ISIS - Panopticon
Mehr über Isis
- Genre:
- Filigran Doom
- Label:
- Ipecac Recordings / Soulfood
- Release:
- 18.10.2004
- So Did We
- Backlit
- In Fiction
- Wills Dissolve
- Syndic Calls
- Altered Course
- Grinning Mouths
Ist es der anhaltende Regen, der konsequent Müdigkeit, nachdenkliches Sinnieren, das Starren in den Himmel fordert, oder greift da meine ganz individuelle Melancholie mal wieder mit ihrer Forderung ein, sich niedergeschlagen zu fühlen? Um gleich mal vorzubeugen: Hier schreibt keiner ein paar Sätze, der sich entmutigt von Tristesse und Zynismus hin zur angepissten Gesellschaftskritik hangelt oder gar von herbstlichen Depressionen heimgesucht wird. Nein, dies soll eher ein gehalt-gefühlvoller Beitrag sein zu einem musikalischen Phänomen, wwelches es scheinbar zunehmend schafft, sich in vielen Musikliebhabern zu manifestieren, die in diese Kunst auch noch Gefühl hineinstecken: hier in Form der letzten ISIS-Platte namens "Panopticon". Oft findet man ja die Querverweise auf Bands, die sich vorwiegend der hauptsächlich instrumentalen Gitarrenmusik verschrieben haben. MOGWAI, NEUROSIS, BROKEN SOCIAL SCENE, OSTINATO, um nur einige zu nennen. Nun jedoch hat mich ISIS ergriffen, mehrmals täglich lassen diese mich nicht mehr los.
Denn ein Kosmos wird dort angedeutet. Ein ganz eigener. Und doch kein eigener. Das Faszinierende vor allem an der Musik dieser Ernsthaften ist das Gefühl, welches selten so in eine tönende Form umgesetzt worden ist. Um es vorweg zu sagen: Diese knappe Stunde berührt mich, hat mich berührt und sie wird mich immer wieder berühren, das weiß ich ganz genau! Wertend: meine Platte des Jahres 2004.
Warum ich dieses hier schreibe? Es ist deutlich anzumerken, was Seltsames mit einem zwischen der zweiten und dritten Dekade seines Lebens passiert, der sich jener Musik zuwendet. Das Bild eines dahinströmenden, nie aufhörenden Flusses ist in meinen Augen fast folgerichtig. Der Faktor Zeit, das Fühlen von und das Wissen um das Unbedingte der Wahrheit "Zeit" wird niemandem verborgen oder besser erspart bleiben. So läuft "Panopticon" also wieder und wieder über meinen Kopfhörer. Denn ISIS ist persönlich. In so manchem Editorial wird empfohlen, sich mit Freunden über Musik zu streiten, das aber ist wirklich selten geworden. Konformistisch, wie wir alle zu sein scheinen, streiten wir uns eher "um" Musik: Wer legt bei der Party die nächste Platte auf, welche Story kommt auf unser Titelblatt? "... wenn dich die Musik stört, so mach ruhig wat anderet rein ..." hör ich mich so oft in meinem Auto sagen, wir wechseln zum Radio und nach zehn Minuten ändert sich meine Fahrweise, Laune verschlechtert sich, schon bald ist meine Weltsicht wieder eine negative. Die Belanglosigkeit der dargebrachten Musik ist erschreckend und hat es bald geschafft, zu nerven und mich grimmig zu machen. (Der irgendwie öffentliche Auftrag, in die Vielfalt der Musikwelt zu führen ... auweia, den muss ich gerade überfahren haben!)
Ich vergesse dann schnell, dass ich ja eigentlich Zeit habe, mir diese konzentriert nehmen muss, und dem entgegen nimmt die Eintönigkeit von Regeln wieder den Hauptteil meines Funktionierens ein. "Mitschwimmen" heißt das wohl. Bildlich besehen aber ist ein Mitschwimmen oder besser Sich-treiben-lassen auch anders möglich. Ich habe den unendlichen Vorteil, dass es in meinem Freundes- und Bekanntenkreis fast überwiegend Personen gibt, denen es nicht anders geht. Gemeinsam sprachlos, in sich gekehrt, dann nicht mehr sprachlos und überwältigt taumelten wir oft aus als Konzerte getarnten Gefühlsbezeugungen heraus an die kalte Luft, AEREOGRAMME, ANATHEMA, BOHREN & UND DER CLUB OF GORE, LOGH, THE FULLBLISS oder eben ISIS hinterließen und formten eine Gruppen von nebeneinander herumsinnierender Individuen. Aber - und das ist seltsam - die Grundstimmung war und ist immer fröhlich.
'Rats Of The Capital' zum Beispiel gebietet nur, andächtig zu lauschen, gleich um danach mein Bier mit einem Lachen auszutrinken. Irgendwie fasziniert und bestätigt es mich, verwundert mich aber auch gleichzeitig, dass diese eigentlich "böse" Musik nie einen depressiven Eindruck hinterlässt. Sie passt so gar nicht in das öffentliche Bild eines dynamischen, jungen Menschen hinein. Oder ist es die Abwehr dieser Vereinfachung von Gut und Böse, erfolgreich-erfolglos, Schwarz und Weiß, wissend und dumm, Israel und Libanon, was weiß ich noch alles. Feng Shui, Ying und Yang, Ausdruck importierten Halbwissens, lieber nicht! Da fällt mir, und ich hoffe, auch noch vielen anderen, diese Platte in die Hand.
Kaum mag ich das glauben, aber es scheint so etwas wie eine Bewegung zu sein, da sich vor allem junge Menschen zusammenfinden und sich dieser teilweise an Schmerzhaftigkeit grenzenden Hirnschau aussetzen. Man sieht sich an und fragt sich und die anderen: "Geht's dir auch so?" Aber wie eigentlich? Geht's einem schlecht, ist man zufrieden, ist man oberflächlich, nimmt man sich Zeit, ist alles in Ordnung?
Ich bin stolz, diesen Weg der Auseinandersetzung zu dieser Musik gefunden zu haben, dem fast programmatischen alten Alternativ-Hardcore-Mythos aus der eigenen Pubertät folgend, diesen nie ganz überwindend, bin ich auch froh, dass es Musiker meiner Generation gibt, die es schaffen, durch Töne, Akkordfolgen, Geschrei und Gesang, auch optisch, Gefühlsregungen zu erschaffen, von denen ich dachte, sie wären eigentlich etwas ganz Eigenes. Etwas "nur" - Inneres, Verschlossenes in einem selbst.
Ernsthaftigkeit - wenn man die Jungs von ISIS auf der Bühne beobachtet -, wie viele andere dieses Genres auch, eine unterdrückte Art von, na ja, "Wut" vielleicht, Konzentration, aber auch Scheu. Denn den Gesetzen auch eines Musikmarktes folgend, bieten sie auch nur ein Produkt in Form aufgenommener Platten an. Das wirklich Faszinierende, daher wohl auch die Ernsthaftigkeit, ist, dass es ihnen wirklich egal zu sein scheint, darum wissend, dass sie das Richtige tun. Eher zufällig die Gesetze des Marktes befolgend, verkaufen sich "ehrliche" Gefühle wohl besser.
Ich glaube dabei aber nicht an ein Kalkül, und das ist ein weiterer Pluspunkt für ISIS. Ich würde nie behaupten, hundertprozentiges Verständnis von Leuten, die ISIS sind, zu erlangen und schon gar nicht sofort bei den ersten Tönen von "Oceanic" oder "Celestial" oder eben "Panopticon" irgendwelchen philosophischen Erkenntnissen und Innerlichkeiten näher zu gelangen. Die Band als Gesamtkonstrukt wird erwachsen, doch als sie noch Kind war, haben ihre Kinder sich nie der umgreifenden Verdummung und Fremdbestimmung ergeben. Mit ihnen zusammen, nur räumlich und biographisch getrennt, sind unsere Erkenntnis und der Mut gewachsen, das Riesenangebot der Musik(-Industrie) als "völlig egal" einzustufen. Protest gegen all diesen Müll ist Pflicht, am eindringlichsten in meinen Augen durch einen ganz eigenen Boykott, indem ich kaum bis gar keinen Gedanken verliere an dass, was angeblich Tieferes hinter so vielen "Künstler und –Bandgeschichten" steckt.
Die Form von punktuellen Angriffen, z. B. in Form teilweise aggressiver Forenbeiträge, die meist die ganz eigene Oberflächlichkeit beweisen, da nur das eigene Empfinden die Hauptrolle spielt, bringt da gar nichts. "Über Musik diskutieren", das gibt es kaum noch, Musikproduzierende, denen man gedanklich folgen will, die im wahrsten Sinne des Wortes Eigenständigkeiten vorzuweisen haben, die kann man wohl an zwei Händen abzählen.
ISIS aber? Die lassen ihre Töne sprechen. Musik, die sich Zeit lässt und nimmt und dahinfließt, ein Dunkelblau, Fotos, die dazu einladen, mit ihnen an der Küste zu stehen und schweigend raus aufs Meer zu sehen. Da haben wir sie wieder, die Wasser-Metaphorik. Deuten ANATHEMA mit der bildlichen Gestaltung von "A Fine Day To Exit" noch das Endgültige und langsam Zerstörerische dieses Grundelementes an, indem sich jemand vom Meer holen lässt, so ist die Präsenz der druckvollen Hardcore-Elemente bei ISIS dem Umstand geschuldet, dass das übermächtige Wasser in seiner Unberechenbarkeit uns in seinen Gewaltausbrüchen so klein fühlen lassen kann. Deutung hin oder her, schnell begibt man sich in die Ausschließlichkeits-Falle.
Gesellschaftskritik, gar Demokratiekritik bei ISIS? Konsequent besehen schon! Die Botschaft ist, und sie ist nicht neu: Beachte die Regeln - doch bleib kritisch, wähle aus – friss nicht alles und vor allem: Nimm Dir Zeit für Dich selbst! ISIS haben nun die musikalische Begleitung dazu geliefert, und dank einer Technik, ohne die dies gar nicht ginge, können wir uns diese phänomenale Stunde immer wieder abrufen. Aber was ist schon eine Stunde?
Und wann schafft es schon mal eine musikalische Veröffentlichung, dass man sich beim Hören sofort zu sich selbst zurückbewegt und sich von dem, was einen sekündlich umgibt, durch teils weit ausschweifende Gedanken und Bilder innerlich entfernt. Und das aus einer melancholischen Grundeinstellung heraus. Hat man vergessen, dass es diese gibt, so erinnern uns diese fünf Musiker daran, dass die Essenz eines kritischen und vor allem ehrlichen Daseins von heute auch in der Musik liegen kann. In wirklich guter Musik.
Anspieltipps: Backlit, In Fiction
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben