BORKNAGAR - True North
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/2019
Mehr über Borknagar
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Century Media (Sony)
- Release:
- 27.09.2019
- Thunderous
- Up North
- The Fire That Burns
- Lights
- Wild Father's Heart
- Mount Rapture
- Into The White
- Tidal
- Voices
Trotz großer Umbrüche im Bandgefüge eine der wirklich großen BORKNAGAR-Scheiben.
Drei norwegische Winter ist es her, dass BORKNAGAR mit "Winter Thrice" ein wirklich großer Wurf gelang, doch in der seither verstrichenen Zeit schien im Bandlager einiges aus den Fugen zu geraten. Mit Vintersorg verließ einer der drei Sänger nach sage und schreibe neunzehn Jahren die Bergener Truppe, und auch Gitarrist Jens F. Ryland und Drummer Baard Kolstad sind nicht mehr Teil der Band, so dass BORKNAGAR ganze drei Mitstreiter verloren hat. Da es für Vintersorg keinen Nachfolger gibt und auf einen dritten Leadsänger verzichtet wird, ist die Band zum Quintett geschrumpft, wobei am Drumhocker Bjørn Dugstad Rønnow Platz nimmt und sich Jostein Thomassen die Leadgitarre umschnallt.
In dieser neuen Konstellation entstand nun also das inzwischen elfte Studioalbum mit dem schönen Titel "True North" und dem Gipfel des Årbostadtinden auf dem Cover, als müsste die Band noch jemandem beweisen, dass sie elegisch-dramatische Nordlandepik mit der Muttermilch aufgesogen hat. Wer wegen der Veränderungen in der Besetzung nun um den in den letzten Jahren kultivierten und zur Perfektion gebrachten Stil fürchtet, der mag indes ruhig bleiben, denn von großen stilistischen Umbrüchen bleibt der treue BORKNAGAR-Fan auf ganzer Linie verschont. Bandgründer und Hauptsongwriter Øystein G. Brun hat die Zügel weiterhin fest in der Hand und seine beiden etatmäßigen Gesangswunder und langjährigen Mitstreiter Simen Hestnæs (Bass) und Lars A. Nedland (Keyboards) haben ihn kompositorisch in einer Weise unterstützt, die garantiert, dass alle lieb gewonnenen und bewunderten Markenzeichen der Band erhalten geblieben sind.
Diesen Effekt verstärkt die fabelhafte Produktion des bewährten Knöpfchenmeisters Jens Bogren, der wie schon auf Vorgängeralben "Urd" und "Winter Thrice" auch für das aktuelle Werk einen sehr klaren, herrlich differenzierten und ungewöhnlich dynamischen Sound erschaffen hat, der es BORKNAGAR einmal mehr ermöglicht alle bandeigenen Stärken auszuspielen. Die gilt für die zartfühligen akustischen Momente mit klarem Gesang ebenso, wie für die große, breitwandige Epik mit massivem Keyboardeinsatz und mächtigem mehrstimmigem, choralem Gesang und zu guter Letzt auch für die weiterhin immer wieder vorhandenen harschen Momente mit schwarzmetallischem Kreischen und intensivem Gitarrengewitter.
Was "True North" vielleicht ein kleines Stück weit von den Vorgängern abgrenzen mag, das ist ein kompositorisch etwas vielseitigerer und dabei doch direkterer Ansatz. So ist bereits der achtminütige Opener 'Thunderous' genau das, ein donnernder Einstieg von beeindruckender Dynamik, der die Extreme der Band perfekt auslotet und von cinematographischer Klanglandschaft bis zur grimmigen Raserei ein breites Feld abdeckt, das sich auch in psychedelisch-proggigen, instrumentalen Passagen mit feinem Bassspiel ergeht, die sich indes wunderbar in den Song einfügen und das Feld für herrliche Hooks im Refrain bereiten. Das folgende Fast-Titelstück 'Up North' verneigt sich in meiner Wahrnehmung sowohl in den Hammond-Abfahrten als auch bei den Gesangshooks und der flotten Dramatik ein gutes Stück weit vor den Großmeistern URIAH HEEP und setzt auf diese Weise sehr markante Dreh- und Angelpunkte, die für hohen Wiedererkennungswert sorgen.
Wo 'The Fire That Burns' dem harschen Gesang in den Strophen sehr viel Raum gibt, dann über eine klar gesungene Bridge in den mehrstimmigen Refrain übergeht und sich so als eines der dramatischsten, schnellsten und härtesten Stücke des Albums präsentiert, da geht 'Lights' den umgekehrten Weg und beginnt locker und verspielt, getragen, um sich dann streckenweise in sehr dunkle Gefilde vorzuwagen, die sich dann allerdings wieder sehr erhaben harmonisch auflösen und im weiteren Verlauf diese Extreme gekonnt miteinander kombinieren. Balladesk und elegisch präsentiert sich über weite Strecken das ruhige 'Wild Father's Heart', das einen Hauch alternativer Emotionalität, hierbei einen sehr rockigen Flow mitbringt und sich mit einem sehr markanten Refrain und einigen akustischen Instrumentalpassagen ins Gedächtnis frisst; wohingegen direkt im Anschluss 'Mount Rapture' den Härtegrad wieder deutlich nach oben schraubt und wieder schärfere Gitarrensalven und einige harsche Gesangspassagen im Gepäck hat, die dafür sorgen, dass auch der Schwarzmetaller BORKNAGAR nicht abzuschreiben braucht.
Damit bewegen wir uns mit großen Schritten auf das letzte Drittel des Albums zu, das 'Into The White' im marschierenden Midtempo eröffnet, das Black Metal und Prog in der für BORKNAGAR typischen Art kombiniert und einschmeichelnde Hooklines bereit hält, bevor es im fast zehnminütigen, stilistisch wie kompositorisch äußerst facettenreichen Longtrack 'Tidal' kulminiert, der sich weit in Epic-Metal-Gefilde vorwagt. Wenn "True North" schließlich mit dem getragenen, mal elektronisch-ambient geprägten, dann aber auch wieder sehr doomigen 'Voices' ausklingt, das von Lazare komponiert und herrlich eindringlich eingesungen wurde und somit eine gewisse Nähe zu SOLEFALD nicht verleugnen kann, dann ist klar, dass BORKNAGAR auch im neuen Bandgefüge und auf der elfen Langrille nichts von der bewährten Klasse verloren hat, und langjährige wie nachwachsende Fans wird auf ganzer Linie begeistern können. Ohne Vintersorgs großen Beitrag zum BORKNAGAR-Gesamtwerk in den vergangenen zwei Dekaden auch nur ein Stückchen weit schmälern zu wollen, muss ich sogar sagen, dass ich persönlich die Konstellation mit nur zwei Sängern fast ein wenig stringenter und songdienlicher finde. Da Lazare und - vor allem - Simen hier ganze Arbeit geleistet haben, wird "True North" verbindlich als eines der großen BORKNAGAR-Alben in die Bandgeschichte eingehen.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle