CHELSEA LIGHT MOVING - Chelsea Light Moving
Mehr über Chelsea Light Moving
- Genre:
- Noise Rock/ Psychedelic/ Punk/ Indierock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Matador Records
- Release:
- 05.03.2013
- Heavenmetal
- Sleeping Where I Fall
- Alighted
- Empires Of Time
- Groovy & Linda
- Lip
- Burroughs
- Mohawk
- Frank O'Hara Hit
- Communist Eyes
Champions-League-Riffs zum Pinkeln.
CHELSEA LIGHT MOVING. Ich dachte, das wird nichts mehr. Aber weit gefehlt! Denn hier ist Thurston Moore wieder in einem Bandgefüge aufgetaucht. Und hat sich grandios eingebunden! Der ehemalige SONIC YOUTH-Chef hat alles alles richtig gemacht, ist sich seiner Stärken in einer Gruppe mit drei anderen Musikern bewusst geworden. Während seine Ex Kim Gordon, die bei SONIC YOUTH jahrzehntelang die Bassbedienerin und auch die zweite Singstimme gab, sich jetzt in einem avantgardistischen Drone-Projekt und weiteren Kunstversuchen verhaspelt, spielt Moore den Punk.
Den Punk des Jahres 2013! Mit gehörigem Noisepfeffer in der Kralle plättet er wie ein fünfzigjähriger Jungspund den modernsten Punk Rock des laufenden Jahres durch die Boxen. Das Album wirkt wie eine Befreiung. Moores Mitstreiter sind sämtlich auch in anderen, in ihren Hauptbands tätig, die das Spektrum vom Antifolk-Geheimtipp über den klassischen Bluesrock-Haufen bis zum experimentellen Hippiesongwritertum umfassen. Hier haben sie sich gefunden, um uns – ganz klar - Moores Vorstellung des ursprünglichsten SONIC YOUTH-Albums der Neuzeit einzuzimmern. Es wird keinen Fan dieser Gitarren-Noise-Institution erschüttern, was diese zehn Songs beinhalten. Es ist sogar zu fragen, ob dieses Album nahe an der Perfektion überhaupt mit dem alten SONIC YOUTH-Personal zu Stande gekommen wäre. Ex-Gitarrist Lee Ranaldo hat Ende 2012 ein tolles eingängiges Indierockalbum solo veröffentlicht und vermutlich alles, was auf Halde lag, somit selbstbestimmt umgesetzt. Über Kim Gordons Versuche haben wir schon geredet, BODY/HEAD hat viele hoffnungsvolle SONIC YOUTH-Fans doch sehr befremdet zurückgelassen.
CHELSEA LIGHT MOVING hingegen nähert sich sogar einem Metalpublikum an, wenn die Truppe mit amtlichen Schredderattacken um die Ecke biegt. Was in 'Alighted' wie ein wuchtiger Doomdampfer auf uns zusteuert – gute Güte! Dass Moore nach sechs Minuten royalem Krach trotzdem noch wie ein müder gesetzter Mann seinen Text herunterschnurrt, das ist grandios. Der Klimax des Songs 'Sleeping Where I Fall' ist ebenfalls höchste Kunst, ein sich windender, stets lauter werdender Strom versiegt erst ganz am Ende, nachdem er gar die Schnellen eines Hochtempodrums durchflossen hat. Immer geradliniger, immer bockiger, immer bösartiger spielt sich das Quartett hier in einen Lautrausch hinein. In dessen End-Zeit wähnt man sich plötzlich inmitten eines Black-Metal-Settings, das sich in den Höhepunkt des formidablen Songs nahtlos einpasst und letztlich mit Eleganz wieder beruhigt wird. Gesunder Humor oder Zufall: Das Wortspiel 'Heavenmetal', in dem in einem fluffig-schaumigen Schunkler die Warriors dieser Welt beschmunzelt werden. Oder Ausblick?
Überraschende Wechsel in den Beiträgen ohne einen größeren nervenden Lärmorgienanteil sind wieder stilbildend, auf den Punkt gespielt. Es geht um den Rocksong, das Stück mit einem Anfang und einem deutlichen Ende. Bei 'Lip' und 'Communist Eyes' schnappen wir über, den hier regiert der schnelle, knarzige, kompromisslose Punkcore der Endachtziger. Schon der Anhang von 'Groovy & Linda', in dem der Band die Sicherung herausfallen, deutet den Spaß am jugendlichen Leichtsinn an. Wer sieht, wie die Band sich dabei lustvoll verausgabt und ausbreitet, wird gleich selbst wieder 15 Jahre jünger.
Wer dieses Lebensgefühl in seine hochprofessionelle Musikkunst 2013 einfließen lässt, der lebt sich aus, der prustet Befreiung und Energie heraus. Dass sich Stile hervorragend miteinander verbinden lassen, dass gestandene Musiker sich sehr wohl mit den äußeren Entwicklungen arrangieren können und von der Beobachterstellung spielerisch zum Mitgestalter werden, sagt schon die selbstbewusste Textzeile aus 'Empires Of Time' aus: "Empires Of Time... We are the Third Eye of Rock'n'Roll..." - Thurston Moore ist der Gewinner der SONIC YOUTH-Splitter.
Denn alles muss raus. Wenn ich mich dabei erwische, dass ich die Riffs und Harmonien alltäglich und ständig mitpfeife, am Kaffeeautomaten, beim Pinkeln, im Bus... dann kriegt der Riffproduzent eine volle Punktzahl. Wir alle sind Gewinner. Danke.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben