BUSH, KATE - Never For Ever
Mehr über Bush, Kate
- Genre:
- Songwriter / Pop / Rock / Progressive
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- EMI Electrola
- Babooshka
- Delius
- Blow Away
- All We Ever Look For
- Egypt
- The Wedding List
- Violin
- The Infant Kiss
- Night Scented Stock
- Army Dreamers
- Breathing
Ooh, Life is - Breathing.
Als begeisterter Hörer der Musik von TORI AMOS und popkulturell nicht uninteressierter Mensch war es nur eine Frage der Zeit, wann ich mich auch auf die Musik von KATE BUSH einlassen würde, wird und wurde die Amerikanerin doch des öfteren mit ihrer britischen Kollegin verglichen. Zwar erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten der Songwriterinnen recht bald, doch liegen sie im Offensichtlichen und - zumindest kommerziell erfolgreich - eher Seltenen: Zwei künstlerisch eigenständige Frauen, beide gewissermaßen Wunderkinder ihrer Generation, beide mit Hang zu eigenwilligen Gesangslinien, und beide noch dazu auch Pianistinnen, die ihre Musik selbst schreiben. Dass das - bei in der Tat ziemlich unterschiedlich klingenden Songs - schon ausreicht, um der jeweiligen Eigenständigkeit und allen künstlerischen, biografischen wie musikalischen Unterschieden zum Trotz immer wieder gegenübergestellt zu werden, sagt hauptsächlich etwas über die gesellschaftlich üblichen Rollenerwartungen an Frauen im Kunstbetrieb und die Wahrnehmungsverengung des sogenannten Kulturjournalismus aus - also soll es hier darum auch weiter nicht gehen. Allerdings, soviel sei den notorischen Parallelsetzern in aller persönlichen Dankbarkeit und jeglicher inhaltlichen Kritik zum Trotz zugestanden, trifft auch die noch verkünsteltere, selbstdistanzierter wirkende und zumeist auch etwas exzentrischere Kompositionsweise von KATE BUSH bei mir einen gewissen Nerv, und die Frage, ob dieser KATE-Nerv irgendwo in tieferer Wurzel mit dem TORI-Nerv verknüpft ist oder nicht, ist letztlich müßig.
"Never For Ever" glänzt nicht nur durch das möglicherweise schönste Coverartwork, das mir je untergekommen ist, und das dafür sorgte, dass ich diese LP gleich zweimal auf Vinyl besorgte: Einmal als Geschenk, und ein paar Jahre später dann auch für mich selbst. Eher zaghaft, nach und nach nur, näherte ich mich Ms. Bushs Musik an. Einige Hits ließen mich sogleich atemlos zurück, das hier vertretene 'Breathing' etwa, andere wiederum offenbarten zwar früh ihre Klasse, gingen aber nicht auf Anhieb und nicht in jeder Situation gleich auf sinnliche Tiefenfühlung mit meinem Unterbewussten. Immer noch sehe ich mich in der Kennenlernphase, doch "Never For Ever" ist das Album der Musikerin, welchem ich mich - unbeschadet einiger in frohgemuter Erwartung rasch getätigter Flohmarktsnachkäufe (zufälliger- oder auch sentimentalerweise allesamt auf Vinyl) - nach wie vor am verbandeltsten fühle. Vielleicht liegt diese besondere Zugänglichkeit daran, dass das leicht rätselhafte Artwork alles andere als unpassend zur vermittelten Stimmung der darin eingeschlagenen Platte passt, also die Erinnerung an ein einmal gehaltenes Versprechen zu Beginn meiner Entdeckungsreise bei jedem Betrachten, In-die-Hand-nehmen und Auflegen aufs Neue verheißungsvolle Erwartungen weckt; vielleicht aber auch einfach daran, dass die im Album enthaltenen Songs ähnlich schön sind wie seine Plattenhülle.
Bei KATE BUSH fließen Songwriting und Arrangements nahezu unauflöslich ineinander, und auch die Stimmungen von Einzeltiteln und Album gehen eine besondere Verbindung ein. Nimmt man die Videokunst und auch die Bühnenauftritte hinzu, für die KATE BUSH eigens Choreografien und Kostüme entwarf, so bestätigt sich das, was bereits das Coverartwork andeutet: Ein liebevoll ausgearbeitetes Gesamtkunstwerk. Die kreative Produktion als Einheit ist es also, die das Besondere an KATE BUSHs Kunst ausmacht, und dabei spielt auch die Tontechnik eine gewisse Rolle: Ein entrückter, klarer Klang ist es, der "Never For Ever" so sagenhaft klingen lässt wie ein Märchenbuch, so leichtfüßig wie ein Ballett, so selbstverständlich, aber überwältigend glitzernd wie eine Sternennacht.
Die eher transparent und ätherisch wirkenden Songs der ersten Seite klingen zwar nicht minder eigenwillig und abseits der Konvention als die eher in Richtung Progrock tendierende zweite Seite, doch gerade in letzteren offenbart KATE BUSH ein Faible für opulente Arrangements, die greifbarer und gewissermaßen "klassischer" sind als die der zuvor gehörten, für eine popsozialisierte Hörerschaft möglicherweise eingängigeren Titel, sich darum aber noch längst nicht in eine Tüte mit generischen Longtracks erfolgreicher sogenannter "Größen" in Standard-Bandbesetzung stopfen lassen.
"Never For Ever" knüpft hin und wieder an zeitgeistiges Material an, benutzt es aber eher als Fundgrube für die eigene Kunst, denn als strukturierendes künstlerisches Korsett. Formeln werden aufgebrochen, in neue Sinnzusammenhänge gestellt, konventionelle Kunstfertigkeit dient der Umsetzung innovativer Neuschöpfungen. Nichts wirkt experimentell oder zufällig, doch alles frisch und gedankensprühend.
'Babooshka' ist eine formvollendete Eröffnung mit tänzelndem Gesang zum sich wiegenden Rhythmus und einer Bandbegleitung, die sich als rundes Ensemble ohne Soloausflüge präsentiert und den Hörer willkommen heißt, sanft aber bewegt ins Album geleitet. Es folgt mit 'Delius' ein vielschichtigeres Arrangement, das wie ein Zwischenspiel wirkt und offen und träumerisch gehalten dank tröpfelnder Elemente wie Percussion und feiner Pianorhythmik einen wässrigen Klangeindruck ins Ohr zaubert, bevor KATE BUSH in der nächtlich klingenden, unaufdringlich in Szene gesetzten Reminiszenz an vom Tod abberufene Musiker 'Blow Away' zu dezenter Streicher- und Pianobegleitung von einem Gig in der Nachwelt singt. Hier klingt sie noch mit am konventionellsten, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Annie Lennox (EURYTHMICS).
Etwas verschrobener kommt 'All We Ever Look For' mit seiner Kombination aus gezupften und geschlagenen Saiteninstrumenten, menschlicher Stimme und Pfeifen, sowie Synthesizern daher, die hier zu einem gleichermaßen verspielten wie uhrwerkartigem Ablauf zusammenfinden. Noch eigener klingt das mystisch, katzenhaft und nächtlich wirkende 'Egypt' mit einer vollendet eingewobenen, flüchtigen, flötenden, exotisch folkloristisch anmutenden Synthesizermelodie.
Wieder ist es eine muntere Eröffnung, mit der KATE BUSH uns in die zweite Hälfte des Albums geleitet. Doch der erste Eindruck täuscht, denn schon bald entwickelt sich das Stück zu einem dramatischen Schwofer über eine an ihrem Hochzeitstag zur Witwe gewordene Frau, die immer wieder die gleiche Rachephantasie auslebt. 'Wedding List' verknüpft cineastische Streicher, Drumrolls, Harmonica und singende Säge mit einem funkigen Basslauf, was im Zusammenklang mit Kates exaltierter Stimme einen schönen progressiven Popsong ergibt. Der Stachelbeerbaiser unter "Never For Ever"s Köstlichkeiten jedoch ist 'Violin': Kates Gesang imitiert die besungene Violine vortrefflich, diese tritt als - man kann es nicht anders sagen: - zweite Geige hinzu, im Duett juchzt, schluchzt und strudelt sich das ungleiche Paar dramatisch durch eine bewegt rockende, wild wogende Bandkulisse, der Chorus schwingt sich zu höchster Extase auf ("Get the Bow going, let it scream to me / Violin, violin, violin."), und fiddle-dee-diddle-dee-dee ist dem Song auf ewig ein Ehrenplatz im Olymp progressiver Rocksongs sicher. Ganz anders klingt das elegante 'The Infant Kiss', ein Song von schlichter Schönheit, der sich in erster Linie auf die Stimme kapriziert. Nach dem aus- und überleitenden Zwischenspiel 'Night Scented Stock' folgt mit dem traumtänzerischen 'Army Dreamers' ein Stück, dessen Programm wie kaum ein anderes in der Verbindung von Musik und Text liegt, seine Spannung aus Entsprechungen und Gegensätzen zwichen beiden Ebenen zieht. Musikalisch verzaubern Bodhran und Mandoline mit einer naiven Zuckerbäckerphantasie von tinselgeschmückten Paradeuniformen. Textlich wird diese miniatureske, schneekugelartige Spieluhrvariante einer kindlichen Offiziersballträumerei konterkariert durch nüchterne Beschreibungen von "tears o'er a tin box" und sarkastischen Vergleichen ("give him all your stripes and ribbons / Now he's sitting in his hole / He might as well have buttons and bows").
Wenn man meint, besser könne es kaum noch werden, zieht KATE BUSH mit blankem Gesicht das Pik As - einen Song, wie ihn THE ALAN PARSONS PROJECT trotz allen Versuchen, aus produktionsästhetischem Perfektionismus eine Kardinaltugend zu machen, nicht annähernd so gut hinbekommen hat: 'Breathing', jenen ätherischen Übersong aus der nuklearen Eiszeit zwischen Ost und West, diese beklemmend schöne Endzeitvision, die scheinbar unschuldig daherkommt mit ihrem säuselnden "Breathing / Breathing my mother in / Breathing, my beloved in / Breathing, Breathing her nicotine, breathing / Breathing the fall out - in, out - in, out - in, out - in, out - in".
Kommen wir zum Fazit, und das fällt diesmal ebenso kurz wie eindeutig aus: "Never For Ever" beweist im Alleingang, dass 1980 für die zeitgenössische Musik ein sehr, sehr, sehr gutes Jahr war. Da beißt selbst Schmalzcoversänger/Chartsstürmer ROLAND KAISER ('Santa Maria') keinen Faden ab.
Anspieltipps: Babooshka, Egypt, Violin, Army Dreamers, Breathing.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz