BLIND GUARDIAN - Beyond The Red Mirror
Mehr über Blind Guardian
- Genre:
- Fantasy Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Nuclear Blast
- Release:
- 30.01.2015
- The Ninth Wave
- Twilight Of The Gods
- At The Edge Of Time
- Prophecies
- Ashes Of Eternity
- Distant Memories
- The Holy Grail
- The Throne
- Sacred Mind
- Miracle Machine
- Grand Parade
Dick aufgetragen, mein lieber Herr Gesangsverein.
Wir blicken zurück in das Jahr 1995. Im kreativen Köpfchen eines knapp 30 jährigen Krefelders namens Hansi Kürsch führte ein kleiner, unglücklicher Junge ein isoliertes Dasein. Durch einen Spiegel, der zum damaligen Zeitpunkt das Portal zwischen zwei unterschiedlichen Welten darstellte, konnte er seine einstige Welt verlassen, um seine Rolle in der anderen anzunehmen. Doch er hatte Angst, verharrte in seiner derzeitigen Sphäre und die beiden Welten wurden durch diese Entscheidung voneinander getrennt. In den Songs 'Imaginations From The Other Side', 'Bright Eyes' und 'And The Story Ends' wurde diese fiktive Geschichte thematisiert und verhalf samt Musik eben jenem Krefelder mit seinen Freunden zu einem bahnbrechenden, fünften Album: "Imaginations From The Other Side" sorgte vor 20 Jahren für euphorische Freudentänze nicht nur bei Fans, sondern bei allen Anhängern des Power Metals mit saftigem Fantasy-Einschlag. Abwechslungsreich, spannend, druck- und kraftvoll, BLIND GUARDIAN schuf sich unter anderem mit diesem Album ein musikalisches Denkmal.
Viele Jahre später stand die Best-Of-Scheibe "Memories Of A Time To Come" an und hiermit die beste Gelegenheit für eben jene Band, in alten Erinnerungen zu wühlen. Und wie es der Zufall so wollte, schwebte Herrn Kürsch die Geschichte von damals im Kopf herum: Was wäre, wenn parallel zu mir auch der fiktive Junge altern würde? Wenn dieser seine damalige Entscheidung nun bereut? Wenn dieser Spiegel noch exisieren würde und die Chance noch nicht vertan wäre? Und so kommt es, wie es kommen musste: Das Konzept des neuen Album "Beyond The Red Mirror" ist geschaffen. Der kleine Junge begibt sich noch einmal auf die Suche nach dem Spiegel und BLIND GUARDIAN begleitet ihn musikalisch auf seiner Reise.
Konzeptionell sei an dieser Stelle nichts vorweg genommen, aber musikalisch hat sich einiges bei den Herrschaften getan. Dass BLIND GUARDIAN in den vergangenen Jahren etwas auffälliger und konsequenter in die bombastisch-orchestrale Richtung ging, ist klar. Und wer denkt, dass die Jungs aufgrund der Fortsetzung eines alten Konzepts auch musikalisch "back to the roots" gehen würde, liegt auch nicht ganz falsch. Reihte sich einerseits damals ein Ohrwurm an den nächsten, gibt es auch auf "Beyond The Red Mirror" viele Passagen und Momente, die hängen bleiben, die faszinieren und den Power Metal von einst am ehesten wiederspiegeln. Andererseits war BLIND GUARDIAN nie progressiver und komplexer, pompöser und symphonischer als jetzt. Zwei 90-Mann-Orchester und drei Chöre sprechen eine eindeutige Sprache. Sie sorgen zwar für den wohl orchestralsten Anstrich der Band-Karriere, jedoch auch dafür, dass das powermetallische Grundgerüst atmosphärisch und hochinteressant untermalt wird.
Nun, "Beyond The Red Mirror" ist kein allzu zugängliches Album, es braucht seine Zeit und wird nicht nach nur vier, fünf Durchgängen zünden. Doch es versprüht eine gewisse Magie, eine fein ausgeklügelte Symbiose aus Nostalgie und modernem Bombast, ohne dabei ins Lächerliche zu driften. 'The Ninth Wave' zu Beginn und 'Grand Parade' als Abschluss bilden dabei das orchestrale Fundament, auf dem sich “Beyond The Red Mirror“ ausbreitet. Richtig, BLIND GUARDIAN trägt dick auf und geht noch ein, zwei Schritte weiter als üblich. Doch will man als jahrelanger Fan doch schließlich auch, dass die Lieblingsband neue Sphären und bislang unbekannte Dimensionen auskundschaftet. Die Weiterentwicklung der einstigen Fantasy-Fans zu hochanspruchsvollen und gestandenen Musikern, die aus ihrem eigenen Sound das bestmögliche herausholen, bleibt nunmal nicht aus. Und so klingen auch 'Twilight Of The Gods', das doch zugänglichere 'Prophecies', das verträumte Drama 'At The Edge Of Time', sowie das recht harte 'Ashes Of Eternity' zwar nach den guten, alten “blinden Gardinen“, haben jedoch einen solch hohen Entwicklungsgrad, dass dem Hörer vor Spannung und Dramaturgie schwindelig werden kann. Den einen wird es definitiv gefallen, die anderen werden wie zuvor auch weiterhin zum Material der 1990er Jahre zurückgreifen.
Doch im Endeffekt ist "Beyond The Red Mirror" exakt jenes Ziel, auf das die Band mit "A Twist In The Myth", "At The Edge Of Time" und auch schon "A Night At The Opera" hingearbeitet hat. Davon bilden auch folgend das forschere 'The Holy Grail', 'The Throne' mit all seiner Epik und Theatralik, sowie die ein wenig an QUEEN erinnernde Pianoballade 'Miracle Machine' keine Ausnahme, sind sie doch Teil des Ganzen, das die Hörerschaft nach dem Finale nur schwer wieder loslässt.
BLIND GUARDIAN hat es also wieder einmal geschafft und dem bisher Erreichten noch einmal die orchestrale Krone aufgesetzt. Wie angedeutet, braucht "Beyond The Red Mirror" Zeit und Geduld zur freien Entfaltung, wird hier und dort auch auf Zweifel stoßen. Doch einig dürfte man sich bezüglich der Weiterentwicklung des bandeigenen Sounds sein. Das musikalische Fass schwappt vor pompösen Soundarrangements, spannungsgeladener Epik und progressiven Textstrukturen nur so über, doch noch kann BLIND GUARDIAN dieses Fässchen stemmen. Ich frage mich nur, in welche Richtung die Band zukünftig gehen möchte. Ein noch dicker aufgetragenes Album kann ich mir persönlich nur schwer vorstellen. Doch wer weiß - die einstigen Fantasy-Jungs von nebenan waren bisher schon für viele Überraschungen gut.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Marcel Rapp