CIRITH UNGOL - Dark Parade
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/23
Mehr über Cirith Ungol
- Genre:
- Epic Metal / Heavy Metal / Doom Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Metal Blade / Sony Music
- Release:
- 20.10.2023
- Velocity (S.E.P.)
- Relentless
- Sailor On The Seas Of Fate
- Sacrifice
- Looking Glass
- Dark Parade
- Distant Shadows
- Down Below
Ein fieser, schroffer Brocken voller Schmerz und Leid für jene, die daran Gefallen finden mögen.
Auch zur Eröffnung des dritten Dutzends an Durchläufen fällt es mir noch immer nicht leicht, die richtigen Worte für das sechste reguläre Studioalbum meiner ewigen Lieblingsband zu finden, denn "Dark Parade" ist bei aller erwartbarer Stiltreue des Quintetts aus Ventura in Kaliforien doch ein überraschend schroffer und finsterer Brocken, der erst einmal verdaut sein will. Nun hat von CIRITH UNGOL sicherlich niemand erwartet, sich plötzlich dem sonnigen Gemüt des heimatlichen Klimas anzupassen, und auch der Verfasser dieser Zeilen hat sehr wohl mit weiteren apokalyptischen Weisen und tonnenschwerem Doom & Dirge gerechnet, doch was diese dunkle Prozession für uns im Gepäck hat, übertrifft diese Erwartungen nochmals deutlich, und zwar zum Guten wie zum Bösen. Dies aus meinem Munde? Nun, ja, denn wenn selbst ein devoter Diener des Passes der Spinne, nach all den Runden mit der Scheibe im Player, noch hier und da an der massiven Dichte der Finsternis des Werkes zu knabbern hat, was soll dann aus dem Gelegenheitshörer werden, der nicht über die Jahrzehnte hinweg hunderte Stunden mit dieser Band verbracht hat? Eben. Man kann es keinem verübeln, der ob der undurchdringlichen Schwere der Kompositionen und dem nach wie vor unverkennbaren, dieses Mal jedoch in besonderem Maße mantrisch-beschwörenden Gesang Tim Bakers vor der Zeit das Handtuch wirft und "Dark Parade" erst einmal beiseite legt.
Auch mir ging es so, dass nach dem ersten Dutzend an Spins erst einmal der Sinn nach mehr Luft zum Atmen stand, und ich nach leichterer Muse griff. Die neue U.D.O. etwa, oder KK's PRIEST. Schön straight und eingängig, zum Faustrecken und Mitsingen beim ersten Durchlauf. Doch die Anziehungskraft der neuen CIRITH UNGOL brach sich immer wieder Bahn und entwickelte diesen unwiderstehlichen Sog, der mich magisch anzieht. So lockt wie immer Michael Whelans Elric aus dem Gemälde "The Sinking City" fatalistisch auf das schwarze Runenschwert gestützt, in diese wilde, abysmale Welt der Band, in welcher es nur den Untergang zu geben scheint. Ein starker Einfluss auf das durch und durch pessimistische Konzept des Albums war ganz offenbar die Corona-Pandemie und all die Tragödien und Unbillen, die sie den Menschen und wohl auch der Band beschert hat. Diese bedrückende Stimmung der Epoche übersetzt die Band perfekt in das Dark-Fantasy-Setting, für das sie bekannt ist und geliebt wird, und so sehen wir den Untergang von Melniboné und begleiten Elric auf seiner hoffnungslosen Reise über die Meere des Schicksals. Wer "Sailor On The Seas Of Fate" gelesen hat, der wird kaum umhin können, der Band zu attestieren, dass das achtminütige Epos gleichen Namens, der Dreh und Angelpunkt dieses Werkes, die Stimmung perfekt aufgreift, die Michael Moorcock in seinem Roman zeichnet und die all die Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit des Protagonisten eindringlich einfängt. Über alle Maßen geschieht dies anmutig in der Verspieltheit der Leadgitarrenarrangements, akustisch wie elektrisch, und doch dräuend und nagend, zehrend und marternd.
Doch auch um dieses epische Meisterwerk herum zeigt sich die Band einmal mehr charakterstark und kompromisslos. Der Sound mag zwar, besonders im Drumbereich, dieses Mal ein wenig zurückgenommener klingen, und sicherlich ist auch der Gitarrensound einmal mehr nimmer so einzigartig und mit Flangereffekten beladen, wie auf den ersten beiden Alben der Band, doch diese liegen auch um die vierzig Jahre zurück, und schon die letzten drei Alben präsentierten sich insoweit konventioneller. Dennoch ist die Band auch auf "Dark Parade" zu jeder Sekunde völlig unverkennbar auf allen Ebenen. Tim Bakers Stimme ist und bleibt das vordergründigste Alleinstellungsmerkmal, doch auch Jim Barraza und Greg Lindstrom sorgen an der Gitarrenfront für die Trademark-Riffs, die wir kennen und lieben, Jarvis Leatherby bürgt dafür, dass der Bass wie stets in der Bandgeschichte eine wichtige Rolle zu spielen hat, was besonders bei 'Looking Glass' oder im Intro zum magischen Titelstück zutage tritt, und Robert Garvens Schlagwerk hätte hier und da gerne noch ein bisschen mehr Fokus im Mix vertragen, um die volle Drums-of-Doom-Breitseite abzuliefern. Auch der Gong könnte präsenter sein.
Produktionstechnisch ist "Dark Parade" dabei wie gesagt konventioneller als das Frühwerk, wenn auch schroffer und unzugänglicher als die drei folgenden Werke, was sich meines Erachtens auch in den Kompositionen fortsetzt. Die neuen Stücke sind zwar nicht unbedingt komplexer oder epischer als die Stücke des Vorgängers, doch sie wirken zunächst deutlich weniger eingängig. Lieferte "Forever Black" mit 'Legions Arise' als Opener direkt eine echte Fanhymne, da agiert das ebenfalls schnelle, knackig und flott aus den Boxen preschende 'Velocity (S.E.P.)' heuer zwar mit ähnlich unbezähmbarem Drive, doch der Refrain ist weniger plakativ, dafür hintergründig. Es braucht eine ganze Weile, bis man seine verborgene Schönheit erfasst und sich dann eben doch dabei ertappt, diese mystischen Worte mitzusingen, die Tim Baker in seinem so eigenwilligen und unverkennbaren Duktus und Versmaß zelebriert: "As you fall, the rings of hell, are stretching far below, endless pain and anguish, there's so many more to go..." - Nicht minder markant ist selbstredend, dass Jim Barraza direkt zum Einstieg ein Solo abfeuert, das sich gewaschen hat. Das Kulturgut der Leadgitarre wird hier auf ewig besonders groß geschrieben, und wir sind alle bange gespannt, wer auf Jim Barraza nun folgen wird, nachdem dieser, wenige Tage vor der Veröffentlichung des Albums, leider aus gesundheitlichen Gründen aus der Band verabschiedet wurde.
Doch hier und jetzt, auf dem vorliegenden Album, ist der Gitarrenhexer noch zu hören, und es ist wie immer eine Freude, seinen wilden Leadabfahrten zu lauschen, die auch den heavy stampfenden und direkt in den Nacken fahrenden Headbanger 'Relentless' veredeln, denn wo andere Bands gerne mal gar nicht oder allenfalls einmal pro Song sechssaitig solieren, da ist dieses unerlässliche Feature metallischer Melodik bei CIRITH UNGOL nach wie vor Dauerzustand. Lange bevor Tim Baker die Stimme erhebt, haut uns die Gitarrenfraktion auch hier eine orientalisch angehauchte Leadmelodie um die Ohren, die in stetig zunehmender Elaboriertheit immer wiederkehrt, während auch die Gesangshooks dieses Mal eine ganze Ecke eingängiger gestaltet sind, was auch für das Solo gilt, das sich spätestens ab dem fünften Durchlauf Note für Note mitsingen lässt. Eine Wohltat, zu Zeiten, in denen dem Gitarrensolo an sich nurmehr selten der Raum eingeräumt und die Bedeutung beigemessen wird, die es noch in den Siebzigern und Achtzigern hatte. In Ventura sieht man das auch nach fünfzig Jahren im Business noch anders, und das ist gut so.
Das Moorcock-Stück habe ich bereits weiter oben angesprochen, doch an dieser Stelle sei es nochmals aufgegriffen, denn hier wird von Anfang bis Ende die Epik zelebriert, die ein wesentlicher Baustein des Mythos CIRITH UNGOL ist. Vom Meeresrauschen über das Möwengeschrei und das Zupfgitarrenintro bis hin zum doomigen Riff und dem beschwörenden, mantrischen Gesang zum Einstieg, setzt die Band erst perfekt die Stimmung für die musikalische Adaption eines der wichtigsten Moorcock-Werke, und mit dem Einstieg der doomigen Gitarrenriffs und elegischen Leads nimmt die Band uns mit auf die Reise ins Multiversum. Ohne Wiederkehr? Nein, mitnichten, denn nach der Entführung in psychedelische Waberwelten holt uns das verhältnismäßig straight komponierte 'Sacrifice' mit einem feinen, kurzen iberischen Bassarrangement und dem Klacken von Castagnetten zurück in die Realität, das sich danach so heavy und doomig aufbaut, dass man sich von der Stimmung und Intensität her so nah an den Death Metal heranpirscht, wie man es als traditionelle Metalband mit Hang zum Epischen nur tun kann. Das spiegelt sich auch im fiesen, marternden Riffing und den harten, shreddernden Soloparts im Mitteltück wider, sowie an Bakers Semi-Growls am Ende, die ihn einmal mehr als Proto-Death-Metal-Fronter par excellence ausweisen, der nicht ohne Grund zu den großen musikalischen Einflüssen etwa eines Tom G. Warriors zählt. Ein Song, der gleichermaßen erdrückend wie erhebend wirken kann, und damit ein echtes Meisterwerk.
'Looking Glass' indes gibt sich groovender, mit verschleppter Rhythmik, einem tollen, prägnanten Refrain und einem langen, mitreißeneden Wundersolo von Jim Barraza, das dessen gefühlvolles Spiel in seiner ganzen Pracht zur Schau stellt, mit dem er sich vor seinem verstorbenen Vorgänger Jerry Fogle ebenso gelungen verneigt wie vor allerlei anderen prägenden Gitarrenhelden der Siebziger. Auch die rockigen zweistimmigen Gitarrenduelle, die sich Barraza und Lindstrom hier eben - intendiert - nicht völlig unisono liefern, sind etwas ganz Besonderes. Doch damit nicht genug, denn das dritte Viertel des Albums wird nun vom Titelstück abgerundet, das ohne Wenn und Aber als weiteres Highlight der Scheibe verbucht werden kann, erinnert es doch am ehesten an die von den CIRITH UNGOL-Fans durch die Bank verehrte Abschlusstrilogie der "Paradise Lost" von 1991. Kompositorische Eingängigkeit trifft auf erzählerische Epik und einen dramatischen Flow mit gehörigem Potential zum Mitkreischen und Faustrecken. Eine Hymne vom Feinsten, die in Sachen Geschwindigkeit und Härte zum Ende hin regelrecht explodiert und in einer dynamisch rockenden Coda ausklingt! Die Scheibe endet schließlich mit einem Doppelschlag, dessen dräuender, prophetischer Auftakt 'Distand Shadows', sich rockig und mit leichtem Hang zum US Power Metal dramatisch aufbaut und mit melodischen Leadgitarren und schweren Riffs gleichermaßen zu bestechen weiß, bevor er nahtlos in das finstere, apokalyptische und psychedelische Finale 'Down Below' übergeht, das Tim Baker knurrend und bedrohlich in Szene setzt und ihn in einen spannenden Kontrast zu klaren Backing Vocals setzt, die für CIRITH UNGOL durchaus ungewöhnlich sind. Einen ebensolchen wunderbaren Kontrast liefern auch die schweren, bedrückenden Riffwände neben der dunkelromantischen Zupfgitarre, und in seiner Komplexität sehe ich das Stück sogar recht nahe an dem späten Single-Klassiker 'Witch's Game' von 2018.
Damit kommen wir zur entscheidenden Frage, ob der Schreiberling es schon wieder tut: Bekommt auch das sechste Album der Band schon wieder die volle Punktzahl? Nun, was soll ich sagen? Wenn man nörgeln möchte, wird man etwas finden, und dass CIRITH UNGOL nicht auf der Welt ist, um es jedem recht zu machen, das ist nichts Neues. Manch alter Fan wird dem unverkennbaren Sound der Jahre 1980-1984 nachtrauern, der eine oder andere Akolyth wird die Eingängigkeit der größten Hymnen der späten Achtziger und frühen Neunziger bevorzugen. Wo die einen den Flanger-Effekt von Jerry Fogle vermissen, da wünschen sich die nächsten den Drumsound der "Forever Black", und wieder welche werden sich darüber beschweren, dass nicht das obskurere Whelan-Artwork auf dem Umschlag ist, das kurzzeitig als provisorisches Artwork gehandelt wurde, sondern doch der altbekannte "Elric and the Sinking City" aus der Moorcock-Romanreihe. Was klar ist, das ist der Umstand, dass "Dark Parade" durchaus länger braucht, um zu zünden, weil die Songs sich nicht direkt erschließen. Sie brauchen ihre Zeit, und sie wollen erarbeitet, ja, erkämpft werden. Doch die Brillanz liegt im Detail, das sich von Mal zu Mal mehr erschließen mag. "Dark Parade" ist ein fieser, schroffer Brocken voller Schmerz und Leid, geschrieben, für jene, die daran Gefallen finden mögen. Der Unterzeichner gehört dazu und könnte sich nichts Schöneres wünschen. Damit sind die wesentlichen Punkte geklärt.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle