KNORKATOR - Widerstand ist zwecklos
Mehr über Knorkator
- Genre:
- Metal / Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Tubareckorz / Rough Trade
- Release:
- 13.09.2019
- Revolution
- Ein Wunsch
- Ring My Bell
- Rette sich wer kann
- Am Arsch
- Was du gibst
- Buchstabensuppe
- Untergang
- Krieg
- Behind The Wheel (Knorkator Version)
- Zu kurz
Aus Spaß wird Ernst?
Wir feiern fünfundzwanzig Jahre KNORKATOR. Seit 1994 (mit kurzer Unterbrechung) faszinieren die Berliner die einen und stoßen die anderen schon grundsätzlich ab. Mit viel Wort- und Musikwitz werkelt die Gruppe um Alf Ator und Stumpen an der eigenen Historie. Inzwischen wurde so viel Quatsch erzählt, dass den tatsächlichen Werdegang nur noch die Bande selbst (wenn überhaupt) auf die Reihe kriegt. Deshalb gehe ich über einen Rückblick lieber gleich hinweg. Viel spannender ist ja sowieso der Vorblick. Und das schreibe ich, während meine PC-Maus auf einem langsam ranzig wirkenden "Tribute To Uns Selbst"-Mousepad ruht.
Der Vorblick nämlich fällt auf ein neues Album! "Widerstand ist zwecklos" heißt das neunte Album der Fun-Coreler - und ja, anhand der gebotenen Qualität ist tatsächlich jeder Widerstand verloren. Also gar nicht erst versuchen, dem Wirbelsturm Stand zu halten. Doch - Moment! Etwas ist anders! Da reicht schon ein Blick auf die Trackliste: 'Rette sich wer kann', 'Krieg', 'Untergang', Heidewitzka! Das klingt gar nicht mehr so nach Friede-Freude-Eierkuchen(-wurf). Naja, zugegeben, Friedliches gab es aus Köpenick eh eher selten. Aber das klingt ja echt ernst, politisch, erwachsen...
Und ja, in gewisser Hinsicht ist "Widerstand ist zwecklos" auch politisch. Zwar immer mit einem Augenzwinkern und viel Spaß, aber es wird gelegentlich richtig düster. Doch zunächst startet man mit 'Revolution'. Das ist vom Aufbau ein typischer KNORKATOR-Song mit textlicher Aufzählung und flottem Tempo. Und brachialem Ausbruch, der an Zeiten von vor fünfzehn Jahren erinnern lässt. Und das dann im Refrain auch lyrisch. Ich bin jetzt schon gespannt, wer sich dieser etwas besonderen Revolution am Erscheinungstag anschließt. Und hoffe, den Geruch nicht live erleben zu müssen. 'Ein Wunsch' funktioniert da musikalisch recht ähnlich. Gesprochene Strophe - gebrüllter Chorus. Besonders glänzen kann hier die feine Rhythmusarbeit mit knalliger Bassline. Textlich wird es nun philosophisch, allerdings herunter gebrochen auf den Alltag. Was kann man mit einem einzigen Wunsch bloß anfangen, was nicht zu weiteren Wünschen führt?
Mit 'Ring My Bell' covert Deutschlands meiste Band der Welt anschließend den ANITA WARD-Klassiker von 1979. Wunderschön vom Halbtätowierten im Falsett vorgetragen und instrumental einfach cool eingespielt macht diese Version natürlich tausende Male mehr Spaß als das Original. Ein weiterer Beweis des hohen musikalischen Anspruchs, dem KNORKATOR immer schon zu jeder Sekunde gerecht wurde. Achja, das gegrowlte "Dingelingeling" ist nochmal ein besonderes Schmankerl. Hinter 'Rette sich wer kann' verbirgt sich dann mein persönlicher Schwachpunkt auf "Widerstand ist zwecklos". Der Refrain ist zwar wirklich toll in jeder Hinsicht, aber die Hardcore-Strophen gehen mir etwas auf den Senkel. Geifernd eingekreischt, ohne jeden Reim und Sinn für Satzästhetik. Ist vermutlich Absicht, passt ja zum ernsten Hintergrund (es geht immerhin so ganz ohne Witz um den offenbar unabwendbaren Weltuntergang), gefallen tut es mir dennoch nicht.
Viel stärker ist da 'Am Arsch'. Alf Ator sprechsingt sich wortgewandt und hochrhythmisch durch einen wirklich schlimmen Tag eines reichen Mitbürgers. Dahinter dramatischste Musik und zwischendrin Stumpens Refrain-Einwurf. Natürlich ein lustiger Song, aber gleichzeitig ein Musterbeispiel für das Verweben von Rock und Orchester - ganz toll! 'Was du gibst' ist eine wunderbare KNORKATOR-Ballade. Dabei wirkt manches 'Weg nach unten' entliehen, zunächst musste ich allerdings an 'Komm wieder her' denken. Nicht die schlechtesten Referenzen. Zumal hier ein ziemlicher Plottwist auf den Hörer wartet. Und auch beim wiederholten Hören, wenn der Witz schon längst erzählt ist, hört man noch gern zu. Aber das trifft ja im Grunde auf jeden Song der Diskographie zu.
'Buchstabensuppe' ist ein echter Stumpen-Song, so formulierte es Alf Ator in einem Interview mit den Kollegen von "Zephyr's Odem", bedeutet der Sänger hat hier alles geschrieben. Und das merkt man. Etwas derart Anarchisches kann eigentlich nur dem Hirn des Frontchaoten entspringen. Natürlich verbindet das Hirn des Fans den Song direkt mit dem anfänglichen Schaffen KNORKATORs (etwa 'Verflucht und zugenäht'). Der Songtitel kündet es schon an - 'Untergang' ist wieder ein ziemlich ernstes Stück Musik. Es geht um Klimawandel, Krieg und Krankheit, um den Untergang der Zivilisation. Ziemlich niederschmetternd. Und dabei musikalisch so schön. Hier wechselt sich der Gesang Stumpens mit dem seiner Tochter Agnetha und Alfs Sohn Tim Tom (mit Klargesang!) ab, die eine grandiose Leistung zeigen. Ich jedenfalls habe noch nie so schön das Wort "Hyperinflation" gehört.
'Krieg' ist gleich nochmal ein ernstes Stück. Ein textlich wirklich gelungenes Spiel mit Klischees und Sarkasmus und sicher einer der politischsten Songs aus Ators Feder. Und ein Song, der wegen seiner Atmosphäre und wegen des textlichen und nicht zuletzt musikalischen Qualität unbedingt gehört werden sollte. Ein weiteres klares Glanzlicht auf "Widerstand ist zwecklos". Mit 'Behind The Wheel (KNORKATOR Version)' verwandeln die Berliner einen typischen DEPECHE MODE-Schnarcher in ein dystopisch anmutendes Wunderwerk. Ziemlich elektronisch und trotzdem mit ausreichend Kante. Gefiel selbst Dave Gahan, der der recht eigenen Interpretation mit textlicher Ergänzung seine Zustimmung gab.
Mein Liebling hat sich allerdings ganz am Ende versteckt. 'Zu kurz' ist nicht nur der (logisch!) längste Song auf diesem neunten Album, sondern auch der - Entschuldigung - abgefuckteste. Zig unterschiedliche Ideen chaotisch durcheinander geschmissen sorgen für ein auch nach wochenlanger Beschallung verbleibendes Fragezeichen. Tim Tom brüllt sich die Seele aus dem Leib, Agnetha singt lieblichst, Gaststar Thomas D. darf über geile Lead-Gitarren rappen (und stört dabei nicht mal), es wird mal geswingt, im nächsten Moment brutalst gedrescht, und das beste: der Text ist völliger Nonsens. Ich bin schwer begeistert und beeindruckt von diesem Anarcho-Opus. So, jetzt habe ich wahrlich genügend Worte verloren. Kauft das Album! Das Booklet ist übrigens auch völlig irre. Also kauft es als CD.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Marius Luehring