JUDAS PRIEST - Sin After Sin
Mehr über Judas Priest
- Genre:
- Hard Rock
- Label:
- Col / Sony BMG
- Release:
- 22.10.2001
- Sinner
- Diamonds And Rust
- Starbreaker
- Last Rose of Summer
- Let Us Prey
- Call For The Priest
- Raw Deal
- Here Come The Tears
- Dissident Aggressor
Wohl kaum eine Band hat mein Verständnis von Heavy Metal so sehr geprägt wie JUDAS PRIEST. Später sollten sich noch BLACK SABBATH, MOTÖRHEAD, IRON MAIDEN und DOWN hinzugesellen, aber grundlegend waren nun einmal PRIEST und werden dies vermutlich auch immer bleiben.
Ihr Werk "Sin After Sin" aus dem Jahre 1977 aber hat mich am tiefsten und nachhaltigsten beeindruckt.
Vom reinen Songwriting einmal abgesehen, wäre da zum einen die hervorragende Produktion von Roger Glover (DEEP PURPLE) zu nennen: Warmer Bass und zurrender Gitarrensound sowie die durchweg homogene, gut ausgewogene Abmischung sorgen auch nach bald dreißig Jahren noch für ein angenehmes, ja geradezu zeitloses Hörerlebnis.
Oft liegt ein edler, dünner Hall auf den Instrumenten und auf Halfords Stimme, der sie gewissermaßen wie aus weiter Ferne über Wasser getragen daherklingen lässt.
Zum anderen wäre da Drummer Simon Phillips zu nennen. Die Band hat in ihrer mehrere Jahrzehnte überdauernden Karriere immer wieder andere Schlagzeuger angeheuert, und jeder mag da seinen persönlichen Favoriten haben; Tatsache ist, dass Phillips auf "Sin After Sin" meist knochentrocken, ja geradezu stoisch den Takt hält, was zum weit ausufernden Hardrock der Saiteninstrumente und dem epischen Gesang einfach hervorragend passt.
Bereits der Opener 'Sinner' zeigte nachdrücklich auf, wohin die Judaspriester den Rock auf ihrer gemeinsamen Reise durch die Jahrzehnte führen würden: In Richtung dessen, was später Heavy Metal geheißen wurde; ausgehend von rhythmisch tragenden Gitarrenriffs, die an den Biker-Rock von STEPPENWOLFs 'Born To Be Wild' erinnern, ließ K.K. Downing seine teils aufregend schrillen, teils flächig davontreibenden Licks züngeln, welche von Ian Hill mit einem saftigen Bass unterfüttert wurden. Glover legte die bereits erwähnten dezenten Halleffekte darüber, welche bisweilen an die damals gerade angesagte Dubtechnik erinnern, und auch Phillips leicht jazzig angehauchtes, softes Drumming in der ausgedehnten Bridge deutet gewissermaßen einen Reggaerhythmus an. All dies ist jedoch völlig harmonisch in einen klassischen Rocksound eingebettet, ebenso Rob Halfords sonore und mal warm, dann wieder glasklar und kühl klingende Stimme, die sich mühelos auch in höchste Tonlagen aufzuschwingen vermag und einen beißenden Touch in die bereits deutlich metallisch angehauchten Songs einbringt.
Gänzlich ineinander verschlungen führen uns der schnurrende Bass und die singende E-Gitarre in das JOAN BAEZ-Cover 'Diamonds And Rust', in dem Halford sein Sangestalent noch beeindruckend harmonischer an den Tag legen konnte. Baez' Abgesang an die zerbröckelte Beziehung zu Bob Dylan wird hier von JUDAS PRIEST zu einer allgemeingültigen emanzipatorischen Hymne erhoben, die auch losgelöst von ihrem ursprünglichen Kontext ganz wunderbar funktioniert. Das extrem flüssige Zusammenspiel aller beteiligten Musiker ist schlichtweg grandios; noch immer ist dies eines meiner liebsten Stücke aus den Aufnahmen der Band.
Ein saftiger Rhythmus groovt daraufhin den 'Starbreaker' ein. Das extrem eingängige Drumming und die frischen Handclaps versinken in satt röhrendem Saitensound, und darüber schwebt Halfords ergreifend schöne Stimme, die den Song weiter vorantreibt; sämtliche darin enthaltene Breaks kommen so wendig und selbstverständlich daher, dass man zwischen Lead, Chorus und Soloparts kaum noch zu unterscheiden vermag - zumal auch hier die Übergänge völlig flüssig vonstatten gehen. All das klingt so lässig, und die geniale Steigerung des Songs erfolgt so allmählich, dass seine stilprägende Härte zwar unterschwellig zum Tragen kommt, beim Hören selbst jedoch kaum noch auffällt; selten klang harter Rock so melodisch und elegant.
Mit 'Last Rose Of Summer' haben die Jungs einen lyrischen Kuschelrock hingezaubert, der auch heute noch seinesgleichen sucht; metallisch glitzernd, und dabei doch so leicht und sanft dahingetupft wie ein Aquarell. Die Gitarre singt, Halford säuselt und croont, während Bass und Schlagzeug locker im Hintergrund dängeln.
Nach diesen wunderschönen Rocksongs hebt das Album nun endgültig ab, indem es in seine zweite Phase übergeht ...
'Let us prey' wird von einem pathethisch gesungenen »Call for the priest, I'm dying ...« eröffnet; danach geht es mit galoppierendem Schlagzeug, treibendem Bassspiel und episch geschmettertem Gesang ordentlich zur Sache. K.K. Downings orgelndes Gitarrenspiel ergänzt Halfords Gesangslinien vorzüglich, die beiden laufen hier zeitweilig parallel und sorgen damit für Erhabenheit sowie ein Gefühl des Über-den-Wolken-Schwebens, - welches von einem verzerrten Solo sogleich in eine wilde Jagd überführt wird! Das Schlagzeug bringt den Sound zum Schäumen, derweil der Bass für die nötige Kontinuität sorgt ...
Die vom Coverartwork vermittelte Weite zieht sich übrigens als ozeanisch blaugrüner Faden durchs gesamte Album.
Leider gibt es hier nicht auch die Rückseite der Plattenhülle zu bewundern; nämliches ist um so mehr schade, als die psychedelische Wirkung des nun folgenden 'Call For The Priest / Raw Deal' hervorragend illustriert wurde von den dort abgebildeten, durch Erosion völlig zerklüfteten und zu einem flachen Etwas abgetragenen, dunkelgrauen Felsbänken inmitten einer ebenso unbewegten wie diffus giftgrünen Meeresoberfläche, mit dem ausgebleichten, aus leeren Augenhöhlen und mit starrem Blick zahnlos gen Himmel schauenden Schädel im Vordergrund.
Dieser von schwefeldunstigen Soli und zahlreich variierten, stampfenden Rhythmen durchsetzte, extrem spannungsreich, fordernd und langatmig in Szene gesetzte Sechsminüter zählt zum Progressivsten, was die britischen Stahlarbeiter jemals abgeliefert haben.
'Here Come The Tears' lässt es dagegen richtiggehend entspannt angehen: mit halbakustischer Gitarre, Piano und melancholischem Gesang. Doch PRIEST wären nicht PRIEST, käme es nicht auch hier wieder zu einer gewaltigen Steigerung; und so führen Halfords Stimme und Downings melodiös chrom-ummantelte Gitarrenarbeit den Hörer schon bald in den nächsten Gleitflug gen wolkenverhangenen Himmel und in die sich dahinter verbergende, bassdräuend doomige Ungewissheit.
Einen Prototyp des auf späteren Alben wie "Stained Class" zur Blüte gebrachten PRIEST-Sounds gibt es aber erst mit 'Dissident Aggressor' zu hören, einem wuchtig treibenden Werk von durchweg aggressiver Dynamik; als flink heruntergespieltes Finale bietet es einen gelungenen Abschluss für dieses ansonsten eher gediegene Meisterwerk.
- Redakteur:
- Eike Schmitz