CORTEZ (CH) - Phoebus
Mehr über Cortez (CH)
- Genre:
- Post Hardcore / Progressive / Noise
- ∅-Note:
- 6.50
- Label:
- Get A Life!/NMD
- Release:
- 15.11.2013
- Temps Mort
- Transhumance
- Au Delà Des Flots
- Arrogants Que Nous Sommes
- Un Lendemain Sans Chaine...
- L'Autre Estime
- Sulfure
- Nos Souvenirs Errants
- Idylle
- Borrelia
Post-metallische Gratwanderung zwischen Anspruch und Anstrengung
Musik hören ist Genuss? Dient der Unterhaltung? Zerstreuung? Von wegen. Auf der Suche nach interessanten Veröffentlichungen stolpert man des Öfteren über bizarre, kompliziert verschachtelte Klangkonstrukte, sperrig, mitunter abstoßend. Volle Konzentration und ein nicht unerhebliches Maß an Anstrengung sind dann vonnöten, um sich mit dem Kunstwerk des jeweiligen Interpreten gewissenhaft auseinanderzusetzen. Eine Schweizer Post Hardcore-Formation namens CORTEZ beglückt (oder belästigt, je nach Standpunkt) den aufgeschlossenen Hörer mit "Phoebus", einem progressiven, scheinbar strukturlosen Zehntracker, der weder zum gepflegten Headbangen noch für eine entspannte Autofahrt taugt. Anspruchsvoll anstrengend ist es, was uns die Eidgenossen servieren.
Der Auftakt 'Temps Mort' ist ein Paradebeispiel dafür, dass Musiker den Bogen hin und wieder überspannen und mit ihrem überzogenen künstlerischen Anspruch bei aller Faszination die potentielle Kundschaft eher abschrecken denn anziehen: Eine Minute lang dehnt sich ein langer, monotoner Ziehharmonika-Klang in alle Richtungen, bevor nervöses Trommeln und geschrammelte E-Gitarren den Ton des Aerophons überlagern; weitere zwei Minuten vergehen, ehe die vollständige Instrumentalfraktion des Quartetts mit hektischem Upbeat-Geholze einsetzt. Die Klangfärbung bleibt rau, verwaschen, dissonant, bis nach knapp fünf Minuten erstmalig heiseres, unverständlich meckerndes Geschrei erklingt (französisch, wie mir erst nach dem Nachschlagen der Songtexte klar wird). 'Temps Mort' scheint auf einen in grauer Monotonie verborgenen Höhepunkt hinzueilen, erreicht diesen jedoch nie, da der fast achtminütige Song irgendwann scheinbar willkürlich ausklingt und seine Hörer ratlos zurücklässt. Auch das folgende 'Transhumance' vergeht sich ziemlich strukturlos am Gehör der Audienz, immerhin mit deutlich gesteigertem (und auch als solchen erkennbarem!) Hardcoreanteil. Mischt THE DILLINGER ESCAPE PLAN mit dem Post Hardcore von FALL CITY FALL und kleidet das Ergebnis in das eiskalte Soundgewand der progressiven Instrumentalisten ØLTEN – voila, ungefähr so klingt CORTEZ. Hört sich reizvoll an? Stimmt. Die Schweizer versäumen es nur leider fast vollständig, ihrem ambitionierten und technisch hochklassigen Experiment überhaupt Ansätze von Struktur zu verleihen, nachvollziehbare Elemente, an denen der Hörer gelegentlich Halt finden könnte. Erst nach der Hälfte von "Phoebus" scheinen die vier Musiker ein Einsehen zu haben: 'Un Lendemain Sans Chaine...' wartet zumindest am Schluss mit einem melancholischen Gitarrenriff auf – hochgradig erleichtert ergreift man diesen Lichtblick, diesen musikalischen Hoffnungsschimmer, durstig nach einer Erfrischung, die die Bezeichnung "melodisch" verdient hat. 'Sulfure' endet mit einem vertrackt-verschobenen, doch immerhin headbangtauglichen Midtempo-Part; auf den Weg dorthin musste allerdings auch erst eine verstörend chaotische Hardcore-Prügelei passiert werden.
Prinzipiell sind verquerte Ansätze und sperrige Arrangements ja begrüßenswert, und jede Band, die nicht auf den schnellen Euro schielt, sondern ihre Anhängerschaft herausfordern möchte, hat zumindest eine gehörige Portion Anerkennung verdient. Die Jungs von CORTEZ scheinen sich allerdings mit ihren Ansprüchen etwas vergaloppiert zu haben – und wer sich nicht an den wirren Liedkonstrukten stößt, dürfte nach kurzer Zeit wahrscheinlich vom sehr eindimensionalen, heiseren Geschrei abgeschreckt werden. "Phoebus" ist mit Vorsicht zu genießen, könnte Knobelfreunden und musikalischen Nihilisten aber durchaus zusagen. Ich für meinen Teil traue der Band deutlich mehr zu als diese zwar ambitionierte, insgesamt aber übertrieben ehrgeizige Prog-Hardcore-Brechstange.
Anspieltipps: Un Lendemain Sans Chaine..., Sulfure, Nos Souvenirs Errants
- Note:
- 6.50
- Redakteur:
- Timon Krause