DEUS - Pocket Revolution
Mehr über Deus
- Genre:
- Allround
- Label:
- V2 Records International
- Release:
- 02.09.2005
- Bad Timing
- 7 Days, 7 Weeks
- Stop-Start Nature
- If You Don't Get What You Want
- What We Talk About (When We Talk About Love)
- Include Me Out
- Pocket Revolution
- Nightshopping
- Cold Sun Of Circumstance
- The Real Sugar
- Sun Ra
- Nothing Really Ends
Aus der Stille heraus kommt ein Geräusch auf uns zu. Ein Kometenschweif, ein Bomber, ein Nebelchen? Nein. Nicht gleich so schwarz hören. Das Geräusch, was über einem zu schweben scheint, ist der Einflug zu 'Bad Timing'. Das ist der erste Song des Albums "Pocket Revolution" der formidablen belgischen Institution DEUS. Und das erste interpretierbare Rauschen weist unverzüglich auf die bildgewaltige, vor Andeutungen und Zweideutigkeiten strotzende Sprache der Belgier hin. Die Veröffentlichung dieses nunmehr fünften Silberlings liegt zwar schon knapp ein Jahr (2005) zurück, aber trotzdem soll dieses Kollektiv um Mastermind Tom Barman hier gesondert hervorgehoben werden.
Der wie immer locker organisierte Trupp besteht wieder gänzlich aus ganz anderen Musikern als bei jedem anderen der bisherigen vier Alben. Lediglich Klaas Janzoons ist erkannt. Neben dem DEUS-Chef Barman ist allenfalls er auf allen weiteren Alben der Antwerpener zu finden. Auf "Pocket Revolution" violiniert, keyboardet oder perkussioniert er neben einer großen Anzahl von Gastmusikern. Die lange Liste der Mitwirkenden, die sich da im Studio auf den Füßen gestanden haben müssen, liest sich teilweise wie ein mittelgroßes Klassikensemble. Wie es diese Typen schon immer gehalten haben, versteht man DEUS eher als ein verformbares und nie feststehendes Grüppchen Musikbekloppter. In der Liste der Mitmacher aber tauchen bei genauem Lesen alle alten Bekannten wieder auf: Craig Ward, CJ Bolland oder etwa Stef Kamil Carlens.
Ich habe mit den Belgiern lange nix anfangen können, bis ich dann mal die Zeit fand und mir diese auch nahm, um mir ein Album dann mal in Gänze zu Gemüte zu führen. Und wenn das mal passiert ist, platzt unweigerlich der Knoten. Unter Garantie. Letztes Opfer musikalischer Hochwertigkeit ist mein Cousin (Grüße, Micha!). Das Hören der Vielfalt, vereint in nur einer Band, hört dann auch so schnell nicht mehr auf. Außerdem ist bei DEUS kein Song wie der andere, nur anhand der teilweise mal vier Sänger gibt auf groteske Weise einen gewissen Wiedererkennungswert. Meine ebenfalls angesteckte Schwester sagte mal, das sei warme Musik. Ich glaube, das trifft's eigentlich am besten. Geprüft seien hier die wunderbaren 'Include Me Out', '7 Days, 7 Weeks', oder 'The Real Sugar'. Es gibt kaum einen besseren Grund, sich zurück zu lehnen.
Führt man sich dazu einmal die raren Bandphotos zu Gemüte, so nehmen einen jeweils recht zerlebte Jungens ins Visier. Und ums mal so zu sagen: Es gibt derer Typen viele mehr als diese alltäglich medial Angebeteten. Glatt gestrichene und pedikürte Fresschen. Stimmt ja gar nicht. DEUS sind näher dran am Leben, sozusagen. Das erste Ohr sagt uns meist, dass das etwas sperrige bis disharmonische Musik ist. Das zweite, dritte, siebte dann offenbart Idee und Spielerei neben Improvisation und Professionalität. Natürlich wird die gute alte E-Gitarren-Wand nicht umfahren. In Songs wie 'Sun Ra', 'Bad Timing' und vor allem 'If You Don't Get What You Want' tragen gut gesetzte und sich kontinuierlich steigernde Riffs die Struktur. Der elektronische Part ergänzt die rhythmisierenden klassischen Bandinstrumente und webt weich wärmende Ebenen ein. Eher sind das wohl Nebelnetze, die durchlässig scheinen für jegliches noch so kleine Geräusch. Immer wieder piekt ein Geiglein in den Elektroteppich, schweift eine Flöte in den Refrain. In 'Nothing Really Ends' tropft eine Akustikgitarre in einen Bossa Nova, und Tom Barmans Organ schneit leise herab. Wie auf Bestellung sieht man sich in einem französischen Film Noir, denn die Hauptdarstellerin summt und gainsbourgt sich ein, in diesen traurigen Abschluss einer so schönen Platte.
Nun fesselt mich sämtlicher DEUS-Output schon seit einigen Jahren und es lohnt auch, den diversen Neben- und Seitenprojekten der einzelnen Mucker hinterher zu spionieren: MOONDOG JR., ZITA SWOON, MAGNUS oder auch LILIUM sollen hier nur exemplarisch angeführt werden. Elemente dieses weit gespreizten Kosmos finden sich immer wieder, wenn die Zeit reif ist für ein neues DEUS-Album. Nochmals gilt es Unkenrufe zu erwürgen: Der Einsatz der besten Erfindung der Humangeschichte, nämlich der an Strom gestöpselten Gitarre, wird hier in hohem Maße und sehr virtuos betrieben. In 'Stop-Start Nature' rumpft Barmans sonorer Gesang auf einem Treiberiff, welches ausbricht und wieder verschwindet. Andernfalls dann groovt sich ein düsteres 'What We Talk About (When We Talk About Love)' durch die Gedanken und produziert damit ein bis zwei Textzeilen, die sich dazu eignen, im Kopf über Wochen hinweg zu hängen. Ohrwurm sozusagen.
Ambitionierte Musik, wie immer, schon heute ist das hier der dritte Durchlauf dieser Scheibe. Mal sehn, 'Nightshopping' überhöre ich lieber, der Titelsong hingegen fasst exemplarisch zusammen, welche musikalische Komplexität man zu intonieren im Stande ist. Ein "Hach" gehaucht, ein warnender Bass, zickiges Geräuschesammeln mit Streichern, Tropfen, alten Synthesizern, ein Gemeinsam-Refrain, in dem viele Stimmen mitsegeln dürfen. Ein Zwischenspiel, in dem sich ein jeder Instrumentalist auslassen darf, das "Hach" dann fordert Ruhe ein und ein leises Klingeln und Tom Barmans Saiten lassen alles ausklingen. Dass hier die Verbindung aus allem oberste Prämisse ist, das sieht man deutlichst live, denn da schunkeln in unmittelbarer Nähe eines schmuddeligen Bassisten gleich mal drei flämische Saitengreifer herum. Daneben Violine, Schlagzeuger und immer wieder Neue. Schön, nie langweilig. Der Hang und der Drang nach neuen Ausdrucksformen lassen kaum ermüdende Wiederholungen zu. Nachlässig ist DEUS in der Suche nach dem perfekten Song nie geworden.
Apropos Reduktion: Wer kennt nicht diesen obligatorischen Indie-Dissen-Hit 'Suds and Soda'? Ja, ja, der mit Ausbruch und der hektischen Geige und Mitgröhlfaktor knapp über 6,5. An dem werden's wohl leider immer gemessen werden, die Armen. Dem ist entgegenzuhalten: DEUS sind eine der vielseitigsten Bands unseres Zeitalters.
Anspieltipps gibts nicht.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben