DIRGE - Lost Empyrean
Mehr über Dirge
- Genre:
- Post Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Debemur Morti Prodctions
- Release:
- 14.12.2018
- Wingless Multitudes
- Hosea 8:7
- Algid Troy
- The Burden Of Almost
- Lost Empyrean
- A Sea Of Light
- Sarracenia
Zurück aus der Zukunft
Der Zeitreisende ist zurück gekehrt, der Weltenwandler, zurück aus einer Epoche, in der die Existenz der Menschheit nur noch als fernes Raunen des Windes in leeren, endlosen Weiten nachhallt, der die Ödnis des lebensfeindlichen Weltraumes, die bizarre Schönheit fremder Himmelskörper schaute – Orte und Panoramen, die ansonsten keinem menschlichen Auge zu sehen gestattet sind. "Hyperion" hieß es, dieses Meisterwerk aus dem Hause DIRGE, vor vier Jahren noch sträflich von mir unterschätzt, ein tiefschürfendes, hypnotisierendes Post-Metal-Album der Extraklasse, dessen Nachfolger ich in banger Ungeduld entgegensah. Was sollte nach dieser Zustandsbeschreibung der Postexistenz, dieser Klang gewordenen, aufwühlenden Emotionslosigkeit, noch folgen?
Nun sind sie zurückgekehrt, die vier Franzosen, und ihr neues Werk "Lost Empyrean" ist zunächst eines nicht: ein zweites "Hyperion". Der Protagonist, den wir diesmal erleben, ist vielmehr wütender Prophet, anklagende Nemesis der Wirklichkeit denn stoischer Betrachter der Postapokalypse. 'Wingless Multitudes' definiert gleich zu Beginn einen stärker im Metal verorteten Sound, mit METALLICA-Riffing in Zeitlupe, geerdeter und aggressiver als zuvor. Gewiss, auch diesmal darf der Weltenwandler entrückt in seine Schau der Transzendenz versinken, doch ist er zugleich der Welt zugewandt; seine lange Reise führt ihn zurück in eine Wirklichkeit, die in ihrer stumpfen Rohheit, ihrem wiederkehrenden Kreis aus Gewalt und Ignoranz schockiert und abstößt. 'Hosea 8:7' – wer Wind sät, wird Sturm ernten. Ein Weltuntergangsprophet, der sich mit der Vision, deren drohendes Eintreten ihn aufwühlt, aber nicht abfinden will.
Doch natürlich verliert sich auch "Lost Empyrean" im weiteren Verlauf fast völlig in langgezogenen, episch-sphärischen Doom-Klangpanoramen, in gemäldegleichen Kompositionen, die sich kurzfristiger Konsumbetrachtung völlig entziehen. Der vorab veröffentlichte Titeltrack mag durch seine Kompaktheit und Eingängigkeit zunächst irritiert haben, macht im Albumkontext jedoch absolut Sinn: ein Anker, ein Ruhepunkt, eingebettet in das zornig anklagende und von Zweifeln durchzogene 'The Burden Of Almost' und das völlig entrückte, schwelgerische 'A Sea Of Light'. Vor der nicht greifbaren Endlosigkeit des Alls und seiner schroffen, lebensleeren Welten mag der menschliche Geist verstummen – zurück am Ort seiner Inkarnation, konfrontiert mit dem frevelhaften Treiben der Menschheit, erwacht die Seele wieder zum Leben und sieht sich unweigerlich dem Spannungsfeld aus mosaischer Wut und der befreienden Erkenntnis der Vergänglichkeit allen Strebens ausgesetzt.
Zwar profitiert DIRGE zuletzt von der Trägheit der Konkurrenz (außer ATLANTIS' "Ildlaante" ist mir in den vergangenen Jahren kein konkurrenzfähiges Werk zum Schaffen DIRGEs begegnet), doch vor allem trägt auch "Lost Empyrean" schlicht und ergreifend die unverkennbare, brillante Handschrift dieser vier Metal-Monolithen. Ja, das Album hat mich überrascht, an einigen Stellen zunächst sogar enttäuscht, doch je länger, je nachhaltiger sinken die sieben neuen Tracks in mein Bewusstsein ein. Bei DIRGE geht es nicht einfach um musikalische Unterhaltung – der Sound dieser Truppe hat etwas Zeitloses, Philosophisches an sich, und "Lost Emyprean" setzt die surreale Reise mit den Franzosen auf eindrückliche Weise fort.
Womit endet die Rückkehr des Zeitreisenden? 'Sarracenia' ist zunächst noch einmal Ausbruch unbändigen Zorns, gleich dem Gottesurteil über Sodom und Gomorrha, doch dieser Zorn verliert sich mehr und mehr in friedvoller, versöhnter Verklärung. Ob es die Liebe ist, die schließlich den Sieg im ewigen Ringen der menschlichen Seele davonträgt, ob die Erleuchtung in der befreienden, endgültigen Auflösung im Nirwana alles überstrahlt – wer weiß...
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Timon Krause