DIRGE - Alma | Baltica
Mehr über Dirge
- Genre:
- Post Metal / Atmospheric Sludge
- Label:
- Division Records
- Release:
- 15.12.2017
- Alma
- Red Dawn Tibesti
- Black Shore
- Baltica (Sine Time Reoscillated)
- Pure
Ein kaltes Raunen, eine leise Vorahnung...
Grenzen verschwimmen, zerfließen, zwischen greifbarer Wahrnehmung, hypnotischen Wachträumen, unbewusster, unklarer Vorahnung. 'Alma'. Beständiges, strömendes Rauschen erweckt ein Déjà-vu, gleichwie der Herbstwind der Luft einen altbekannten Geschmack verleiht. Äußere Kälte, die wohlige innere Wärme ins Gedächtnis ruft. Erstorbene Landschaften, die Mensch, Tier, Pflanzen, das Leben nur als nachhallende Erinnerung, als fernes, verblasstes Bildnis in ihren Schatten erahnen lassen. Dann ein brutaler Perspektivwechsel: 'Red Dawn Tibesti'. Tief im Inneren einer Welt, deren Oberfläche seit Äonen leblos, aber dem Geiste nicht gänzlich verloren vor sich hin existiert, regt sich etwas: Pulsierend, wabernd, immer ungestümer, je tiefer der Verstand eindringt in diesen nie gesehenen, gehörten Kosmos jenseits des Lichtes. Und greifend, tastend, ungeduldig hastet er hinterher, hinter jeder Ecke, jeder Wendung in diesem glimmenden Labyrinth die Urheber dieses Umtriebes erwartend, erhoffend. Stimmen echoen aus immer ferner entweichenden Quellen, je lauter die Urklänge dieser einschüchternden, unsagbar uferlosen Welt durch ihre unterirdischen Gänge hallen. Unerwartet führt der Weg an ein Ziel, das älter zu sein scheint als jeder Zeitbegriff, an die Gestade eines schwarzen, stillen Gewässers. Erste Quelle oder letztes Ziel? 'Black Shore.'
Den französischen Post-Metal-Veteranen DIRGE gelang 2014 mit "Hyperion" die musikalische Zustandsbeschreibung eines Universums jenseits aller menschlicher Emotionen, eine Art Soundtrack für die Epoche nach dem Verschwinden des menschlichen Geistes – ein Kunstwerk also, das ich seinerzeit in ahnungsloser Einfalt noch peinlich unterbewertet habe. Nun kündigen die vier grimmigen Herren, die sich für ihre Musik genauso viel Zeit lassen wie ihre Musik selbst Zeit erfordert, ein neues Kapitel an – und bevor sich das nächste, vermutlich epochale Werk einstellen wird, schieben sie mit "Alma | Baltica" eine EP vor: rein instrumental gestaltet, soll sie die dunkelsten, experimentellsten, industriellsten Seiten des DIRGE-Soundes zeigen. Und was Marc, Alain, Stéphane und Luz sich vornehmen, wird natürlich mit geballtem Ernst umgesetzt: "Alma | Baltica" ist genau genommen kaum mehr Musik, vielmehr ein Ambient-Klangteppich aus Klängen, dronigen Effekten, angedeuteten Hintergrundgeräuschen. Minimalistische Stahlsaitertöne, beinahe vollständiger Verzicht auf Rhythmik und die Abstinenz des DIRGE-typischen, markant-röhrenden Sprech-Geschreis erschweren den Zugriff auf den Fünftracker ungemein.
Als atmosphärische Zustandsbeschreibung kann "Alma | Baltica" betrachtet werden, als unscharfe Vorahnung auf das kommende Werk ebenso, aber auch als Ansammlung von Ambient-Zwischenspielen, die in Kombination kaum mehr vermögen als dezente Beklemmung bei der Hörerschaft hervorzurufen. Ich gehe davon aus, dass die vier Herrschaften genau wissen was sie tun, warte weiter gespannt auf das nächste Album, und versinke indes, wenig begeistert und dennoch fasziniert, ahnend, wissend, in der zerfallenden Schau eines Kosmos, der hinter immer stärkeren zwischendimensionalen Verwerfungen einen Blick gewährt auf etwas gänzlich... Neues? Uralt Bekanntes? Ursprüngliches? 'Baltica (Sine Time Reoscillated).' Erfassen kann es der Verstand jedoch nicht. Die Zeit zerfließt zu einer endlosen Fläche, über der sich ein Licht erhebt, mehr Zustand, mehr Geist als Welle – und sämtliche Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen lösen sich auf. Vollständig. Endgültig. 'Pure.'
- Redakteur:
- Timon Krause