DIRGE - Vanishing Point
Mehr über Dirge
- Genre:
- Post Metal
- Label:
- Division Records
- Release:
- 26.03.2021
- Wounded Chakras (Mind Control Demo, 1995)
- S.N.T.D.F. (Dead Network Acces Demo, 1996)
- Bastard (unreleased Demo, 1998)
- East (unreleased, 2000)
- The Coiling (Falling Down Compilation, 2003)
- Submarine (unreleased, 2006)
- A Short Term Effect (THE CURE Cover, Lágrimas De Miedo 14 - Pornography Re-Heat Compilation, 2008)
- Sine Time Oscillations (Bonus Track from Elysian Magnetic Fields LP, 2011)
- Meure Menace (Dirge Remix, from the Picore's Assyrian Vertigo Remix CD, 2011)
- Below (Twist Of The Knive) (Unreleased, 2013)
- Absence (Bonus Track from Hyperion LP, 1014)
- Distance (Bonus Track from Hyperion LP, 2014)
- À Rebours (Unreleased, 2014)
- Abscence (Unreleased Remix, 2014)
- Carrion Shrine (Unreleased, 2018)
- Incendiary Dreams (Empyrean Reconstruction By Kill The Thrill, 2020)
- Hosea 8:7 (In The Hands Of Treha Sektori Remix, 2020)
- Epicentre (Unreleased Live Recording, 2005)
- The Endless (Unreleased Live Recording, 2005)
Üppiger Nachschlag aus dem Fundus einer großartigen musikalischen Laufbahn.
Der Albumtitel suggerierte es bereits, und spätestens mit der Presseinfo waren alle Zweifel beseitigt: "Vanishing Point" wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das letzte Lebenszeichen der französischen Post-Metal-Veteranen DIRGE sein. 2019 beendete die Band nach 25 Jahren emsigen Underground-Daseins ihre gemeinsamen Aktivitäten, hinterlässt der Nachwelt heuer aber mit einem prallen 3-CD-Paket, gefüllt mit Raritäten, Remixes und Live-Recordings, ein unerwartet reichhaltiges nachträgliches Vermächtnis.
"Vanishing Point" stellt in chronologischer Reihenfolge den Schattenwurf der musikalischen Laufbahn von DIRGE dar: Von den ersten Demos aus den 90ern bis zur Ausschussware des letzten regulären Albums "Lost Empyrean" liegt aus praktisch jeder Epoche der Bandgeschichte mindestens eine musikalische Rarität vor. So ist den ersten drei Songs noch deutlich die Industrial-Färbung der Anfangstage anzuhören; selbst THE PRODIGY-Elektro-Crossover schimmert bei den 98er Demos 'S.N.T.D.F.' und 'Bastard' durch. Ab dem Jahrtausendwechsel etablieren sich im DIRGE-Sound aber schon die Markenzeichen, mit denen die Truppe in den folgenden zwei Jahrzehnten die Definition eines eigenen Genres prägen sollte: Das bislang unveröffentlichte 'East' aus dem Jahr 2000 lässt die harten Industrial-Anleihen außen vor, reduziert das Tempo deutlich und lässt flächige, ausladende Gitarrenwände in den Vordergrund rücken; räumliche Weite, melancholische Melodieansätze, doomiges Tempo und nuanciert eingesetzte Soundeffekte stehen fortan im Mittelpunkt einer musikalischen Welt, die von DIRGE mitgeprägt und später als "Post Metal" definiert werden sollte. Bei den folgenden, entschleunigten und ausladenden Nummern 'The Coiling' und 'Submarine' werden die dynamischen Gegensätze subtil ausgebaut und zeitliche Anhaltspunkte ad absurdum geführt: 'The Coiling' nimmt sich zunächst fünf Minuten Zeit, mit sanften Akustikgitarren eine geradezu süßlich-friedliche Atmosphäre aufzubauen, ehe ab der Songmitte Marc T.s markantes Sprechschreien und verzerrte Riffs die Szenerie erschüttern; die Beschleunigung zum Ende hin ist auch aus heutiger Sicht immer noch ein ungewöhnliches Stilmittel. 'Submarine' ist endgültig musikalische Selbstvergessenheit: Unterwassermusik, 15-minütiges Schweben im Halbdunkel einer unbekannten Welt, wohlige Verlorenheit, die Auflösung jeglichen Zeitgefühls. Mit dem THE CURE-Cover 'A Short Term Effect' und dem "Elysian Magnetic Fields"-Bonustrack 'Sine Time Oscillations' endet die stilistisch recht abwechslungsreiche Scheiblette Nr. 1.
Qualitativ das Herz von "Vanishing Point" stellt aber der zweite Silberling dar. Hier wird das letzte Drittel des DIRGEschen Schaffens reflektiert, und deutlich hörbar haben die Franzosen am Ende ihrer Laufbahn ein qualitativ dermaßen unerreichbares Level erklommen, dass selbst die "Ausschussware" auf dieser Compilation teilweise um Längen besser ist als die Arbeit der Konkurrenz. 'Meure Menace' ist ein eher ungewöhnlicher Remix mit einem treibenden Schlagzeugrhythmus und verhältnismäßig schrillen Gitarren; ab 'Below (Twist Of The Knife)' erreicht die Dramatik aber wieder das gewohnte Terrain, wenn über zehn Minuten hinweg ein Spannungsbogen gedehnt wird, der, getragen von malmenden Riffs, verschleppten Grooves und einer monoton säuselnden Frauenstimme, so fesselt wie die regulär veröffentlichten Highlights der DIRGE-Diskographie. Hier kommt auch Marc T. wieder zu "Wort", was insofern erwähnenswert ist, als die instrumentalen Stücke auf "Vanishing Point" deutlich überwiegen - letztlich der einzige Makel dieser schmucken Sammlung. Es folgen nun einige Stücke aus der in meinen Ohren reifsten Schaffensphase der Band, die Zeit um den "Hyperion"-Entstehungsprozess. Während 'Abscence' eher instrumentales Füllwerk ist, vermögen 'Distance' und 'À Rebours' wieder richtig zu fesseln. Unbeschreiblich, wie sich letzteres Stück mehr als fünf Minuten Zeit lässt, bis sich allmählich die Rhythmusabteilung aus dem Hintergrund arbeitet und die Düsternis der ersten Hälfte in selige, warme Entrückung auflöst – die klangliche Echtzeituntermalung eines Sonnenaufgangs. Grandios! Und noch besser wird es mit 'Carrion Shrine', eine drückende, treibende Ausgeburt DIRGEscher Weltabgewandtheit, mit diesem unbeschreiblich fesselnden Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Stimmmonotonien und den unnachahmlichen Soundlandschaften, welche die Hintergrundszenerie eines jeden DIRGE-Songs bilden. 'Incendiary Dreams' ist eine abgewandelte Variante des 'Lost Empyrean'-Titeltracks, ebenfalls eine wirklich starke Arbeit. CD Nr.3 bietet schließlich 40 Minuten atmosphärisch stimmige Livemusik, bestehend aus den beiden Mega-Longtracks 'Epicentre' und 'The Endless', die unterm Strich aber unspektakulärer ausfällt als die beiden anderen Platten.
Musik der endlosen Weite, Musik fernster, unberührter Landschaften und Szenerien, bizarrer, lebensfeindlicher Welten wie der düsteren irdischen Tiefsee oder den leeren Tälern ferner Planeten - DIRGEs Musik regte stets die Fantasie an, lud zum Abtauchen, Nachsinnen, Entschweben ein. Dass diese großartige Band ihre Aktivitäten eingestellt hat, ist ein herber Verlust für die Metal-Szene, doch das Vermächtnis, das uns mit dieser Raritätensammlung hinterlassen wird, geht als Entschädigung mehr als in Ordnung. Bemerkenswert stimmig und einheitlich gemastered, steht "Vanishing Point" den regulären Alben der Franzosen qualitativ in beinahe nichts nach, und liefert noch das eine oder andere Schmuckstück aus dem DIRGE-Oeuvre nach. Ein würdigerer Schlusspunkt lässt sich ans Ende einer musikalischen Laufbahn kaum setzen!
- Redakteur:
- Timon Krause