DAS ICH - Lava: Glut
Mehr über Das Ich
- Genre:
- Gothic Electro
- Label:
- Massacre Records
- Release:
- 28.06.2004
- Schwarzer Stern
- Meine Wiege
- Fieber
- Sehnsucht
- Tot im Kopf
- Vulkan
- Uterus
- Seele tanzt
- Lava
- Urkraft
Ah ja, da ist er also wieder! - Da ist wieder dieser expressive Pathos, gepaart mit harter Elektronik und neoklassizistischem Intrumentarium oder Keyboards. Das deutsche Gothic-Aushängeschild DAS ICH hat eine neue Scheibe veröffentlicht. Wie kaum eine andere deutsche Band symbolisierten sie mit ihrem exzentrischen Auftreten und dem entsprechenden Styling so etwas wie den Querschnitt der deutschen Schwarzkittel-Szene – auf der einen Seite der "finstere Hardcore-Grufti" Stefan Ackermann (Gesang, Texte) und auf der anderen der ästhetische Waver Bruno Kramm (Musik). Ihr alter Szenehit 'Gottes Tod' rührte sowohl musikalisch als auch textlich an den Kern der deutschen Gothic-Szene bzw. an den Kern dessen, was sie sein könnte, wenn sie nicht sich selbst entfremdet wäre und nicht im modischen Gewand der Tanztempel- und Kitsch-Mucke steckenbleiben würde. Schock, Seelenschmerz, Transzendenzverlust und Todeserfahrung wurden bei diesem Stück in einer gelungenen Synthese thematisiert. Deswegen war 'Gottes Tod' damals auch so erfolgreich.
DAS ICH sind ohne den literarischen Expressionismus vom Beginn des 20. Jahrhunderts nicht denkbar. Kein Wunder, dass sie die frühen "Morgue"-Gedichte Gottfried Benns auf dem gleichnamigen Album vertonten. Während Benn sich allerdings in den Zwanzigerjahren mehr und mehr mythisch-elegischen Motiven zuwandte, bleiben DAS ICH beim wütenden Aufschrei des Expressionismus. "Mensch, warum ist deine Seele so voller Schmerz und Zerfressenheit?!" scheinen sie als Fazit in ihren Texten zu fragen und das trifft genauso auf das neue Album zu. Der Tanz mit dem Teufel wird immer wieder beschworen. 'Meine Wiege' gibt keine Geborgenheit, sondern nur den Zweifel am eigenen Lebenswillen. Wollte ich überhaupt auf diese Welt, denn "mir ist kalt" ('Tot im Kopf')? Soll ich mir einen 'Schwarzen Stern' für mich suchen, um den "Zorn der anderen nicht zu spüren"? Der Tanz mit dem Tod gibt dem Leben seine letzte Würde.
Zum Tanzen lädt allerdings ebenso die Musik ein. Glücklicherweise geschieht das nicht zu penetrant. Eine gewisse Zerrissenheit und Disharmonie nehmen nicht nur die Texte, sondern auch die Musik für sich in Anspruch. Ein Hauch von "Ästhetik neuer Musik" weht durch den Sound, wobei man jedoch sagen muss, dass "Lava" den publikumstauglichen Refrainstrukturen weiterhin treu bleibt. Das war bei DAS ICH von Anfang an so. Manchmal würde ich mir in dieser Hinsicht ein wenig mehr Abwechslung wünschen.
DAS ICH setzen dort an, wo sie schon mit dem zweiten Full-Length-Album "Staub" begonnen hatten. Die Industrial-Elemente der ersten Mini-CD und von "Die Propheten" treten in den Hintergrund, um moderner Elektronik Platz zu machen. Die neoklassischen Elemente bleiben allerdings weiterhin bestimmend. Ganz besonders fallen die schönen Streicherarrangements der neuen CD auf. Weiblichen Background-Gesang gibt es diesmal nicht zu hören. Insgesamt lässt sich ihre Musik als Gothic Electro charakterisieren. Dabei ragen sie aus der Langeweile und Anspruchslosigkeit vieler Dark-Electro- und Future-Pop-Acts weit heraus. Techno-Elemente kommen ihnen zudem ebenfalls nicht ins Haus.
Treibende Sequenzen und traurige Klaviertöne bestimmen 'Schwarzer Stern'. Der kantige deutsche Gesang von Stefan Ackermann dürfte nicht jedermanns Sache sein, aber er passt perfekt zur Aufschrei-Stimmung dieser Musik. Der Refrain ist einprägsam, mehrstimmig und pathetisch. Diese Machart erinnert an gewisse Stücke, die LAIBACH eingespielt haben. Dunkle warme Keyboards hüllen die finsteren Worte ein.
Etwas schleppender ist 'Meine Wiege', das aber sonst einen ähnlichen Aufbau wie 'Schwarzer Stern' aufweist. Das scheint mir auch das Problem von DAS ICH zu sein. Wo sie es im Detail verstehen, wirklich überraschend und interessant zu sein, fehlt dagegen beim Songaufbau manchmal die Abwechslung. DAS ICH sollten einfach mal aus der selbstdefinierten Linie ausbrechen und neue Ufer erkunden. In dieser Hinsicht war man anfangs noch offener. Ich erinnere nur an ihre Kollaboration mit den Metallern von ATROCITY auf dem Album "Die Liebe".
Gleichwohl sorgen die dramatischen Streicherparts und der eindringliche Text dafür, dass 'Meine Wiege' zu einem der besten Stücke auf dem Album gerechnet werden kann. Bei aller Kritik faszinieren DAS ICH mit ihrer treibenden düsteren Musik – zumal die verwendeten Sounds wirklich komplex arrangiert werden. Melodischen Electro Wave der tanzbarsten Art bekommen wir mit 'Fieber', 'Tot im Kopf' und 'Seele tanzt' dargeboten. Großartig ist dabei 'Tot im Kopf': – hämmernde Elektronik trifft auf melancholische Klaviertupfer und einen Refrain mit bombastischen Keyboards.
Aufwühlenden Dark Wave gibt es dagegen bei 'Uterus', das eine Atmosphäre aus Verzweifelung und Aggression vermittelt. Das Titelstück 'Lava' beschwört den Herrn der Wut und des Neides herauf. Wieder mal sind es die filmischen Streicher, die für Begeisterung sorgen. Endgültig bricht die Finsternis bei 'Urkaft' herein. Unheilvoll kriechend paukt die Musik voran. Ein Chor stöhnt wie unter sklavischer Knechtschaft. Die Urkraft des Lebens scheint den Menschen in einem Gefängnis anzuketten, dem er nur durch den Tod entrinnen kann. DAS ICH entfachen hier ein furioses Spektakel des Abgrundes, welches 'Urkaft' zu einem der besten Tracks der Gruppe macht. Hier brechen sie endlich aus der ansonsten fest abgesteckten Struktur der Songs aus.
Bei aller Todessehnsucht bleibt natürlich der Wunsch nach einem besseren Leben, das nicht heillos vom Schmerz durchfressen wird, wie sie es beispielsweise in 'Tot im Kopf' zum Ausdruck bringen. Wer eingängige Tanzbarkeit, avantgardistisch-klassizistische Momente und kompromisslose Texte schätzt, kommt bei DAS ICH voll auf seine Kosten. Dem Album ist als Bonus eine DVD mit Live-Stücken beigelegt. "Lava" gibt es einmal in der mir vorliegenden "Glut"-Version und andererseits in einer "Asche"-Version zum Nice Price, die Dance/Club-Remixe enthält und damit die Tanzbarkeit in den Vordergrund stellt. Als alter Remix-Hasser bin ich eigentlich ganz froh, dass mir nur die "Glut"-Version vorliegt...
Anspieltipps: Schwarzer Stern, Meine Wiege, Tot im Kopf, Uterus, Urkraft
- Redakteur:
- Jörg Scholz