GRIS - Á l'Âme enflamée, l´Äme constelée
Mehr über Gris
- Genre:
- Atmospheric Black Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Sepulchral Productions
- Release:
- 09.07.2013
- L'Aube (Instrumental)
- Les Forges
- Samsara (Instrumental)
- Igneus
- Dil
- Moksha
- Seizième priére
- Sem (Instrumental)
- Une éptiaphe de suie
- Nadir
Schwebend in Licht, getragen von Dunkelheit
Mit seinem zweiten Album "Il Etait Une Foret" (2007) konnte sich das Quebecer Duo GRIS einen sehr guten Ruf erspielen. Geboten wurde depressiv-atmosphärischer, nicht selten sehr eigenwilliger Black Metal. Nun folgt der lang ersehnte Nachfolger, ein 80minütiges Meisterwerk, verteilt auf zwei CDs. Auf ihrem neuen Album "À l`Âme Enflamée, l`Äme Constelée" präsentieren Neptune und Icare ein im Vergleich zum ohnehin schon recht eigenständigen Vorgänger signifikant entwickeltes Klangbild (ohne dieses wertend in Bezug setzen zu wollen), welches gleichzeitig beweist, wie vielfältig man innerhalb eines Sub-Genres operieren kann, ohne dabei an Identität zu verlieren.
Die wichtigste Neuerung stellt die Betonung akustischer Instrumente dar, sei es Konzertgitarre, Cello oder Violine. Letzterer kommt dabei eine herausragende Position zu, womit man gleichsam da ansetzt, wo man einst mit ‚La Dryade‘ das Debüt beschloss. Dabei wird sie nicht "klassisch" und auch meist wesentlich rauer und "archaischer", als in 'La Dryade' gespielt, was einen an A FOREST OF STARS erinnern mag. Schneller noch wird dem Hörer aber die Produktion auffallen. Der vollkommen übersteuerte Gitarrensound des ersten Albums gehört der Vergangenheit an. Man schuf ein sehr luftiges Klangbild, einerseits durch die nicht auf übermäßigen Druck bedachte Produktion, andererseits auch durch die Instrumentierung, die der Geige und Akustik-Gitarre großen Spielraum gewährt und gerne die E-Gitarre als Fundament, aber eher im Hintergrund laufen lässt. Auch inhaltlich und damit stimmungstechnisch gibt es offensichtliche Unterschiede. Es herrscht eine etwas positivere, schwebende Stimmung auf diesem Album, oft konträr zu der drückenden Depressivität von "Il etait...", ohne dabei aber mit melancholischen Momenten zu geizen. Bezeichnender Weise findet der Mensch auf diesem Album nicht statt, zumindest nicht offensichtlich. Verweise auf gesellschaftliche Phänomene wie auf dem letzten Album (Ansprache, Kinderlachen, selbst eine bestimmte Form von Musik bisweilen) fehlen gänzlich, auch die Titel der Stücke scheinen dies zu bestätigen. Mag sein, dass deswegen musikalisch besehen das groteske Moment von Stücken wie 'Cicatrices' hier fehlt – ohne aber vermisst zu werden. Auffällig sind dabei auch der Naturbezug, in dem man das Album in den Rahmen 'L`aube' (das Morgengrauen) und 'Nadir' (Fußpunkt, gegenüber dem Zenit) bettet, sowie religiöse Anklänge an Hinduismus bzw. Buddhismus, siehe Titel wie 'Samsara', sowie 'Moksha'.
Die Eckpfeiler bilden dabei vier zwischen 10 und 15 Minuten lange Stücke, welche um sechs weitere ergänzt werden, die hauptsächlich eher instrumentalen Charakters sind. Der banalen, in der Szene gängigen Rechnung "Instrumental gleich kein vollwertiger Song" – welche sich leider nur allzu häufig bewahrheitet – muss hier gleich doppelt widersprochen werden. Dieses Album vermittelt sich dem Hörer wie ein großes Gemälde aus Licht und Schatten, welches in sinnvolle Abschnitte gegliedert wurde ("LÀme…" hat in meinen Ohren einen sehr impressionistischen Charakter, in diesem Sinne sollte man am besten an den Genuss dieses Doppelalbums das eine oder andere Stück von Debussy hören). Gleichzeitig sind diese Abschnitte wiederum mit größter Sorgfalt und Liebe zum Detail komponiert, arrangiert und inszeniert worden. Zwar muten gerade die kürzesten Interludien oftmals etwas collagenartig, in Ambient abdriftend an, sind aber nie beliebig oder gar Füllmaterial.
Dynamik wusste das Duo schon vor einigen Jahren gelungen zu erzeugen und kann in dieser Hinsicht nochmal einen Fortschritt verzeichnen. Die Kompositionen sind verspielter und transportieren immer wieder eine selten gehörte Eleganz und andersweltliche Leichtigkeit. Trotz der großen bzw. langen Spannungsbögen, die immer wieder entwickelt werden, strotzen sie vor Detailreichtum und Abwechslung, ohne dabei überladen zu wirken. Das genretypische Mittel der Monotonie kommt nur bedingt zum Einsatz, nichtsdestotrotz entfalten die Stücke immer wieder eine immense Sogwirkung. Ein exemplarisches Beispiel für das Talent des Duos, unglaublich fragile Strukturen zu arrangieren und auch angemessen umzusetzen, ist bezeichnender Weise das ungewöhnliche und beeindruckende Schlagzeugspiel, welches sehr versiert und gefühlvoll (zu Beginn von 'Seizième Pière' kommen sogar Besen zum Einsatz), gleichzeitig aber auch rhythmisch vielfältig ist. Die obige Betonung der Leichtfüßigkeit vieler Stellen des Albums soll jedoch nicht vergessen lassen, dass dies unter allen Umständen ein Metal-Album ist, wenn auch ein ungewöhnliches. Die dunklen Seiten sind nicht vollends vergessen, der Schmerz in Sänger Icares Stimme ist immer noch greifbar und die Akkorde oft dissonant.
Ob die Band ihr Debüt übertroffen hat, muss jeder für sich feststellen, handelt es sich doch um einen nicht zu übersehenden Stimmungswechsel innerhalb ihrer Stilistik. Wo das Erstlingswerk in all seiner bedrückenden Schwere zwingend und unausweichlich war, braucht dieses neue GRIS-Album unter Umständen auch seine Zeit, um den Hörer vollständig gefangen zu nehmen. Nach wie vor erschafft man dabei alles andere als seichte, spannungsarme Musik. "À L`Âme Enflamée..." ist stets emotional berührend, ob nun aufwühlend oder sanft, und auch der Schrei wurde nicht aus der Musik der Kanadier verbannt – ganz im Gegenteil. Von einer 'Profonde Misanthropie' wie auf dem Debüt, ist hier jedoch nicht mehr viel zu spüren, wenn überhaupt, dann nur im Passiven, in der Weltabgewandheit, Das Duo scheint zumindest in künstlerischer Hinsicht eine einstweilige Katharsis und Frieden für dieses Werk gefunden zu haben. Das mag Verehrer von "Il Etait Une Foret" traurigerweise abstoßen, schenkt allen anderen, die Willens sind, dem ein Ohr zu leihen, mit Sicherheit eins der schönsten Alben des Jahres.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Christian Schwarzer