BLUT AUS NORD - 777 Sect(s)
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2011
Mehr über Blut Aus Nord
- Genre:
- Industrial Black Metal
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Debemur Morti / Soulfood
- Release:
- 22.04.2011
- Epitome 1
- Epitome 2
- Epitome 3
- Epitome 4
- Epitome 5
- Epitome 6
Willkommen in H.R. Gigers Albträumen.
BLUT AUS NORD sind mittlerweile eine äußerst geschäftige Truppe, die zunehmend häufiger Alben veröffentlicht, die zudem allesamt verschiedene stilistische Facetten offenbaren. Gab es mit dem 2009er Werk "Memoria Vetusta II" eine Rückkehr zu den eher melodischen, erhabenen Frühtagen, war die 2010er "What Once Was" eher ein undurchdringliches Dickicht von doomigen Riffs und schroffen Kanten.
Doch für "777 - Sect(s)" kündigte Bandleader Vinsdval eine Rückkehr zum ersten großen Durchbruch der Band an, dem industriallastigen Epos "The Work Which Transforms God", welches bis heute von nicht wenigen Fans als der bisherige Höhepunkt der Band angesehen wird. Im Gegensatz zu jenem Album macht aber "777 - Sect(s)" von Anfang an keine Gefangenen und überrumpelt ab der ersten Sekunde den unbedarften Hörer mit den bandtypischen Disharmonien und einer generell sehr atonalen Atmosphäre. Was anfangs nach eher typischem Black Metal der Marke klassische DARKTHRONE klingt, macht jedoch alsbald Platz für BLUT AUS NORDs größte Stärken: In schwerem Midtempo-Groove und mit einem majestätischen Wechselspiel aus verträumten Harmonien und grantigen Disharmonien zaubert die Band schon auf 'Epitome 1' ein gewaltiges Bollwerk geformt aus den biomechanischen Albträumen eines H.R. Giger. Folgt man nun den spiralförmig abwärts fahrenden Gitarrenklängen hinab in den chromglänzenden Kaninchenbau, erwartet einen gegen Ende eine schwarzmetallbefreite Zone aus purem Industrial mit Synthiebeats der Marke THROBBING GRISTLE als kleines Schmankerl. Diese wiederum bleiben nicht der einzige Einfluss aus dem Bereich des guten alten Industrial.
Die Rachegöttin Discordia erscheint in Gestalt des Maschinenmädchens aus Fritz Langs "Metropolis" und schenkt uns Zuckerbrot namens 'Epitome 2', welches nahtlos an den Rausschmeißer 'Procession of the Dead Clowns' von "The Work Which Transforms God" anknüpft und dem Hörer etwas Luft zum Atmen lässt, bevor das atonale Chaos weitergeht. Hymnisch und eher auf hypnotische Wiederholung von doomigen Riffs bedacht, findet sich trotz seiner eher schlichten Komposition hiermit das erste große Highlight des Albums. Wenn die Band zum Ende hin warme Gitarrenklänge im Stil von "Memoria Vetusta II" anstimmt, ist es um diesen Autor hier geschehen. Prachtvoll und mächtig, majestätisch und episch zugleich. Doch schon an zweiter Stelle? Eigentlich wäre das Stück perfekt am Ende des Albums gewesen...
Generell trumpft das Album mit den eher erhabenen Momenten auf. Das atonal wirbelnde Chaos der eher kurzen Nummern 'Epitome 3' und 'Epitome 5' bringt natürlich etwas nötige Abwechslung in die Chose und verzwirbelt schön die Synapsen, doch das wie eine Abrissbirne hin und her schwingende Riff der Marke GODFLESH in 'Epitome 4' wirkt da noch ergreifender. GODFLESH-Kundige werden hier häufiger solche Zitate finden, seien es diese schwer groovenden Riffs oder das mechanisch klingende Schlagzeug. Hier werden tiefdüstere Maschinenwelten aus Stahl und Rost erschaffen, eingefasst von riesigen Zahnrädern, rhythmisch begleitet von gewaltigen Kolben, angetrieben von den Seelen der Verdammten. 12 Minuten lang zieht die Band auf 'Epitome 4' alle Register ihres Könnens, entführt den Hörer, nagt unbarmherzig an seinem Verstand - und all das ohne dass es langweilig oder nicht mehr nachvollziehbar wird. Definitiv eines der besten Stücke der Band überhaupt.
An die Industrial-Opas FOETUS erinnern einige Momente in 'Epitome 6', wenn die Riffs geradezu lässig und breitbeinig groovend aus den Boxen stolzieren, bevor sie wieder den himmlischen Sphären Platz machen müssen, die sonst eher PINK FLOYD vorbehalten sind. Mit seinen verträumt-schmusenden Gitarrenläufen ist dieses sechste Epitom natürlich auch durchweg gelungen, doch hier muss ich mich wieder fragen, wieso nicht der zweite Song ans Ende gestellt wurde. Hätte immer noch besser gepasst... ja, ja, man muss ja auch mal irgendwo meckern.
Nichtsdestotrotz haben BLUT AUS NORD wieder einmal nicht enttäuscht und ein solides Werk für alle Freunde des schwer zugänglichen Industrial Black Metal geschaffen. Man präsentiert sich kürzer und homogener als beim spirituellen Vorgänger "The Work Which Transforms God", kälter, garstiger und mechanischer als auf "Memoria Vetusta II", aber auch eingängiger und melodischer als auf "What Once Was... Liber I". Die Riffs erinnern in ihrer unkonventionellen Art eher an das häufig übersehene Übergangswerk "Odinist". So gibt es von fast allen Schaffensphasen markante Elemente zu hören. Irgendwo dazwischen und in diesen Facetten fühlen sich Vindsval und seine Mannen ganz offensichtlich wohl und das merkt man dem selbstbewussten und auf die Essenz destillierten Songwriting an. Als Gesamtkunstwerk ist "777 - Sect(s)" eine gelungene Fusion aus avantgardistischem Black Metal und altmodischem Industrial für alle Hörer, die wenig Wert auf Mitgröhlrefrains und Faustfaktor und dafür mehr auf Atmosphäre, Struktur und Textur legen.
Anspieltipps: Epitome 4, Epitome 5, Epitome 2
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Martin Schulz