GRORR - The Unknown Citizens
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- Genre:
- Progressive Metal / Djent
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- ViciSolum Productions
- Release:
- 14.11.2014
- The Fighter - Pandemonium
- The Fighter- Facing Myself
- The Fighter - Oblivion
- The Worker - Don't Try To Fight
- The Worker - You Know You're Trapped
- The Worker - But Still Hope
- The Dreamer - Unique
- The Dreamer - A New Circle
- The Dreamer - Alone At Last
Ein Album wie ein Dostojewski-Roman
Bedrohliche Blechbläser, rhythmisches Gehämmer wie aus einem Stahlwerk und abgehacktes Djent-Riffing läuten eine der spannendsten Veröffentlichungen des allmählich ausklingenden Kalenderjahres ein. Inspiriert durch "The Unknown Citizen", dem (fast) gleichnamigen Gedicht von W.H. Auden, thematisieren die französischen Progressive Metaller von GRORR auf ihrem neuesten Langspieler das Schicksal von drei namenlosen Bürgern. Die ihnen gewidmeten drei Episoden verlangen dem Hörer ebenso viel ab wie die Lektüre eines Dostojewski-Romans, entsprechend hängt viel davon ab, wieviel Zeit und Geduld zum aufmerksamen Studium dieses ungewöhnlichen Albums aufgebracht wird.
Beim Erstkontakt mit "The Unknown Citizens" besteht hohes Frustpotential. Die drei jeweils viertelstündigen Episoden bieten keine eingängigen Hooks, keinerlei klar nachvollziehbaren Strukturen; die sperrigen Kompositionen erfordern immens hohe Aufmerksamkeit und den Willen zur geduldigen Entschlüsselung. Es ist vor allem die musikalische Vielschichtigkeit, die, wenn einmal im gleichförmigen Fluss des Albums entdeckt, zu fesseln beginnt: Die harten, an MESHUGGAH erinnernden Gitarrenklänge und die mathematisch-komplexe Rhythmik sowie die wütend-gepresste Stimme von Sänger Bertrand wissen gleich zu gefallen. Das metallische Grundgerüst wird von den Franzosen jedoch noch um weitere, in Teilen verstörende Klangelemente erweitert: Während 'The Fighter' vor allem von den orchestralen Blechbläser-Arrangements geprägt wird, fällt 'The Worker' mit dissonanten asiatischen Saiteninstrumenten und Begleitgesängen aus dem Fundus osteuropäischer (Roma?-) Musik deutlich exotischer und anstrengender aus. 'The Dreamer' wiederum beginnt mit dezenteren Ethno-Klängen und fernöstlichen Mönchsgesängen, ehe kurz über lang der Aggressionsgrad wieder erhöht wird. Faszinierend hierbei, wie die progressiv-metallischen Elemente eine völlig natürliche Symbiose mit den fremdartigen Einflüssen eingehen. Was GRORR hier abliefert, passt nicht in eine simple Schublade wie Djent oder Progressive Metal – "The Unknown Citizens" ist vielmehr ein musikkultureller Brückenschlag, der bei eingängiger Betrachtung seinesgleichen sucht.
Die vermeintlichen Nachteile eines solch komplexen Werkes liegen auf der Hand: Von Hörvergnügen kann bei GRORR nicht die Rede sein; die Band stellt mit ihrer romanartigen Erzählstruktur hohe Anforderungen. "The Unknown Citizens" ist unmöglich beiläufig konsumier- oder gar genießbar, will vielmehr über einen längeren Zeitraum studiert, verarbeitet, verdaut werden. Eine unnötige Schwäche bieten bei genauer Betrachtung übrigens die ziemlich schlichten Texte des Albums - da hätte ich bei einer solch philosophischen und sozialkritischen Thematik und Vorlage deutlich mehr erwartet. Andererseits vermögen das verwaschene Cover-Gemälde und die unheilvolle Musik tatsächlich eine Atmosphäre zu erschaffen, die man ohne weiteres den gesellschaftlichen Verwerfungen des beginnenden 20.Jahrhunderts zuordnen würde.
GRORR liefert mit "The Unknown Citizens" ein kontroverses, beileibe kein makelloses Album ab, verdient sich jedoch für den Mut zum Ausgefallenen und die faszinierend kulturübergreifende musikalische Arbeit ein dickes Lob. Es fällt nicht leicht, das Album weiterzuempfehlen – und doch sollte, wer immer sich ernsthaft mit anspruchsvoller Musik jeglicher Art auseinandersetzt, "The Unknown Citizens" gehört haben.
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Timon Krause