KEEP OF KALESSIN - Reptilian
Auch im Soundcheck: Soundcheck 05/2010
Mehr über Keep Of Kalessin
- Genre:
- Epic Extreme Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Nuclear Blast
- Release:
- 14.05.2010
- Dragon Iconography
- The Awakening
- Judgement
- The Dragontower
- Leaving The Mortal Flesh
- Dark As Moonless Night
- The Divine Land
- Reptilian Majesty
Es ist ein Meisterwerk voller Epik, Schwärze und Majestät. Und bis zum Rand gefüllt mit Metal.
Im Interview antwortete Obsidian C. auf die Frage, ob er meint, dass sein Können und Talent von der Szene anerkannt werden, dass es gar nicht auf die Technik, sondern vielmehr auf gutes Können ankommt. Nun gut, etwas ausweichend antwortet der Gute da schon, dennoch weist er auf den Kern der Musik von KEEP OF KALESSIN hin: Es geht nicht um ausufernde Technikspielereien, sondern um schlüssiges Songwriting – und wenn man das noch mit guter Technik verbinden kann, was will man mehr?
Eben. Es gibt wenige Bands aus der norwegischen Szene, die eine derart zweigeteilte Geschichte hinter sich haben. Nach der Gründung 1993 dauerte es über zehn Jahre, bis die Band ihren einzigartigen Sound gefunden hat. Das dann allerdings auch mit einem Paukenschlag: 2006 erschien das Album, das für viele Fans das Highlight in der Geschichte der Band darstellt, "Armada". Epische Melodien, fettes, auf Power getrimmtes Riffing und melodische Arrangements gegenüber bösartigen Geschwindigkeitseruptionen schufen eine neue Art des Extreme Metals, der von KEEP OF KALESSIN innovativ in die Szene geschossen wurde. Ganz anders als die Vorgängeralben, die eher in die Richtung zwar melodischer, aber schließlich doch klassischer MARDUK-Prügeleien tendierten, entwickelte die Band ihren Sound auf dem Nachfolger "Kolossus" noch ein Stückchen weiter und erschuf ein neues Level dieses einzigartigen Sounds, ohne sich allzu deutlich selbst zu kopieren. Ob "Armada" oder "Kolossus": Beide Alben vereinen hinter sich ihre Fans, trennen sie vielleicht auch ein bisschen in zwei Gruppen, jedoch wird es wohl keinen KEEP-OF-KALESSIN-Hörer der neueren Schiene geben, der eines von beiden vollständig ablehnt – dafür sind die Alben viel zu gut.
Was ist eine Band, die es nicht schafft, sich fortzuentwickeln? Ein müder Abguss vormaliger Großtaten oder stagnierender Altherren-Fußball: In jedem Fall ist die Chance einer Enttäuschung bei derartigen Bands groß, wenn man sich auf das Dampfschiff der Sicherheit begibt, ohne etwas Neues zu wagen. Die Erwartungen zu "Reptilian" waren groß und der Dämpfer mit 'The Dragon Tower' ebenso – zumindest im ersten Moment. Faktisch ist es tatsächlich so, dass sich die Single, die im Zuge des Melodi Grand Prix in Norwegen veröffentlicht wurde, außerordentlich gut in das Album einpasst und dort eine wichtige Rolle einnimmt. Denn die Norweger haben ihr musikalisches Konzept ein weiteres Mal verändert. Während auf den beiden Vorgängeralben der schwarze Teil des Extreme Metals fokussiert wurde, sind die Heavy- und Thrash-Metal-Einflüsse auf "Reptilian" so präsent wie noch nie zuvor. Schon der Opener 'Dragon Iconography' macht klar, dass sich die Band wie ein nimmersatter Drache in der Musikwelt bedient und vollgefressen hat, um es als infernalisches KEEP-OF-KALESSIN-Feuer wieder auszuspucken. 'The Awakening' zeigt dann allerdings versöhnlich, dass sich die Band keineswegs neu erfindet, sondern vielmehr einen nächsten Schritt auf ihrer musikalischen Evolution einnimmt. Der Song hätte in großen Teilen auch auf "Kolossus" gepasst, würde er nicht diesen grandiosen Chor beinhalten, der den Song in zwei Teile teilt. Epischer, ja, fast transzendenter Klargesang gibt dem Song einen ganz eigenen Charakter und markiert eine weitere Neuerung: Die Verwendung von Chören hat sehr zugenommen, sogar Thebon erweitert seine klaren Passagen – allerdings nicht, ohne sich ebenso in Shouts, Growls und Screams zu ergehen. Doch auch der halbmelodische Shoutgesang – man möge mir die sperrige Formulierung verzeihen – der die Musik so einzigartig gemacht hat, ist als Trademark und Atmosphärengarant genauso auf "Reptilian" vertreten.
Auf der instrumentellen Seite hat sich wenig und dennoch verdammt viel getan: Denn man hört sofort, dass da das Kreativ-Duo Obsidian C. (Gitarre) und Vyl (Schlagzeug) ihr Szepter schwingen, der Wiedererkennungswert ist also wieder verdammt hoch. Nein, die Änderungen liegen viel mehr in der Einführung des größeren klassischen Metal-Anteils im Sinne von Thrash und Heavy. 'Judgement' ist eine dieser Granaten, die nicht nur deutlich weniger Blastbeats beinhaltet, als die meisten Songs der "Kolossus", sondern auch ein verdammt geiles Intro-Riff abfeuert, das wirklich direkt zum Moshen einlädt. Das Break ist dann voller Power, bevor der Feuersturm entfesselt wird. Ja, Mann, das macht Spaß! Und zwar eine Menge. Doch die Frage, inwiefern sich dieser Sound auf die Atmosphäre des Albums auswirkt, ist nicht nur berechtigt, sondern bei einer Band, die Epic Extreme Metal spielt, absolut notwendig. Was soll ich sagen? Die Zweifel werden mit jedem Durchgang aufs Neue zerschmettert – wenn man sich auf das neue Gewand einlässt. Möglicherweise wird die Band den ein oder anderen Fan vor den Kopf stoßen. Aber nur, wenn er sich dem Album nicht öffnet. Denn es sind all jene Elemente auf der Platte, die KEEP OF KALESSIN auch schon früher ausgemacht haben – nur eben erweitert um eine den Stahl hämmernde Faust voller Kraft und Direktheit. Spätestens, wenn die gezupfte Gitarre von 'Dark As Moonless Night' anklingt, und sich der Hörer über eine reinrassige Ballade und Ode an die Dunkelheit freut, nein, sich vielmehr Schauer um Schauer den Rücken herunterlaufen lässt, wissen die KOK-Anhänger und all jene, die es werden wollen, dass wir es erneut mit dem Geniestreich eines der kreativsten und besten Extreme-Metal-Gitarristen und Songwriters zu tun haben, die zur Zeit den Thron der Dunkelheit besetzen: Obsidian C.
Fazit: Es ist eine Premiere. Nach dem vielleicht fünfundzwanzigsten Durchgang hat das Album immernoch derart viel Potential, dass ich nicht nur jedes Mal von etwas anderem überrascht werde, sondern mich gleichermaßen auf jeden weiteren Durchgang freue. "Reptilian" ist hoch in die Wertung eingestiegen, hat aber eine Entwicklung freigesetzt, die ich so nicht erwartet habe. Die Einbindung neuer Elemente mach das Album zu einem Meisterwerk und weiteren Markstein in der Karriere von KEEP OF KALESSIN. Die zehn Punkte für das Album verteilen sich gleichmäßig auf Technik, Songwriting, Heaviness, Melodie und Produktion – und werden mit einer tiefstmöglichen Verbeugung vor diesem genialen Songwriter und Gitarristen Obsidian C. veredelt, der sich nicht zu schade ist, neue Wege zu beschreiten und dabei ein ums andere Mal Referenzen für ein ganzes Genre abliefert. Danke für dieses geniale Album.
Anspieltipps: The Divine Land, Dark As Moonless Night, Dragon Iconography
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Julian Rohrer