DEATH CAB FOR CUTIE - Transatlanticism
Mehr über Death Cab For Cutie
- Genre:
- Indie Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Barsuk Records
- Release:
- 07.10.2003
- The New Year
- Lightness
- Title And Registration
- Expo '86
- The Sound Of Settling
- Tiny Vessels
- Transatlanticism
- Passenger Seat
- Death Of An Interior Decorator
- We Looked Like Giants
- A Lack Of Color
<em>"So this is the new year, and I don't feel any different."</em> - DCFC zelebriert Indierock zwischen Aufbruch, Besinnlichkeit und Rückschau.
Leicht angeschroffte, lässig und doch munter rollende Rhythmen, Riffs, Feedbacks schnurren zusammen, eine helle, leicht belegt wirkende Stimme ertönt und "Transatlanticism" nimmt Fahrt auf, ab in's noch Ungewisse, ausgehend vom Altbekannten, und vielleicht gerade darum so beschwingt. Mit Leichtigkeit. Und mit 'Lightness' wird dann auch gleich um einen Gang heruntergeschaltet.
Glöckchenhelles Pianospiel mischt sich dezent hinter dessen fast schon jazzigen Schlagzeugrhythmus. Hier wird der Moment ausgekostet, symbolisiert von einer vom Wind verwehten Kuckucksuhr, die immer wieder im Geiste nachhallt, die Stimme verliert sich in wohliger Duseligkeit, doch dem Kopf ist klar, dass diese instinktiven Muster nicht halten werden. Die an Programmusik erinnernde Einbindung oder Imitation naturalistischer Geräusche auf "Transatlanticism" ist einfach herrlich.
Die regnerische Akustikgitarre in 'Title And Registration' etwa, die die Erinnerung nicht abwaschen kann, die sich einstellt, als der Protagonist unerwartet über ein paar Fotos im Handschuhfach stolpert, auf der Suche nach "some legal document". Der Rhythmus knirscht wie trotzige Schritte auf einem Kiesweg, und "there's no blame for how our love did slowly fade / And now that it's gone, it's like it wasn't there at all / And here I rest: where disappointment and regret collide / lying awake at night". Momentaufnahmen. Das sind die Songs allesamt.
Da ist auch ein gewisser Shoegaze-Einfluss auszumachen, eine gewisse nebulöse Aura um diese Lieder. Allerdings sind sie dann doch zu klar strukturiert, nicht so verrauscht, elegant wie ein perfekter Popsong, auch wenn immer ein unfertiges, oder besser gesagt: offenes, Element mitschwingt, eine gewisse Unbestimmtheit. Manchmal weiß man eben nicht, wann ein Moment zuende geht und wo genau ein weiterer seinen Anfang nimmt, was Nachhall und was Ankündigung ist.
"But if I move my place in line I'll lose / And I have waited, the anticipation's got me glued", heißt es in 'Expo '86'. Und wenn dann die E-Gitarre aufbegehrt, schwingt schon die Erwartung einer weiteren Lähmung mit, die schließlich zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Das Lebensgefühl einer in Zeitlupe ablaufenden Wiederholungsschleife eines Autounfalls. "And it seems by the time that i have figured what it's worth / The squeaking of our skin against the steel has gotten worse." Tragik findet sich also auf "Transatlanticism" genug.
Doch DEATH CAB FOR CUTIE vermag es, einiges an Energie gerade auch aus unausgelebten Gefühlen zu ziehen, etwa aus dem magenverknotenden Hunger nach unerfüllter Liebe, der die Zunge lähmt, obwohl der Kopf ständig nach Impulsumsetzung funkt; vertont in 'The Sound Of Settling' als zweiter Frühling, der aus dem Rückblick auf entgangene Gelegenheiten sprießt. Das Momentane, Vergängliche, im Rückblick erst noch sich zu voller Blüte (und wenn es eine bitter schmeckende ist) entfaltende und eine tiefere Bedeutung gewinnende, bleibt durchgängiges Thema des Albums.
Es ist alles nicht so einfach, wie es scheint (und klingt). Auch gepflückte Tage können traurig stimmen. So in 'Tiny Vessels', einer phasenweise pianogetragenen Ballade mit schwerfälligem Rhythmus, in die sich immer wieder aufgekratzter Rock mischt, impulsiv überdreht; ein Stück, das zwischen Schönheit, fast schon Gewalttätigkeit, und schließlich purer Tragik pendelt: "And every bite I gave you left a mark", heißt es da, "that you said you didn't want to fade / But they did and so did I that day". Ob etwas nicht stimme, hat sie ihn gefragt. Sie hatte damit so verdammt recht, aber darüber zu sprechen hätte den Moment zerstört. Lieber hielt er sich an seinen eigenen leeren Worten fest, und an ihr. Und so niederträchtig und billig es auch war, und so tief die spätere Einsicht darin auch ist, wird es doch noch peinlicher, wenn er sich schließlich eingestehen muss, dass nach wie vor gilt: "you are beautiful, but you don't mean a thing to me."
Während der verbindende Zug der Gedanken noch im Nebel der Vergangenheit davonrattert, findet er nun im nächsten Moment endlich die zuvor fehlenden Worte, wenn auch poetisch verschlüsselt: "The Atlantic was born today and I'll tell you how..." Ja, 'Transatlanticism' hat diese ozeanische Weite, dieses Sichöffnen der Seele, wie es insbesonders (und so vielleicht nur) die See zu katalysieren imstande ist. Eine flüssige, schwankende, offene Weite, wie man sie musikalisch allenfalls noch bei SAVOY GRAND findet, aber doch nicht ganz so wie hier: Ebbe und Flut, Pianowellen und Gitarrengischt, tiefer Schlagzeugunterstrom und darüber segelnder Weißvogelgesang.
Und wie Ebbe und Flut dieses Aufsteigen und Abschwellen, und immer wieder "I need you so much closer", ganz weit draußen im Meer der Gefühle. Danach zurücklehnen im ganz und gar Wohlklang und Wohlgefühl verströmenden 'Passenger Seat', alles vorbeiziehen lassen, passiv und entspannt, wissend, dass es gut ist, so wie es ist, jetzt gerade im Moment, aber auch vertrauensvoll darauf hoffend, dass man ihn kennt, den Unterschied zwischen verglühenden Sternschnuppen und beständigen Satelliten. "And the strong scent of evergreen / From the passenger seat / As you are driving me home".
Was sollte danach noch kommen, das nicht nur Nachsatz wäre? Im nächsten Moment schon der Kontrast natürlich: Ein schlichter, etwas folkig angehauchter Indierocksong; einer, der mit dem Gefühl der Vollkommenheit scheinbar ganz beiläufig abrechnet, einer, der auf eine Hochzeit einen Selbstmord folgen lässt, am gleichen Tag noch, nicht ohne dass die Protagonistin vorher noch aufgeräumt hat: "Arriving late, you clean the debris / And walked into the angry sea / It felt like falling in love again".
Und weil es hier um Momente geht, bricht der nächste Song ganz momentan und unvermittelt über uns herein, kraftvoll und für diese Platte ungewöhnlich laut, als ein einziger Strom gedanklicher Bilder, als Strom einer verlorengegangen geglaubten Kontinuität von stets nur als gegenwärtig empfundenen Momentmosaiksplittern, in deren Rausch die Veränderung gar nicht wahrnehmbar war: 'We Looked Like Giants'.
Momente, Momente, Momente. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Man fühlt sich ein, spürt diesem und jenem nach, meint, zu verstehen. Und vielleicht klingt alles doch ganz anders in uns nach. Weil wir verschieden sind und weil die Wahrnehmung ein Trickspiel ist. "And when I see you / I really see you upside down / But my brain knows better / It picks you up and turns you around".
So wie eine Schallplatte. Diese hier birst an den Seiten, dort wo die Augenwinkelwahrnehmung aussetzt und die Impulsverarbeitung einsetzt, und wenn sie die Wahrnehmungsschwelle erst einmal überschritten hat, saugt sie alles in sich auf, das gesamte Spektrum der Gefühle, von A bis Z, und das nicht nur in 'A Lack Of Color', auch wenn an durchsetzungsstärkere Klänge gewohnte Gemüter "Transatlanticism" vielleicht anfangs als farblos wahrnehmen könnten. Es ist nur eine Frage der Geduld. "I should have given you a reason to stay". Dranbleiben! Und wenn es das erste Mal seit Jahren ist...
Dies ist Fakt, nicht Fiktion.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Eike Schmitz