauen "Say So" auf schwer zu erklärende Weise mit ganz anderem Zauberblut zusammen als ihren Vorgänger. Und das irritiert, vor allem beim Erstkontakt.
Doch der Fan, und das ist vielleicht das Fesselnde, wird erstmal ganz vorsichtig an das Neue heran geführt. Denn mit den beiden Wasser-Liedern ('Black Tar Water' und 'Leak Water') macht die Bostoner College-Band um Sängerin Courtney Swain scheinbar genau da weiter, wo sie auf "Shiny Eyed Babies" aufgehört hat. Genre-befreite intelligent arrangierte Rock- und Pop-Musik mit einer der prägnantesten Frauenstimmen der Welt. Musik, deren Anhören so tief befriedigt, dass man nicht satt werden kann von ihr. Allein 'Leak Water', das bei aller Verkünstelung noch unverschämt eingängig ist, ist also den Kauf des Albums wert.
Danach geht die Band aber auf zu neuen Pfaden: 'Counselour' ist ein Song, der mich anfangs wahnsinnig gemacht hat. BENT KNEE springt hier so abrupt von einer Stimmung zur anderen, von laut nach leise, von fröhlich zu aggressiv, von intim zum Bombast, dass man als Hörer erstmal perplex ist. Ein einsames Mädchen rauft sich mit einer Horde "bad boys", sehnt sich dabei aber nur danach, geküsst zu werden. Sie würde alles dafür tun, doch die Jungs tun ihr weh. Eine typische BENT KNEE-Geschichte also, und es ist absolut phänomenal, wie BENT KNEE das Gute und das Schlechte wieder so nah aneinander zu stellen vermag. Hier sind es nur Wimpernschläge, mit denen sich die Musik dramatisch verändern kann, und nach etlichen Durchläufen und dem Wissen über die Ton-Abfolgen gehen mir auch hier wieder einzelne Passagen so dermaßen unter die Haut, wie nur BENT KNEE bei mir zu bewirken vermag.
Dann kommt allerdings der Neunminüter 'EVE' und lieber Leser, lieber Fan, liebe Band, hier komm ich leider noch nicht vollständig durch. Das ist ein wahrhafter Avantgarde-Rock-Brocken mit allen Vorzügen und Schwierigkeiten, die solche Musik für den Hörer bereit halten kann. Nicht nur Courneys Stimme, der ganze Song kollabiert immer wieder im Lärm-Desaster, allerdings immer auch nur kurz. Er wehrt sich, baut sich wieder auf und verblüfft mit den seltsamsten Melodien und Violinen-Arrangements der Bandgeschichte. Lyrisch geht es wohl hier um eines der dunklen Geheimnisse, das sich in so manch einem Keller eines als unbescholten geltenden Bürgers so befinden kann. Um Liebe in ihrer kränksten Form. Brrr. Es folgt ein unheimlich schräges Helge-Schneider-Gedächtnis-Gitarrensolo, der in einen weiteren choralen Bombast-Avantgarde-Track mündet.
Hier wählt man eher den Weg der langsamen Steigerung, kommt gegen Ende aber wieder in Gefilde, die man eher von SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM erwartet hätte. Hierzu zählt auch das völlig überdrehte 'Commercial'. Doch auch wenn das sehr anstrengend klingt - und auch ist - in jedem Song sind phänomenal tolle Passagen drin, die mich immer und immer wieder zum Wiederhören zwingen. Ganz und gar nicht zwingen muss ich mich allerdings zu dem Tränendrüsen-Song 'Nakami'. Ähnlich wie 'I’m Still Here' vom Vorgänger geht BENT KNEE auch hier wieder an die emotionale Grenze. Dieser Song ist einer der wenigen, der konsequent auf Courtney Swains Stimme zugeschnitten wurde. Hier darf sie sogar ihre japanischen Wurzeln zeigen und singt am Ende auch in ihrer Sprache. Der Song zeigt, welch Strahlkraft ihre Stimme hat, wie sie den Hörer förmlich durchleuchtet und jede Zelle zum glühen bringen kann. Wasser in den Augen entsteht zum Feuer löschen. Besser geht es einfach nicht.
Dasselbe gilt für 'Hands Up', der meines Erachtens am besten auf den Punkt bringt, warum es bei den "neuen" BENT KNEE geht. In Sekundenschnelle kann die lasziv-umgarnende Psychedelia mit Courtney-Zauber in einen famosen Pop-Song münden, zu dem man auch seine morgendlichen Pushup-Übungen machen kann. Diese Band ist einfach einzigartig. Meine Musikwelt re-definiert sie also einmal mehr. Am Schluss musizieren Courtneys Kniebeugen sogar wie eine andere Dame, die ich immer noch nicht ganz für die Musikwelt verloren sehen. Ich finde, 'Good Girl', nur von gespenstisch-psychedelischer Gitarre und Swains Stimme getragen, könnte auch auf "A Hand Full Of Hurricanes" oder "Unholy Majesty" von ROSE KEMP stehen. Höher kann ich den Song also nicht loben.
So wiederhole ich mich am Schluß gerne: BENT KNEE ist das Beste, Schärfste und Innovativste, was die Rockwelt in den letzten Jahren ausgespuckt hat. Es wird höchste Eisenbahn, dass die Leute von der Band erfahren, und was ist hierfür besser als die Live-Präsenz? Für die Burg Herzberg sind sie bestätigt und wir erwarten noch mehr Europa-Terime. Ausschau halten ist also angesagt.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Thomas Becker