BURZUM - Fallen
Mehr über Burzum
- Genre:
- Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Byelobog / Plastic Head
- Release:
- 04.03.2011
- Fra Verdenstreet (Introduksjon)
- Jeg Faller
- Valen
- Vanvidd
- Enhver Til Sitt
- Budstikken
- Til Hel Og Tilbake Igjen (Konklusjon)
Nirgends ist die Auseinandersetzung mit Kunst faszinierender als dort, wo sie auf Graten wandelt und dem Wahn ins Auge blickt.
Als Varg Vikernes im vergangenen Jahr nach langer Haft mit dem achten BURZUM-Album "Belus" seine Rückkehr zur Musik feierte, haben wir in einem sehr ausführlichen Artikel versucht, den Zwiespalt zu erfassen, in welchen dieser Mann und sein Werk viele Anhänger und Interessierte stürzen. Wir sind uns klar darüber, dass diese Diskussion niemals enden wird. Wir haben zur Kontroverse alles gesagt, was wir dazu zu sagen hatten, und so werdet ihr hoffentlich verstehen, warum an dieser Stelle nun schlicht und ergreifend eine Musikrezension steht:
Nach einem mystischen Ambient-Intro mit flüsternden Stimmen und grollenden Geräuschen die aus dem Geäst und von den Wurzeln des Weltenbaumes ans Ohr des Hörers dringen, steigt Varg Vikernes mit einem für ihn urtypischen, schrillen, wütenden Riff in ein Stück ein, das sich meines Erachtens im Nu zu einer der größten Hymnen entwickeln wird, die je unter dem Namen BURZUM erschienen sind. 'Jeg Faller' ist ein Achtminüter voller Dramatik und Aggression, aber auch voller Eskapismus und Anmut. In grimmigen Versen finden sich Wut und Zorn, während der sehr eingängige und ohne weiteres mitsingbare Refrain dem Titel entsprechend ein Fallenlassen wiedergibt, das in dieser Form nun wirklich keiner von BURZUM erwartet hätte. Mit klarem Gesang, ja, gar mit harmonischem Summen ruht der Protagonist in sich und gibt eine mantrische Weise von sich. Dazu kommen großartige, prägnante Basslinien, spannende Stimmungs- und Tempowechsel, geflüsterte Passagen - schlicht und ergreifend eine Vielseitigkeit, die Vikernes nie zuvor in einem einzigen Song zu Tage gefördert hat. Das ist eine neue Seite BURZUMs, die sich jedoch auf wundersame Weise doch treu an das schmiegt, was der Anhänger von BURZUM erwartet. Gerade der unfassbare Ausbruch gegen Ende wird alle Wünsche erfüllen, die man an ein BURZUM-Album haben kann.
Ist BURZUM nun zur Mitsingmusik geworden? Nun, Spaß beiseite, das will ich noch nicht einmal verneinen, auch wenn das natürlich ganz anders gemeint ist, als es klingt. Denn auch das folgende 'Valen' glänzt mit eingängen Gesangshooklines, unglaublich effektiven, messerscharf in Szene gesetzten rhythmischen Riffs, einer irrwitzigen Dynamik, Gänsehaut erregenden Disharmonien und harmonischen Auflösungen. Es glänzt mit vielseitigem Gesang, der eine Nachdenklichkeit und Selbstbesinnung offenbart, die viele dem Varg nicht zugetraut hätten. Mit abartigen Schreien rezitiert er zum Ende des ersten Drittels eddische Weisheiten, bevor Flüstern und sphärisches, fliehendes Gitarrenspiel übernehmen. Exakt zur Hälfte verfällt das Stück in einen perseverativen Instrumentalteil, ganz im Stile alter BURZUM, bevor es wiederum zum Kehrvers schreitet, der sich tief ins Gehirn fräst: "Hva mer vil du vite?" - ja, was denn noch? Am ehesten gen Black Metal im klassischen Sinne geht Vikernes mit 'Vanvidd', das in erheblichem Maße von surrenden Gitarren und grimmigem Gesang lebt. Doch auch hier gibt es die hintergründigen, klaren Stimmen, welche auf "Fallen" in einem Maße Raum bekommen, den sie nie zuvor auf einem BURZUM-Album hatten. Hier kommen auch wieder die murmelnden Passagen zum Tragen, die uns schon bei 'Jeg Faller' begegnet sind. BURZUM spielt hier einerseits mit dem mantrischen Wiederholen eines Hauptmotivs, was seit jeher zum Repertoire des Norwegers gehörte, aber auch mit geschickten Reprisen von Motiven, die in anderen Stücken des Albums auftauchten. Das letzte Drittel leitet ein irrwitziger Ausbruch ein, welcher wohl den Titel des Stückes versinnbildlichen soll und der gerade durch seine besonders abgedrehte gesangliche Ausgestaltung bleibenden Eindruck hinterlässt.
Bei 'Enhver Til Sitt' drosselt der Norweger das Tempo wieder merklich und lässt zunächst einsam die Leadgitarre singen, bevor sich langsam der Song als solcher erhebt. Grimmig schreiend und gequält flüsternd erzählt Vikernes den Weg - seinen Weg? - durch dornige Wälder, geplagt, gejagt und fliehend. Es ist ein fragendes Stück und fragt nach dem Warum. Warum muss der Protagonist das Schicksal immer wieder herausfordern? Warum muss er den alten Schmerz immerdar spüren? Warum muss er vergessen? Kann er vergessen? Mir scheint 'Enhver Til Sitt' ein Stück zu sein, in welchem der Musiker in extremem Maße über sich selbst reflektiert. Ein sehr persönliches Stück, bei dem ich mich nicht veranlasst sehe, im Rahmen dieser Rezension weiter zu interpretieren. Das möge jeder Hörer für sich selbst tun. Im Vergleich zum voran gegangenen Stück ist das letzte metallische Stück 'Budstikken' wieder flotter, optimistischer, dynamischer. Ja, in gewisser Weise könnte man sagen, dass der Song rockt. Er rockt in einer Weise, wie auch das BURZUM-Debüt rockte. Bissiger Groove, knochentrocken, und mit nachdenklichen Momenten mit gesprochenem Gesang. Domiert jedoch von kehliger, angriffslustiger Stimme und dissonanten, sich überschlagenden und massiv verzerrten Riffs und Leads, hinter welchen ein sich hungrig anschleichender Bass lauert. Ein Stück, das trotz seiner ausufernden zehn Minuten Spielzeit und etlichen, bewusst perseverativ angelegten Motiven, niemals langweilig wird, weil doch so viel passiert und gesagt wird. Vom Nacken brechenden Drive bis zum beschwörenden Mantra des Kehrverses ein eindrucksvolles Lied.
Letztlich schließt das Album so, wie es begonnen hat: Mit 'Til Hel Og Tilbake Igjen' erklingt ein langes, bizarres Ambient-Stück, das von wuchtiger Perkussion und Gamelan-artigen Klängen lebt. Alles wirkt sehr tribalistisch und rituell, insbesondere, weil auch hier wieder eine murmelnde Stimme hinzu tritt, die von Unverständlichem kündet, das jedoch sehr bedeutend wirkt. Auch hier ist viel Raum fürs Nachdenken und dafür, sich auf die Musik einzulassen und das gesamte Werk Revue passieren zu lassen. Mir bleibt einmal mehr die Erkenntnis, dass BURZUM auch mit "Fallen" wiederum ein Album geschaffen hat, das mir direkt in die Seele fährt. Warum das so ist, das kann ich nicht richtig beschreiben. Ganz egal, was man von dem Protagonisten halten mag, für mich steht fest, dass er seine ganze Persönlichkeit und seine echten Gefühle in BURZUM legt. Losgelöst von weltlichen Fragen, von Politik und Gesellschaft. BURZUM mag der verschleierte und doch direkte und ungefilterte Blick in Geist und Seele des Varg Vikernes sein. Dass nicht jeder dorthin blicken will, kann ich verstehen. Doch das Wagnis ist in einem Maße spannend und faszinierend, wie es nur wenige Künstler zu gestalten vermögen. Daher kann es für mich, wie schon für den Vorgänger "Belus", so auch für "Fallen" nur die Höchstnote geben. Natürlich weiß ich, dass mir mancher vorwerfen wird, damit für den Falschen zu werben. Doch das muss ich in Kauf nehmen, wenn ich dafür werben will, sich mit Kunst und Wahnsinn zu befassen. Denn nirgends ist die Auseinandersetzung mit Kunst faszinierender als dort, wo sie auf Graten wandelt und dem Wahn ins Auge blickt.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle