CIRITH UNGOL - Forever Black
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2020
Mehr über Cirith Ungol
- Genre:
- Epic Metal / Heavy Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Metal Blade Records / Sony Music
- Release:
- 24.04.2020
- The Call
- Legions Arise
- The Frost Monstreme
- The Fire Divine
- Stormbringer
- Fractus Promissum
- Nightmare
- Before Tomorrow
- Forever Black
Eines der mächtigsten Statements der alten Stahlschmiedekunst, das uns im laufenden Jahrtausend heimgesucht hat.
Es gibt Träume, die bleiben unerfüllt. Andere Träume scheinen wahr zu werden, entwickeln sich jedoch alsbald zum lebenden Albtraum. Doch am Ende gibt es auch Realitäten, die sich wie ein Traum anfühlen, aus dem man nurmehr ungern erwachen möchte. In die letztere Kategorie fällt für den getreuen Legionär die lange für völlig undenkbar gehaltene Rückkehr von CIRITH UNGOL, die seit 2016 unaufhaltsam ins Rollen gekommen ist und die leidenschaftlichen Fans der kalifornischen Epiker nun im vierten Jahr von einem Höhepunkt zum nächsten treibt. Die ersten Konzerte in Europa, reihenweise Headlinerauftritte bei untergründigen Festivals, die irrwitzige neue Single "Witch's Game" und nun im April des Jahres 2020 endlich, endlich ein neues Studioalbum. Fast dreißig Jahre nach "Paradise Lost" und mit perfektem Timing sollte es pünktlich zum doppelten Headliner-Gig der Band beim "Keep It True" in zwei Wochen uraufgeführt und veröffentlicht werden. Reiserestriktionen, Veranstaltungsverbote und Kontaktbeschränkungen im Zuge der weltweiten COVID-19-Pandemie haben diesen Plan leider zunichtegemacht, doch wäre es CIRITH UNGOL, wenn nicht unheilvolle und schicksalhafte Dinge drohend am Firmament stünden? Eben. So wurde das Konzert einstweilen auf den späten Sommer verschoben, doch das Album wird uns planmäßig im April heimsuchen, ohne Wenn und Aber: The Beast has risen...
Nun liegt es also vor uns, "Forever Black", das fünfte Album vom Pass der Spinne, und es dürfte eines der wenigen Comeback-Alben im traditionellen Metal sein, bei welchem die Zielgruppe nicht mehrheitlich erwartet, dass die Band meilenweit hinter der eigenen Vorlage aus den Achtzigern zurück bleibe. Wo man sich auch umhört, unter beinharten Fans oder wohlwollend interessierten Kritikern. Ähnlich wie bei PSYCHOTIC WALTZ vor einigen Monaten erwarten auch bei CIRITH UNGOL die meisten Großes. Zumindest etwas, das die Fans der Band rundum zufrieden stellt, denn irgendwie mag niemand Robert Garven, Tim Baker & Co. zutrauen, dass sie sich nochmals mit neuer Musik ans Tageslicht begeben hätten, wenn sie nicht voll und ganz davon überzeugt gewesen wären, dass alles passt. Daher mag ich diesen Teil der Spannung an dieser Stelle auch schon vorweg auflösen: Es passt wirklich alles! Vom tollen Whelan-Elric auf dem Cover, über den Titel und die urtypisch apokalyptische Lyrik bis hin zum Sound und zum Songmaterial ist es an sich kaum vorstellbar, dass ein langjähriger Fan der Band ernsthaft enttäuscht sein könnte. Auf der anderen Seite wird aber vermutlich auch kaum ein Fan, der bisher ein erklärtes Lieblingsalbum hatte, genau das bekommen, was er sich erwünscht, erhofft, erträumt hat, denn weder ist "Forever Black" abgedreht prog-rockig und spacey wie das Debüt "Frost And Fire", noch ist es doomig-dräuend und wahnhaft wie "King Of The Dead". Es ist auch nicht dunkel-dynamisch und druckvoll metallisch wie "One Foot In Hell" oder vielseitig-locker bis monumental-episch wie "Paradise Lost". Das neue Werk steht auf seinen eigenen Füßen, es ist durch und durch, in jeder musikalischen Faser seines Leibes ganz und gar CIRITH UNGOL, und natürlich finden sich zahlreiche Reminiszenzen an alle bisherigen Alben und Phasen der Band, doch die Mischung ist eigenwillig, in einer Art und Weise, dass sie dem geneigten Fan ein Stück weit Offenheit für alle Phasen der Band abverlangt.
Das kurze aber wahnsinnig effektive Intro 'The Call' setzt direkt die perfekte Stimmung für die Rückkehr CIRITH UNGOLs. Der Wind braust, Lurenklang erklingt, vor dem inneren Auge sieht man die Uruk-Hai vor Helms Klamm aufmarschieren, während die Gitarristen Greg Lindstrom und Jim Barraza eine unheilvolle Leadmelodie zupfen, derweil Jarvis Leatherbys scharf akzentuiertes Bassspiel und die sich langsam steigernde Perkussion Robert Garvens die Getreuen zur Seite zu rufen scheinen, um die Feste zu halten, komme, was wolle. Nach gut einer Minute bricht der Sturm los, Stahl trifft auf Stahl, Schild auf Schild, Axt auf Helm. Berstend vor Energie bricht sich mit 'Legions Arise' eine der schnellsten Nummern der Bandgeschichte Bahn, wie eine Mischung aus 'Join The Legion' und '100 MPH', kompromisslos, geradlinig, gnadenlos nach vorne preschend und thematisch natürlich darauf anspielend, dass die Legion der Band die Treue auch im Jahrzehnte währenden Schlummer gehalten habe und nun stärker denn je wieder erwache, da die Schlacht drohe. Uneingeweihte mögen das kitschig und klischeehaft finden, doch das macht sie zu Uneingeweihten, denn im Kontext dieser Band muss das einfach genau so sein.
Was nun folgt, ist ein so tollkühnes wie einzigartiges Experiment, das den Herren aus Ventura hier vortrefflich gelingt. Erinnert ihr euch an die Textzeile aus dem Titelstück des Debütalbums "Frost & Fire", welche da lautet: "the frost monstreme and the fire divine"? Ja? Gut, denn aus dieser Textzeile hat die Band für das neue Album zwei neue Stücke ersonnen, zwei ungleiche Brüder, 'The Frost Montreme' und 'The Fire Divine'. Beide Stück greifen unterschiedliche musikalische und textliche Motive des Songklassikers auf und zitieren diese in einer kreativen Weise, dass hieraus zwei begeisternde Stücke entstehen, denen man die gemeinsame Wurzel und die gemeinsame Genesis anmerkt, die aber dennoch einen völlig unterschiedlichen Ausdruck und Charakter haben. Wo 'The Frost Monstreme' musikalisch das prägende Gitarren-Hauptmotiv von 'Frost And Fire' geschickt variiert und daraus einen finsteren, doomigen Rocker mit wahnsinnigen Instrumentalabfahrten im Bereich der Gitarrensoli, des Drummings und der peitschenden Basslinien strickt, der den Hörer fordert und in den Schwitzkasten nimmt, da setzt 'The Fire Divine' komplett andere Schwerpunkte. Mit viel flotterem und beschwingterem Grundtempo, tonnenweise Rock'n'Roll im Blut, und einer viel größeren Hymnenhaftigkeit und Eingängigkeit, ist das Stück ein ganz besonderer Hinhorcher der Scheibe. Die hinterhältige Griffigkeit mit den diabolischen Hooks und die irre guten Backing Chören streifen beinahe GHOST-Dimensionen, Jim Barrazas Soli lassen den Boden brennen und sprühen vor Rock'n'Roll, während Greg Lindstrom und Jarvis Leatherby dazu einen dann doch irgendwie doomigen Groove erzeugen, und Rob Garven alles in Grund und Boden hämmert.
Klingt das, als könntet ihr euch auf "Forever Black" zu Hause fühlen? Nun, dabei haben wir von einem der wesentlichen Protagonisten des Werkes noch kaum gesprochen. Was ist mit der Stimme, die dem Ensemble vorsteht? Nun, ihr werdet es ahnen, dass sich auch Tim Baker keine Blöße gibt. Doch das wäre Tiefstapelei, denn Tim Baker ist stimmlich noch immer genau das Biest, das er seit jeher gewesen ist. Jenseits von Zeit und Raum durchdringt sein Kreischen nach wie vor Mark und Bein als sei der Hexenkönig von Angmar höchstselbst erstanden. Vielleicht einen Tick weniger hysterisch als auf den ersten Alben, doch voller dunkler Kraft, intensiver Tiefe und innerhalb seines unverkennbaren Rahmens auch sehr vielseitig, liefert der Frontmann eine von A bis Z tadellose Leistung ab, die neben seinem urtypischen, raubvogelgleichen Kreischen auch finstere Semi-Growls ebenso umfasst wie hymnischen Klargesang im dunklen Timbre. Ein perfektes Beispiel für diese Variabilität liefert hierbei 'Stormbringer' ab, das zentrale Stück, der Dreh- und Angelpunkt des Albums, das von allen Stücken am ehesten dem typischen Epic Metal entspricht, den mancher primär mit CIRITH UNGOL in Verbindung bringt. Kompositorisch irgendwo zwischen "King Of The Dead" und der finalen Trilogie von "Paradise Lost", deckt das Stück die komplette Bandbreite eines Epic-Metal-Songs aus dem Bilderbuch ab. Vom gezupften Intro, über die klar gesungenen Anfangsverse und die langsame Steigerung über anschwellende Perkussion und ausuferndes Solo bis hin zu den dräuenden Stimmungen der Verse und der kulminierenden Hysterie des Refrains. Hier passt alles perfekt zu CIRITH UNGOL, aber auch perfekt zu Michael Whelans Artwork und zu Michael Moorcocks Elric of Melniboné und dessen Schwert 'Stormbringer', die selbstredend Titelhelden dieses Übersongs sind.
Das Album zur Hälfte durch, das Pulver verschossen? Na, Freunde, was glaubt ihr? Natürlich nicht! 'Fractus Promissum' eröffnet die zweite Hälfte und lässt den Saitenmännern viel Raum. Jarvis Leatherby zaubert mit seinem verschleppten Bassspiel einen ziemlich hinterhältigen Groove, während Jim Barraza wieder einige super lässig wabernde Gitarrensoli zum Besten geben darf, und zwar nach fast jedem Vers oder Refrain. Hier brennt die Hütte, und Tim Baker gibt sich bissig und anklagend in angriffslustigem Rezitativ, bis zum Ende hin Jim nochmals ein herrlich ausuferndes Solo abfackelt bevor Tim die Bombe platzen lässt und Rob die Scheiben einwirft. Ein herrlich fieses Ding, dem ein ungewöhnlich dunkler und strukturell recht simpel gehaltener Song mit dem Titel 'Nightmare' folgt, der hier und da durchaus VENOM-Vibes versprüht, so Marke 'In League With Satan' oder 'Buried Alive', aber auch an MOTÖRHEAD bei 'Orgasmatron' oder 'The Dreamtime' gemahnt, und an frühen Black/Death-Metal der Achtziger. Drückender Bass von Jarvis, schreiende Soli von Jim und Tim Baker so nah am extremen Metal, wie es nur geht, ohne dabei zu vergessen, dass er Tim Baker ist. Hinterhältig, creepy, böse, doomig, tödlich, schwarz. Schwarz? War da nicht noch was? Doch, aber vorher dürfen wir nochmals durchatmen, mit 'Before Tomorrow', das vor dem großen Finale noch einmal die Stimmung etwas heben darf, ist es doch deutlich melodischer und von der Grundstimmung her heller als die beiden Stücke zuvor. Gleich zum Einstieg mit tollem Barraza-Solo, ist Tim Bakers Stimme hier wieder etwas weniger finster, dafür schärfer, kämpferischer, melodischer. Man meint, er möchte die Anhänger auf das große Finale, auf die letzte Schlacht vorbereiten, wie einst Quorthon mit BATHORYs 'A Fine Day To Die'. Eben diese letze große Schlacht des Albums, das Finale furioso, folgt sodann in Form des abschließenden Titelstücks, das sich zu 'Stormbringer' verhält wie einst 'Paradise Lost' zu 'Chaos Rising'. 'Forever Black' ist eine apokalyptische Hymne, bei der Rob Garven seine Drums of Doom so prominent verprügelt wie auf keinem zweiten Stück des Albums, und bei dem Tim Baker nochmals alle Register seiner hysterischen Endzeit-Schreie ziehen darf.
Wer sich bis hierher angesprochen fühlt, dem sei zum Schluss noch verraten, dass die Songs - zählen wir das Intro zum Opener - Spielzeiten zwischen knapp vier Minuten und knapp sechs Minuten haben, die ganze Scheibe damit knapp vierzig Minuten dauert. Produziert ist sie zeitgemäß druckvoll, differenziert und transparent, erdig und natürlich. Keine sterilen Elemente, keine Ballerdrums, aber eben auch nicht bewusst auf retro getrimmt. Am ehesten ähnelt der Sound jenem der "One Foot In Hell", und auch stilistisch und kompositorisch ist "Forever Black" insgesamt etwas näher am dritten und vierten Album als an den ersten beiden Scheiben, die doch deutlich mehr Siebziger-Elemente aufwiesen und auch einen dementsprechenden Klang. "Forever Black" atmet indes eher den Spirit der zweiten Hälfte der Achtziger, es klingt dabei aber zu jeder Sekunde zu hundert Prozent nach CIRITH UNGOL. Nichts, aber auch wirklich gar nichts, was man kritisieren könnte, an CIRITH UNGOL anno 2020? Nun, natürlich kann man - so man denn will - Haare in der Suppe finden. Für Leute, die sich kein Vinyl und keine Singles zulegen möchten, ist es beispielsweise sicherlich schade, dass die beiden neuen bzw. neu eingespielten Stücke 'Witch's Game' und 'Brutish Manchild' (eigentlich ein Demo aus den Siebzigerjahren) nicht als Bonustracks zum Album gepackt wurden, denn Platz wäre auf der CD ja noch reichlich gewesen. Alles, was darüber hinaus geht, mag unerfüllten Erwartungen geschuldet sein: Der eine hätte vielleicht gerne mehr ausufernde achtminütige Endzeithymnen gehabt, wie man sie auf der "King Of The Dead" gefunden hat, der nächste mehr progressiven Rock'n'Roll wie auf "Frost And Fire" und noch jemand möglicherweise ein paar Schippen mehr Pilzpfanne und Synthesizer, wie bei den Demosongs aus den Siebzigern. Wer daran seine Kritik aufziehen möchte, dem sei dies unbenommen, denn es einem jeden Recht getan, ist eine Kunst, die selbst CIRITH UNGOL nicht kann.
Am Ende ist die Höchstnote, von mir gezückt, sicherlich keine Überraschung, denn wenige werden diese Band noch höher in ihrer Gunst haben. Dennoch zeigt auch der hochverdiente Soundcheck-Sieg im April 2020, dass dieses Werk nicht nur die CU-Ultras beeindruckt, sondern auch weit darüber hinaus spürbare Anerkennung erfährt, obwohl der Stil der Band sicherlich auch 48 Jahre nach deren Gründung nicht massenkompatibel, leicht verdaulich oder besonders gefällig ist. "Forever Black" ist damit eines der mächtigsten Statements der alten Stahlschmiedekunst, das uns im laufenden Jahrtausend heimgesucht hat, weshalb ich der Band dankbar bin und von ganzem Herzen wünsche, dass der so späte wie noch immer bescheidene Erfolg noch möglichst lange anhalten möge.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle