HIRSCH EFFEKT, THE - Urian
Mehr über Hirsch Effekt, The
- Genre:
- Progressive Metal / Artcore
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Long Branch Records / SPV
- Release:
- 29.09.2023
- Agora
- Otus
- 2054
- Urian
- Stegodon
- Granica
- Blud
- Eristys
Die Wucht weicht der Nachdenklichkeit.
Nachdem das HIRSCH EFFEKT-Trio selbst in den beengtesten Pandemiemonaten mit beeindruckender Vehemenz den Ausbruch ins Livehaftige vollziehen konnte und in dieser Zeit quasi nebenbei neues Material in EP-Form unters Volk brachte, steht im Herbst 2023 mit "Urian" endlich das sechste Studioalbum in den Startlöchern. Diesmal überrascht die Artcore-Formation mit einer neuen Gangart, an die sich der eine oder andere langjährige Fan wohl erst einmal wird gewöhnen müssen.
Nils Wittrock, Ilja Lappin und Moritz Schmidt fahren auf "Urian" den Härtegrad ihrer Musik deutlich zurück. Wenn in vier von acht Stücken vor allem atmosphärische, bisweilen komplett akustische Klänge dominieren, lässt sich durchaus von einer kleinen Zäsur im Bandsound sprechen. Aufs erste Hören lässt "Urian" folglich die erdrückende Wucht, die rasende, immer nur kurzzeitig unterbrochene Gehirnverknoterei vermissen, die seit "Holon : Agnosie" noch jedes THE HIRSCH EFFEKT-Werk dominiert hat. Dass mit 'Agora' und 'Eristys' zwei vollständig akustische Stücke das Album einrahmen, ist nicht ungewöhnlich. Doch mit 'Stegodon' und 'Granica' sind noch zwei weitere Songs enthalten, welche die Hannoveraner weitgehend von ihrer ruhigen Seite zeigen. Kommt da die irre Raserei, die jedes Konzert der Truppe zu einem geradezu infernalisch-orgiastischen Erlebnis werden lässt, nicht zu kurz?
Selbstverständlich lohnt es sich auch bei "Urian", am Ball zu bleiben und nicht vorschnell die Segel zu streichen. Für die gewohnte HIRSCH EFFEKT-Qualität und Trademarks stehen zwei Doppelpacks, namentlich '2054' und 'Urian' sowie 'Granica' und 'Blud': Bei '2054' legt die Band endlich - nach dem etwas langatmigen, spacigen 'Otus' - los wie die vielzitierte Feuerwehr und knüpft direkt an den kompakt knallenden Vorgänger "Kollaps" an. Nach etlichen Takt- und Tempowechseln, thrashigen Riff-Salven und irrsinnigen Bassläufen leitet die kurzweilige Nummer über in den Titeltrack, der eine gewisse Feierlichkeit an den Tag legt und mitunter fantastische Instrumentalabfahrten liefert, wenn Bass, E-Gitarre und Schlagzeug sich mit überschallschnellem Gefrickel und Metzeleien zu überbieten suchen. Wahnwitzige, hymnisch-dystopische Klänge aus einer Orwellschen Zukunft. Das ist THE HIRSCH EFFEKT at its best - ebenso wie die etwas getragenere Doppelnummer 'Granica' und 'Blud', bei denen die Band sehr gekonnt zwischen Besinnlichkeit, Tragik und Inferno balanciert: 'Granica' erinnert an 'Acharej' oder 'Cotard', die introvertierten Abschlussstücke von "Eskapist" und "Holon : Agnosie", verläuft sich jedoch nicht in klanglicher Unendlichkeit, sondern steigert unweigerlich den Härtegrad und bricht schließlich in 'Blud' aus, wo das Trio die Epik seiner früheren Hits und die Komplexität seines Gesamtwerkes unter einen Hut bringt.
Geschwächt wird der Gesamteindruck in meinen Ohren vom balladesken 'Stegodon', das gesanglich schlicht ausfällt und dramaturgisch nicht an ergreifende Kompositionen wie 'Emphysema' oder 'Inukshuk' herankommt, sowie vom bereits erwähnten 'Otus', das aufgrund fehlender Kanten im Sound, seiner schieren Länge und einer gewissen Ziellosigkeit im Hirsche-Universum bislang alleine steht. Unterm Strich mangelt es "Urian" damit sozusagen an der Dichte der bisherigen Alben.
Nach einigen Hördurchgängen kristallisiert sich aber auch bei "Urian" ein stimmiges Gesamtbild heraus. Der in der Summe deutlich heruntergefahrene Härtegrad und das Fehlen von zwei, drei weiteren "vollwertigen" Songs lassen bei mir allerdings eher "EP-Feeling" aufkommen, weswegen Hirsche-Output Nr. 6 in meinem persönlichen Ranking trotz der hier unten empfohlenen, gewohnt starken Nummern die vorderen Plätze der Banddiskographie verfehlt.
Anspieltipps: 2054, Urian, Blud
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Timon Krause