CIRITH UNGOL - Half Past Human
Mehr über Cirith Ungol
- Genre:
- Heavy Metal / Epic Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Metal Blade / Sony Music
- Release:
- 28.05.2021
- Route 666
- Shelob's Lair
- Brutish Manchild
- Half Past Human
Dieses Minialbum hat einfach alles, was eine Scheibe dieser Band haben muss, gerafft auf vier Songs.
Für den langjährigen Fan scheint der zweite Frühling von CIRITH UNGOL wahrlich ein schier unerschöpfliches Füllhorn neuer und alter Weisen zu sein, und ich bekenne hiermit offen, dass ich davon auch nicht genug bekommen kann. Es sind zwar schon seit geraumer Zeit diverse Kritiker am Start, welche - manchmal auch nicht ganz unbegründet - die aktuelle Veröffentlichungspolitik der Band aus Ventura kritisieren, doch wer mal 29 Jahre auf ein neues musikalisches Lebenszeichen seiner Lieblingsband gewartet hat, der beschwert sich eher nicht, wenn zum neuen Album noch die eine oder andere Single hinzu kommt, oder? Weit schlimmer wäre es, sie käme nicht.
So ist auch jetzt meine Freude sehr groß, denn in Kürze erscheint nach dem tollen 2020er-Studioalbum "Forever Black" und dem im Winter völlig überraschend nachgelegten 1979er-Demo-Rerelease in Orange ein kleines, feines Minialbum mit vier neu eingespielten Stücken aus Demozeiten, die zuvor nicht ihren Weg auf eines der Studioalben gefunden hatten. Zumindest nicht auf ein Studioalbum von CIRITH UNGOL, mag man einwenden, denn als Gitarrist Greg Lindstrom anno 2004 gemeinsam mit Perry Grayson und Darin McCloskey das FALCON-Debüt eingespielt hat, brachte er drei der vier hier vertretenen Songs aus dem CIRITH UNGOL-Fundus mit, und ich habe sie schon damals geliebt. Dennoch habe ich mir immer gewünscht, sie auch mal von der Band hören zu dürfen, für die sie ersonnen worden sind, und dieser Wunsch wird nun Ende Mai 2021 erfüllt.
Dabei wird einmal mehr geklotzt statt gekleckert, denn das Coverartwork ziert selbstredend wieder ein echter Elric von Michael Whelan, und zwar - wie ich finde - einer seiner schönsten und filigransten, ganz in Rot, der einst Michael Moorcocks Roman "The Weird Of The White Wolf" zierte. Fährt die Scheibe dann erst einmal in den Schacht, so ertönt röhrend Rob Garvens alter Ferrari, und wo der entlang braust, das sollte klar sein, oder? Richtig, den Auftakt macht 'Route 666', und auch wenn man dem Song seine Siebziger-Herkunft natürlich anhört, kommt er mit der Heaviness der "King Of The Dead"-Ära daher und weiß voll und ganz zu überzeugen, gerade weil Tim Baker hier wirklich alles gibt.
Dem setzt das folgende 'Shelob's Lair' nochmal eins drauf, das kompositorisch ziemlich nahe am "Frost And Fire"-Stil ist, mit seinen verspielten Gitarrenmelodien, dem tollen, sehr präsenten Bassspiel und dem massiven Fantasy-Vibe, der natürlich perfekt zur hier eindringlich nacherzählten Begegnung von Frodo Beutlin und Samweis Gamdschie mit der guten alten Kankra passt. Was für ein grandioser Song, den FALCON schon anno 2004 zu meinem Song des Jahres avancieren ließ, und wie schön ist es, dass er nun endlich auch mit Tim Bakers unglaublichem Gesang von CIRITH UNGOL selbst zu hören ist. Besonders toll sind hier auch die doppelten Leadgitarrenläufe von Jim und Greg, sowie der diese herrlich flankierende und hier und da auch konternde Bass von Jarvis.
Doch damit nicht genug, denn die EP ist noch nicht einmal zur Hälfte durch. An dritter Stelle steht mit 'Brutish Manchild' der einzige Song der Scheibe, der noch niemals und von niemandem offiziell veröffentlicht worden ist (außer kürzlich auf einer Flexidisc-Beilage des amerkanischen Decibel Magazins). Auch hierbei handelt es sich um ein uraltes Demo aus den Siebzigern, das die Band hier sehr stiltreu neu eingespielt hat, und das durch eine sehr eigenwillige Rhythmik, durch Rob Garvens wildes Drumming und natürlich erneut durch die trotz der Kürze des Songs ausufernden Leadgitarrren von Greg und Jim glänzt, und freilich auch Tim Bakers Screams und dem pumpenden Bass Jarvis Leatherbys viel Raum lässt.
Abgeschlossen wird die bis hierhin sehr direkt, trocken und hardrockig zupackende EP vom siebenminütigen Titelstück, und dieses schlägt durchaus ein wenig andere Töne an. 'Half Past Human' wird von wunderschön gezupften, gedoppelten Akustikgitarren sehr verträumt und episch eingeleitet, zu denen alsbald eine progressive 70er-Basslinie hinzutritt, die das Stück langsam erblühen lässt, bevor ein Gitarrensolo von Jim Barraza den Weg für Tims manischen Einstieg und die metallische Härte der Riffs bahnt. Von der Grundstimmung und den Arrangements her, kommt dieser großartige Song (den es ebenfalls in einer FALCON-Version gibt) der legendären Abschlusstrilogie des "Paradise Lost"-Albums von 1991 sehr nahe, und er zeigt damit CIRITH UNGOL von der epischsten denkbaren Seite.
Langer Rede, kurzer Sinn: Wer CIRITH UNGOL liebt, der kommt an "Half Past Human" nicht vorbei, denn dieses Minialbum hat einfach alles, was eine Scheibe vom Pass der Spinne haben muss, gerafft auf vier Songs, deshalb aber nicht minder prächtig: Es gibt wild rockende Geradlinigkeit, es gibt progrockige Verspieltheit, es gibt die große Epik; und all das wird von dem Quintett eben auf allen Positionen genau so unverkennbar und charismatisch umgesetzt, wie man es als Fan dieser Band erwartet. Deshalb gibt der Stehle als alter(nder) Fanboy dem Ding auch wieder eine glatte Zehn, denn glaubt's mir gerne: Genau das hab ich mir aktuell am meisten von CIRITH UNGOL gewünscht!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle