KRUPPS, DIE - Vision 2020 Vision
Auch im Soundcheck: Soundcheck 11/2019
Mehr über Krupps, Die
- Genre:
- Elektro / Industrial / Darkwave
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Steamhammer
- Release:
- 15.11.2019
- Vision 2020 Vision
- Welcome To The Blackout
- Trigger Warning
- Wolfen (Her Pack)
- Extinction Time
- Carpet Crawlers
- Fires
- Obacht
- DestiNation Doomsday
- Alllies
- Fuck You
- Active Shooter Situation
- Human
Die Zukunft liegt in der Vergangenheit, aber man muss ja nicht für immer dort leben.
Seitdem Jürgen Engler zusammen mit Ralf Dörper und Rüdiger Esch vor vierzehn Jahren eine meiner Lieblingskapellen der Neunziger reanimiert hat, verfolge ich die seltsam mäandrierende Karriere der Düsseldorfer NDH- beziehungsweise deutschen Industrialpioniere aufmerksam. In den beinahe eineinhalb Jahrzehnten sind verschiedene Best-Of-Alben, ein Live-Werk und eine Remix-Scheibe erschienen, aber nur zwei echte Platten mit neuen Liedern. Das ist dürftig und ich prangere das durchaus an, aber dass die Band wieder die Musiklandschaft unsicher macht, ist schon aufgrund der Live-Auftritte einfach ein Glücksfall. Jürgen und seine Metall-Schlagbude sind live nämlich einfach großartig.
Jetzt rotiert bei mir das neueste Werk mit dem Titel "Vision 2020 Vision", das mit immerhin 13 Liedern (wieder) nicht kleckert, sondern klotzt. Von der alten Truppe ist, wie zuvor bereits bei "V - Metal Machine Music", nur noch Ralf Dörper dabei, aber die beiden bestimmen den Sound der Band wie eh und jeh. Ja, genau, für Fans bedeutet das natürlich, dass die Scheibe dringend am Erstverkaufstag eingetütet werden muss, sie wird wieder prächtig munden. Jetzt jedoch schauen wir dem KRUPPS-Boliden mal genauer unter die Haube.
Grundsätzlich hat sich am Sound der Rheinländer nicht viel geändert. Aber die Frage ist natürlich, welcher Sound? Der reine Elektro-EBM-Rausch der Achtziger? Der Metal- und Industrialstil der Neunziger? Die Antwort ist ein entschiedenes "beides", und mehr. Während DIE KRUPPS für einen recht prägnanten Stil stehen, an dem man sie durchaus erkennen kann, wäre ein einfaches Wiederholen des Gleichen natürlich ein Rückschritt, egal wie sehr Ewiggestrige, zu denen ich auch manchmal zähle, sich ein neues "II - The Final Option" wünschen. Dennoch beginnt "Vision 2020 Vision" genau so, denn der Titelsong, trotz seines gesungenen Mittelteils, in dem Engler seine Shouts komplett einstellt, und das folgende 'Welcome To The Blackout' klingen genau wie aus den Neunzigern importiert: kraftvoll, aggressiv, metallisch, immer gepaart mit den Elektrosounds, die den Stil der Fünf ausmachen. Auch die folgenden Stücke passen gut in dieses Schema, bis, ja, bis die Band einfach mal vollständig ausbricht und den GENESIS-Klassiker 'Carpet Crawlers', der aus der Gabriel-Ära der britischen Progger stammt, in ein elektronisches Korsett zwängt. Niemand kann Jürgen Engler und seiner Truppe Feigheit vor dem Feind vorwerfen, denn auf diesem Schlachtfeld einen Sieg einzufahren ist nahezu unmöglich. Ich muss auch zugeben, dass ich mehr Ehrfurcht vor der Umsetzung habe, als dass ich die Version gerne höre, aber ich bin ja auch ein alter Progger. Vielmehr höre ich aber die Stimmen, die fragen, ob die Burschen das eigentlich dürfen? Ja, das dürfen sie, denn wer in den Achtzigern eine progressive Elektro-EBM-Krautrock-Scheibe wie "Stahlwerksynfonie" veröffentlicht hat, hat den Segen der progressiven Musikwelt. Dass Engler kein Gabriel ist, hört man, dass er aber künstlerisch etwas zu sagen hat, bemerkt man ebenfalls. Eine Eins für die Kunst, eine mittelmäßige Note für die Umsetzung selbst, würde ich persönlich vergeben.
Ich bevorzuge ja Coverversionen am Ende eines Albums, weil ich sie dann einfacher überspringen kann, aber in diesem Fall ist 'Carpet Crawlers' der Auftakt zum Mittelteil des Albums, in dem sich die Band abwechslungsreicher zeigt als zu Beginn. Mit 'Fires' gibt es dann nämlich sogleich den ungewöhnlichsten und un-KRUPPS-igsten Song des Albums. Engler singt, die Aggression bleibt völlig im Köcher. Zusammen mit dem Coversong hört man hier über zehn Minuten lang die progressivsten Klänge der Band seit dem 1981er Debüt. Nicht leicht verdaulich, aber absolut hörenswert. Leider folgt daraufhin das schwächste Stück des Albums mit dem RAMMSTEIN-Soundalike 'Obacht'. Hey, Jürgen, ihr seid das Original, ihr führt, ihr folgt nicht! Aber schwamm drüber.
Das poppige, aber brillante 'Destination Doomsday' leitet dann den Endspurt ein, der mit drei metallischen Stücken wieder die Neunziger aufleben lässt und mit dem deutlich elektronischeren Song 'Active Shooter Situation' dazwischen in die Achtziger taucht. Oder vielleicht eher an das 1992er "I" erinnert, das die Brücke aus den Elektro-Achtzigern in die erfolgreichste Phase der Band schlug und schlägt.
Nach einigen Durchgängen kann ich konstatieren, dass DIE KRUPPS mit "Vision 2020 Vision" ein sehr gelungenes neues Album vorlegen, dass meine Liebe für die alten Songs aufleben lässt und doch genug Experimente und Ideen mitbringt, um sich nicht einfach selbst zu wiederholen. Ich bin glücklich und freue mich auf die kommende Tour direkt nach der Veröffentlichund der neuen Vision!
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Frank Jaeger