DISILLUSION - Gloria
Mehr über Disillusion
- Genre:
- Progressive Metal
- Label:
- Metal Blade
- Release:
- 20.10.2006
- The Black Sea
- Dread It
- Don't Go Any Further
- Avalanche
- Gloria
- Aerophobic
- The Hole We Are In
- Save The Past
- Lava
- Too Many Broken Cease Fires
- Untiefen
Eine Warnung gleich vorne weg: Wer sich "Gloria" das erste Mal anhört, und dabei noch den Vorgänger "Back To Times Of Splendor" im Ohr oder im Hinterkopf hat, wird erst einmal überrascht aufhorchen, womöglich auch enttäuscht sein von der neuen Richtung, in die sich DISILLUSION auf ihrem aktuellen Album bewegen.
"Gloria" ist jedenfalls kein reines Metalalbum mehr, zeigt verschiedene neue Facetten im DISILLUSION-Sound und auch eine stärkere stilistische Vielseitigkeit. Die Band verblüfft mit immer wieder eingestreuten elektronischen Beats (man höre exemplarisch nur mal 'Aerophobic'), mit verzerrten Vocals und Samples und integriert Anleihen aus Gothic, Alternative und Industrial. Das Album klingt deutlich moderner als der Vorgänger und weist nur noch sporadisch Parallelen zum progressiven Death Metal früherer Tage auf.
"Gloria" baut eine ganz spezielle Atmosphäre auf und weiß mit zahlreichen Stimmungswechseln zu gefallen. Man muss sich zwar erst mal an die elektronische Schlagseite und den moderneren Sound gewöhnen, aber auch diesen Ingredienzien verleihen DISILLUSION eine spürbar eigene Note.
Der Gesang wurde sehr häufig verzerrt, es gibt einige gesprochene Passagen und Clean Vocals, Growls sind jedoch keine mehr zu hören (mit Ausnahme einer kurzen Passage bei 'The Hole We Are In').
Zugegeben, ein wenig sperrig klingt das an manchen Stellen schon, aber dafür bekommt man eben ein Album geboten, dass mit der Zeit wächst und auch beim zwanzigsten Hören noch interessant bleibt. "Back To Times Of Splendor" war da sicher ein bisschen gradliniger als der neue Output, das heißt aber nicht, dass "Gloria" konfus oder zusammen gestückelt wäre. Aber Genregrenzen und sonstige Barrieren fallen wie reife Früchte und machen Platz für ein unkonventionelles und spannendes Album.
Ich will jetzt gar nicht zu sehr in die Einzelkritik gehen (wem danach der Sinn steht, darf sich gern den Bericht zur Listening Session zu Gemüte führen). Ob es nun knackiges Riffing (z.B. 'The Hole We Are In', 'Don't Go Any Further'), Groovemonster ('Lava'), elektronische Beats ('Aerophobic' - was allerdings nach wie vor nicht meine Baustelle ist) oder balladesk-zerbrechliche Klänge ('Untiefen') sind - die Bandbreite, die auf "Gloria" zum Tragen kommt, ist wirklich beachtlich. Und trotzdem fügt sich das alles gut zusammen. Bei 'Don't Go Any Further' wippt der Kopf automatisch mit, die heftigen Ausbrüche setzen nicht nur einen gelungenen Kontrast zu den ruhigen Zwischentönen innerhalb dieses Songs, sondern auch zu den melodischen Stücken 'Dread It' und 'Avalanche', die um den Song herum platziert sind.
Auch 'The Hole We Are In', 'Too Many Broken Cease Fires' und der Titeltrack, der passend zum Titel von einem sakral anmutenden Intro eingeläutet wird, sind erstklassige Nummern, die mitreißen können, wenn man sich denn darauf einlässt und die allesamt mit einer gesunden Härte ausgestattet sind.
Auch wenn ich mich nach wie vor schwer tue, das Ganze mit Stilbezeichnungen oder Referenzbands zu kategorisieren, dürfte progressiver, modern klingender Metal, der auch die Bereiche Elektro, Gothic und Rock abgrast, in etwa die Richtung vorgeben.
Nun wird es sicherlich einige geben, die sich fragen, welcher Teufel DISILLUSION denn geritten hat, dass sie mit solch einem Album um die Ecke kommen. Immerhin war "Back To Times Of Splendor" ein absolutes Erfolgsalbum, man wurde bereits mit Szenegrößen wie OPETH verglichen und hätte es sich so wunderbar einfach machen können. Denn sicherlich wäre es für DISILLUSION ein leichtes gewissen, ein erstklassiges Album im Fahrwasser von "Back To The Times Of Splendor " raus zu werfen. Aber DISILLUSION sind eben keine Band, die den einfachsten Weg geht.
Nun könnte man natürlich trefflich darüber philosophieren, wie mutig oder karrierehinderlich dieser Schritt nun war, auf der anderen Seite vermitteln einem die drei Leipziger immer wieder, dass sie eigentlich gar nicht vor einer Wahl gestanden hätten, sondern hier tatsächlich mal von einer natürlichen Entwicklung gesprochen werden kann, die gleichzeitig die Haupt-Antriebskraft der Band darzustellen scheint.
Warum auch sollte eine Band mit einem solch ausgeprägten kreativen und innovativen Anspruch wie DISILLUSION sich auf einen eingefahrenen, vorgegebenen Weg begeben? Wir reden hier schließlich nicht vom neuen Album von CANNIBAL CORPSE oder SLAYER (ohne den besagten Bands zu nahe treten zu wollen). Wahrscheinlich gibt es gar nicht DEN einen DISILLUSION-Stil, und wenn doch, dann liegt der vermutlich näher an "Gloria" als an "Back To Times Of Splendor".
Wie auch immer, die Konsequenz, mit der hier altes über Bord geworfen und eine neue Ausrichtung zelebriert wird, wird mit Sicherheit unterschiedliche Meinungen hervorrufen. Ja, ich denke, bei diesem Album gibt es eigentlich nur hopp oder topp, Sekt oder Selters. Und aus DISILLUSION-Sicht kann man diese Polarisierung wohl mit einem einfachen "Ziel erreicht" auf den Punkt bringen. Und aus Fansicht kann die Empfehlung nur lauten: Hört euch "Gloria" in aller Ruhe und vor allem unvoreingenommen an und entscheidet selbst.
Anspieltipps: 'Don't Go Any Further', 'Gloria', 'The Hole We Are In' und als Härtetest 'Aerophobic'.
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer