CAPRA - Errors
Mehr über Capra
- Genre:
- Hardcore / Post Hardcore
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Metal Blade Records / Sony Music
- Release:
- 06.10.2023
- CHSF
- Tied Up
- Silana
- Trauma Bond
- Loser
- Kingslayer
- Human Commodity
- Transplant
- Obligatory Existence
- Nora (Last Call)
CAPRAs Debüt war ein absoluter Türenöffner, und das neue Werk bestätigt diese Klasse auf ganzer Linie.
Der Verfasser dieser Zeilen steht bekanntlich nicht im Ruf, ein großer Fan von Core im Allgemeinen zu sein. Auch moderne Sounds junger Bands haben es - unverdientermaßen - im allgemeinen nicht gerade leicht bei ihm, und zu guter Letzt hat er im Gegensatz zu manch anderen Zielgrupplern auch keine besondere Freude daran, wenn - wie es der metalblade'sche Promosticker auf dem Album tut - Bands besonders damit beworben werden, "female fronted" zu sein. Warum hat es mir also ausgerechnet CAPRA, diese seit gut fünf Jahren aktive junge Truppe aus Louisiana, so sehr angetan? Warum nicht nur als Eintagsfliege mit dem Überraschungseffekt vom Debüt damals im Soundcheck? Warum gleich so nachhaltig, dass mir auch die Sophomore direkt am Erscheinungstag ins Haus kommt? Verdammt, eigentlich hat es der werte Kollege Herr Andrae in unseren Redaktionsräumen mit kurzen und knappen Worten schon perfekt zusammengefasst, als er - ob meiner Begeisterung in ungewohnten Gefilden durchaus überrascht - kurz und knapp sagte: "I like! Das hat wunderbar Feuer im Arsch und ist obendrein auch noch musikalisch arschgeil. Kaufliste!"
Ja, Holg, das trifft wie die Faust aufs Auge! Für mein Gefühl kommt "Errors" mit so viel mehr Seele und Wärme aus den Boxen, als ein Großteil des überproduzierten, konturlos zerschossenen und auf ultra-aggro gebürsteten kommerziellen Metalcore dieser Tage. Dabei spielen die Südstaatler im Wortsinne ja auch genau das: Hardcore mit starker Metal-Schlagseite und natürlich auch unglaublich aggressiv. Aber eben auf natürliche Weise aggressiv, mit dem klassischen Instrumentarium erzeugt. Die Rhythmik ist rattenscharf, und die Breaks, welche Drummer Jeremy Randazzo hier aufs Parkett legt, sind atemberaubend, und gerade auch die Stops und Pausen. die Trevor Alleman mit dem Bass setzt, sind verstörend gut. Da braucht's keinen Effekt-Overkill, keine Samples, kein konturloses Geprügel, keine Blasts, keine Pigsqueals etc... Die drei Typen am Instrumentarium und die Typin am Mikro bringen die nötige Aggression und Galligkeit einfach so, herrlich direkt und schnörkellos aufs Parkett, wie weiland die PLASMATICS oder THE EXPLOITED. Genau das macht für mich den Punk und den Hardcore aus, den ich mag. Ein Sound, der einfach so auf der Bühne im Club funktioniert, wenn die Vögel nur ihre Instrumente in die Verstärker einstöpseln und loslegen. Ohne Produktionszauber, ohne Loudness War, ohne Trigger, ohne nennenswerte Hilfsmittel.
Wer dennoch ob der Begeisterung eines ausgemachten Traditionalisten für diese musikalisch sehr versierte Krawalltruppe ein wenig überrascht ist, dem sei zudem gesagt, dass ich CAPRA ehrlicherweise für weit weniger modern halte, als es den Anschein haben mag. Ich höre und spüre da weitaus mehr Wurzelkur als bei sehr vielen, weit bekannteren Truppen aus dem Schnittfeld zwischen Core und Metal. Vor allem, weil das - ich habe es schon angedeutet - total basische Mucke ist, selbst wenn sich die flinken, vertrackten, im positiven Sinne hektischen Riffs von Tyler Harper immer wieder, in besonderem Maße aber beim zusätzlich vom Piano flankierten Abschlusstrack 'Nola', in postrockige Dimensionen vorwagen. Die Band braucht keinen Schnickschnack, denn ihren Stil kann man - entsprechendes Können natürlich vorausgesetzt - einfach spielen, wenn man seine Instrumente in die Amps einstöpselt und geschmeidig am Rad dreht. Was das Tempo angeht, finde ich zudem, dass CAPRA stets den richtigen Mix trifft. Das ist immer im gehobenen Midtempo bis hin zum flotten Uptempo, aber dabei ohne konturlose Raserei. Was dem Ganzen einen etwas getrageneren Eindruck verpasst, das ist im Zweifel, dass "Hurleuse extraordinaire" Crow Lotus, oft im Halftime-Maß zu shouten scheint. Ich würde mir hier tatsächlich auch gar kein Araya-Tempo im Duktus und keine King/Hanneman-Riffkaskaden wünschen, weil ich Hardcore, ganz Traditionalist, eher wie CRO-MAGS, SICK OF IT ALL, PLASMATICS, THE EXPLOITED & Co. interpretiere. Das darf zwar gerne voll auf die Zwölf gehen, dabei durch und durch aggressiv und wirklich auch gerne flott sein, aber so ein gewisser tanzbarer Groove gehört schon irgendwie dazu, und der ginge bei einem zu schnellen Beat wohl verloren. Daher agiert CAPRA auch hier vollkommen treffsicher.
Abschließend sei dann nochmals auf die Lotuskrähe am Mikro eingegangen, die letztlich auch auf gesanglicher und lyrischer Ebene den gewissen Unterschied ausmacht. Es ist, als schimpfe sie in einer Tour, und ihr Scolding ist dabei messerscharf artikuliert, bissig in Szene gesetzt und in all seiner vorwurfsvollen, nihilistischen, und auch in depressiven Momenten zuvorderst trotzigen Inszenierung, stets gut verständlich und dadurch emotional umso ergreifender. So trifft ihre individuelle Mischung aus harschem Duktus und lyrischer Tiefe bei mir genau den Punkt, an dem es sich so anfühlt, als messe die Künstlerin dem, was sie da von sich gibt, eine unheimlich große Bedeutung bei und investiere entsprechend viel Herzblut. Das macht, trotz der völlig unterschiedlichen Gesangsstile, Crow Lotus in einer ähnlichen Weise aus, wie es etwa auch Blackie Lawless ausmacht, oder wie es Mark Shelton ausmachte. Mir ist dabei übrigens völlig klar, dass ähnliches für viele andere - von mir weitgehend unentdeckte - junge Punk- und Hardcore-Bands ebenso gelten mag, aber CAPRA war für mich in der Hinsicht vor drei Jahren ein absoluter Türenöffner, und das neue Werk bestätigt diese Klasse auf ganzer Linie.
Egal, wie man das Schubladenkind nun taufen möchte, die Band heißt in jedem Fall CAPRA, die Fronterin Crow Lotus, und wie schon das Debütalbum "In Transmission" vor gut zwei Jahren, ist auch das Zweitwerk "Errors" ein echter Abriss. Außer einigen neuen Scheiben uralter Lieblingsbands lief hier kaum etwas häufiger, im vergangenen Jahr. Die zum Bersten angestaute Energie dieser Band ist zusammen mit ihren Songwriter-Qualitäten und all den kleinen technischen Finessen echt die Wucht in Tüten. Wer sich ebenso infizieren lassen möchte, der kann sich die tollen Videoclips zu 'Tied Up!', 'Silana' und 'Human Commodity' gönnen, wobei Crow Letzteres im Duett mit Candace Puopolo von WALLS OF JERICHO singt. Darf man auch als Metalhead mal antesten, der sonst nicht so auf Core steht. Schaut mich an!
Tied Up
https://www.youtube.com/watch?v=_CiwikTSoJ4
Human Commodity, feat. Candace Puopolo
https://www.youtube.com/watch?v=CgO3AMJWjfI
Silana, LCY Uncut
https://www.youtube.com/watch?v=HL7jZKJX3ok
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle