DISILLUSION - Back To The Times Of Splendor
Mehr über Disillusion
- Genre:
- Melodic Death / Black
- Label:
- Metal Blade
- Release:
- 05.04.2004
- ... And The Mirror Cracked
- Fall
- Alone I Stand In Fire
- Back To The Times Of Splendor
- A Day By The Lake
- The Sleep Of Restless Hours
Das DISILLUSION-Debüt "Back To The Times Of Splendor" ist...
... ohne Worte...
Aber der Leser will ja Fakten. Hier sind sie: Nach den Minischeiben "Three Neuron Kings" und "The Porter" wurde es bis auf Live-Auftritte leicht still um die Leipziger von DISILLUSION. Die Anfangs-Euphorie versank wie der Eine Ring in Tolkiens Meisterwerk: Aber jetzt ist sie wieder da. Ein Album zu finden und alle Metalfans zu binden. Selten war ein Erstlingswerk so zwingend, so majestätisch, so unendlich mit dem Spirit gesegnet, den ein Metal-Album ausmacht. Später, wenn DISILLUSION einmal alt und grau sind, wir als Fans alt und grau sind, werden wir unseren Enkeln erzählen:
"Damals gab es ein Album. Es ward geschrieben von einer Band, die den Perfektionismus und den Willen zum Bezwingen von Soundbarrieren hatte. Die, wie durch eine Fügung des Schicksals, einen Deal bei Metalblade bekam. Eine Musicus-Truppe, die es sich erlauben konnte, viermal ihren Veröffentlichungstermin zu verschieben... Lieber Enkel, lege diese CD ein, auch wenn CD-Player heute schon angestaubt wirken. Die Musik dieser CD ist immer noch zeitlos..."
Play. Ein energisches Riff ertönt, der Sound ist wuchtig und brachial. Breaks verdichten sich zu einer aggressiven Melodie, Raserei wird daraus. Sänger Vurtox lässt mit seiner Trasherstimme die Anlage erschüttern und wir fiebern mit. DISILLUSION haben Wut beim ersten Song 'And The Mirror Cracked'. Schnell wird diese wütende Momentaufnahme von einem Midtempostück abgelöst. Und dann wieder Wut, Sänger Vurtox' Stimme ist ein Vulkan. Die Zahl der Melodien schnellt trotzdem nach oben. Der Song ist sperrig, keine Frage. Doch entfaltet er nach spätestens dem dritten Hören eine hyperventilierende Energie, die für die kommenden Stücke große Taten erwarten lässt. Selbst die langsameren Parts atmen maximale Energie, treiben die Emotionen nach oben und das Zeitempfinden in die hinterste Bewusstseinsecke. Schubladen? Nee. Manchmal denkt man an OPETH, manchmal an EMPEROR zu 'Prometheus'-Zeiten. Ein Stück ANATHEMA auch, sogar die genialen Melodien von DEATH in der Spätphase schimmern durch. Es sind große Bands, aus denen DISILLUSION ihre Inspiration schöpfen und aus denen sie ein unvergleichliches Gemisch aus Herzschmerz, Aggressivität und Hoffnung schaffen. Acht Minuten sind vorbei...
'Fall' rockt kurz, wird langsamer, das Schlagzeug bindet den Geist. Steigerung, ein Melodienbogen fliegt durch den Raum, melodische Death-Metal-Riffs schwirren um die Ohren. Thrashige Parts sprengen schließlich jeden Wortschatz. Ihr armen Musikschreiberlinge dieser Welt, wo sollen all diese Worte für die Beschreibung dieses Albums herkommen? Fünf Minuten dauert der 'Fall', emotional verstreichen Monate. Vurtox singt in diesem Stück charismatisch-klar, das "R" rollt.
Was für ein Riff am Beginn von 'Alone I Stand In Fires' - das kloppt jeden Kopf weg. Vurtox elektronisch verzerrt. Plötzlicher Umschwung zu einem melodischen Part, der ebenso fix von einem brutalen Death-Metal-Part abgelöst wird. Doch trotz solcher Kapriolen bleiben die Songs immer nachvollziehbar. Und lange hörbar: Hier ist keine Stelle zu lang gezogen, jedes geniale Riff erscheint selten, wirkt dadurch aber noch mächtiger, drückender. Und immer wieder der blöde Gedanke eines Schreibers: Was machen die Jungs eigentlich für Musik? Extremer Metal mit einem Maximum an Melodie, ohne sich dabei anzubiedern? Ein Klavierstück leitet über...
Zum WAHNSINN... MY DYING BRIDE wussten ja immer schon, dass eine Geige tiefe Gefühle erzeugen kann. Was DISILLUSION bei ihrem Titelsong 'Back To The Times Of Splendor' machen, grenzt schon an Körperverletzung. Dieses monumentale Stück Musikgeschichte beginnt mit einem der schönsten Streichparts, die ich jemals gehört habe und steigert sich in den folgenden vierzehn (!!) Minuten weiter. Notarzt! Brutale Parts führen Krieg, sanfte Stellen besänftigen wieder die Unruhe. Die Frage ist: Was muss dort in Splendor nur los sein, wenn die dauernd solche Musik zu hören bekommen? Wenn die Geige in einer solchen Weise mit aggressivstem Death Metal korrespondiert, dass selbst AT THE GATES nicht mehr weiter wissen? Wo Sphären entstehen, die in ihrer Komplexität das Ohr fast überfordern? Und trotzdem: DISILLUSION schaffen immer wieder den Spagat, den Hören nicht nur hemmungslos staunen zu lassen. Denn bangkompatibel ist auch ein Monolith wie 'Back To The Times Of Splendor'. Langsam bilden sich Schweißflecken schon aus purer Überwältigung, da hilft selbst das Vogelzwitschern im ruhigen Mittelteil nicht mehr.
Glücklicherweise folgt Wasser ('A Day By The Lake'). Musikalische Wellen, als Gitarren- und Keyboardsounds getarnt, verzaubern die Welt um den Lautsprecher. Wind kommt auf, das Schlagzeug bläst Böen in die Magie hinein. Vurtox' Stimme ist klar und ergreifend, erinnert kaum an die vorherigen Ausbrüche. Pathos ja, aber dezent in alles überrollende Melancholie gepackt. Wenn Mr. Akerfeldt von OPETH diesen Fünfminüter hört, wird sein Herz vor Freude Purzelbäume schlagen...
Der letzte Song, 'A Sleep Of Restless Hours', 17 Minuten. Ein Akustikpart leitet in ein unbarmherzig-schönes Riff. Breaks durchstoßen immer wieder den sich aufspannenden Melodiebogen. Doch da: Er wird erlegt, der Melodiebogen weicht purer Temposucht, kann aber doch noch obsiegen. Aber nur kurz: Vurtox growlt ihn nieder. Unmerklich hat sich der anfangs so sensible Songs gewandelt, ist zum Monster geworden. Plötzlich wird er aber wieder zum Sensibelchen. Muss das dort in Splendor genial sein. DISILLUSION sind aus dieser anderen Welt zurückgekehrt als janusköpfige Künstler, sie spielen mit unendlichen Gefühlen wie Zauberer. Der Refrain von 'A Sleep Of Restless Hours' ist ein Geschenk, eine Gabe für die Metalwelt, der sich erst elegisch festsetzt und in einer wilden Gitarrenorgie explodiert. Und noch nicht einmal die Hälfte des Schlafs der wilden Stunden ist erlebt...
Nur noch ein Wort:
Zeitlos.
Anspieltipps: Durchhören, wie Kino...
p.s. für die Erbsenzähler: Erst hinterher habe ich mitbekommen, dass "Splendor" eigentlich "Pracht" heißt und kein Land ist... Doch das ist nicht wichtig, weil es hier um DEN Film geht, den DU selber mit dem Album schiebst!
- Redakteur:
- Henri Kramer