DILLINGER ESCAPE PLAN, THE - Ire Works
Mehr über Dillinger Escape Plan, The
- Genre:
- Mathcore
- Label:
- Relapse/Rough Trade
- Release:
- 09.11.2007
- Fix Your Face
- Lurch
- Black Bubblegum
- Sick On Sunday
- When Acting As A Particle
- Nong Eye Gong
- When Acting As A Wave
- 82588
- Milk Lizard
- Party Smasher
- Dead As History
- Horse Hunter
- Mouth Of Ghosts
DILLINGER sind zurück und auch gleich wieder weg, entschwunden in ihrer eigenen Parallelwelt. Die Aufnahme der Verfolgung bringt nichts, man kommt sowieso nicht hinterher. Wer's dennoch versucht, fällt umgehend auseinander oder tut sich zumindest ziemlich weh. Schmerzloser (wenn auch nur geringfügig) sind Platten wie "Ire Works", die von den Ami-Aliens zurückgelassen werden. Platten, die Normalsterblichen, die atmen, schlafen, essen und trinken müssen, zumindest einen Eindruck davon verschaffen, wie es wohl ist, DILLINGER zu sein und in einer Umgebung zu leben, die aussieht, als hätte sie Dalí gemalt, während ihm seine Frau Gala in regelmäßigen Abständen mit 'nem Rasentraktor über die Füße fuhr: Fließendes wurde schon lange durch Abgehacktes ersetzt, Rundes durch Eckiges, nicht im Geringsten Gesundes durch unheilbar Krankes.
Wer noch nie mit den New-Jersey-Epileptikern in Berührung gekommen ist und trotzdem glaubt, schon alles gehört zu haben, sollte sich von der Rechts-links-Kombination 'Fix Your Face'/'Lurch' den Horizont erweitern lassen. Danach ist nichts mehr, wie es einmal war. Totale Ablehnung oder bedingungsloses Durchdrehen - andere Optionen stehen auch 2007 nicht zur Auswahl. Aber egal, wofür man sich letztlich entscheidet, dem Quintett gebührt in jedem Fall allergrößter Respekt. Respekt für seine Konsequenz, Respekt für seinen Innovationsgeist und Respekt dafür, dass es die letzte, bis an die Zähne bewaffnete Verteidigungslinie gegen mittiges, glattes, auf Verträglichkeit getrimmtes Musik-Gerümpel bildet.
Konnte man den Gestörten zu Anfang ihrer Karriere noch vorhalten, dass sie gezwungen chaotisch klingen, sind sie inzwischen eins mit dem Chaos, sie kontrollieren es und lassen es nach Belieben losbrechen - kompromisslos wie eh und je und mit der spontansten Form totaler Übersicht. Dabei spricht aus jedem Ton absolute Hingabe. Die Eruptionen 'Nong Eye Gong', '82588' und 'Party Smasher' klingen, als wären sie unter Dauernasenbluten eingespielt worden. Und dass sich die Kerle tatsächlich nicht schonen und dem Wort "ausklinken" eine neue Qualität verleihen, wird offenkundig, wenn sie 'ne Bühne betreten und abgehen, dass einem die Glotzkugeln rausfallen.
Der Lobotomie-Core, der zu spastischen Zuckungen verleitet und Antrieb für die (selbst-)zerstörerischen Live-Perfomances ist, markiert schon lange nicht mehr das Ende dessen, was bei den Jungs erlaubt ist. Noch ungehemmter als auf dem 2004er "Miss Machine" erweitern sie ihr Spektrum auf "Ire Works" um High-Tech-Break-Beats, rock-'n'-rollige Riffs, verfremdete Mariachi-Gitarren-Einschübe, Bläser und bedrohliche Soundscapes. Das resultiert in dem fast PITCHSHIFTER-artigen 'Dead As History', den lässigen Hits (!) 'Black Bubblegum' und 'Milk Lizard', dem von Bar-Jazz bis Latino-Tänzeleien aus der Twilight Zone alles beinhaltenden 'Mouth Of Ghosts' und der nicht mit Worten zu beschreibenden Kreativitätsexplosion 'Sick On Sunday'.
Motiviert von der Leistung seiner Mitaußerirdischen schwingt sich Kampfbrüller Greg Puciato endgültig in die Liga des Förderers Mike Patton (ex-FAITH NO MORE) auf, was eine unbequeme Frage reifen lässt: Darf man hier an einigen Stellen von Eingängigkeit reden, ohne dass Schreckliches passiert und alle Menschen plötzlich Joey DeMaios IQ aufweisen? Man muss es darauf ankommen lassen, denn der kleine Sänger überzeugt mit fabelhaftem, unglaublich wandlungsfähigem Clean-Gesang und starken Melodielinien, die Substanz haben und sich festsetzen. Sollte deshalb irgendjemand "Sell out!" krakeelen: einfach mal gucken, ob die Pillen nicht doch schon abgelaufen sind, und nachdenken, was es bedeutet, extrem zu sein.
"Ire Works" beschließt das Musikjahr mit einem Donnerschlag, und gleichzeitig hat es eine beruhigende Wirkung: Solange es solche Scheiben gibt, die von Durchgeknallten wie den DILLINGER ESCAPE PLAN-Patienten gemacht werden, schafft es auch die armseligste Reunion nur kurzzeitig, den eigenen Aggro-Pegel in den kritischen Bereich zu treiben. Dafür ein herzliches Dankeschön!
Tipp: sich von dem Opener 'Fix Your Face' in einen Strudel des Wahnsinns ziehen lassen.
- Redakteur:
- Oliver Schneider