L'ÂME IMMORTELLE - Gezeiten
Mehr über L'Âme Immortelle
- Genre:
- Gothic Electro Pop / Gothic Rock
- Label:
- GUN
- Release:
- 20.09.2004
- Es zieht dich davon
- 5 Jahre
- Fear
- Stumme Schreie
- Fallen Angel
- Gezeiten
- Rain
- Masquerade
- Kingdom
- Calling
- Ohne dich
Eines der Aushängeschilder des deutschen Neogothic hat nach der Single "5 Jahre" nun das dazugehörige Album abgeliefert. Die Österreicher dürften den meisten Lesern dieser Seite bekannt sein und sind hier schon mehrmals mit positiven Kritiken bedacht worden. Ihre eingängige Mischung aus Electro Pop und Gothic Rock konnte spätestens seit dem Album "Dann habe ich umsonst gelebt" jedesmal recht hohe Chartplätze erobern und in den Tanztempeln der modernen Schwarzkittel-Gemeinde einige DJ-Standardtitel etablieren. Mittlerweile besteht die Band noch aus Thomas Rainer, der für die männlichen Vocals sowie die instrumentale Seite der Band zuständig ist, und Sonja Kraushofer, die den weiblichen Gesangspart übernimmt, der insgesamt gesehen deutlich häufiger zum Einsatz kommt.
Nun muss ich sagen, das ich mit Electro Pop für gewöhnlich nur bedingt etwas anfangen kann. Genau dasselbe trifft auf diesen ganzen Neogothic-Kram zu, dem meiner Ansicht nach einfach die emotionale Tiefe der gotischen Klassiker fehlt. Bands wie die UNTOTEN, JANUS oder DIARY OF DREAMS bilden für mich da eher schon die Ausnahme. Aber ich werde mich bemühen, das Ganze hier angemessen und fair zu besprechen.
Mir liegt nur ein Tape des Albums mit dem Vermerk "Not Mastered" vor, was also bedeutet, dass der endgültige Mix noch fehlt. Die Musik klingt aber trotzdem schon ordentlich vollmundig. Nur das Tape-Rauschen werdet ihr auf eurer CD dann nicht haben. Diese wurde von John A. Rivers (DEAD CAN DANCE) und Rhys Fulber (FRONTLINE ASSEMBLY, FEAR FACTORY, PARADISE LOST) produziert und mit einem Streicherensemble sowie Gastmusikern von PARADISE LOST aufgenommen. "Gezeiten" erscheint neben der normalen Version als Limited Edition, die zwei zusätzliche Bonustracks enthält.
Bei fünf Songs der neuen Scheibe benutzen L'ÂME IMMORTELLE die deutsche Sprache, die anderen sechs sind auf Englisch gesungen. Wie gesagt – der weibliche Gesang überwiegt glücklicherweise dabei. Glücklicherweise deshalb, weil Sonja Kraushofers Stimme doch um einiges wandlungsfähiger, eigenständiger und eingepasster in den Gesamtsound klingt als der typisch deutsche Wavegesang von Thomas Rainer, der ziemlich gesichtlos und austauschbar wirkt. Ausschließlich in dem aggressiveren 'Masquerade' bringt seine Stimme in Verein mit den härteren Gitarren einige Power rüber. Es würde der Musik gut tun, wenn er das Betätigungsfeld hier ganz seiner gesangstechnisch besseren Hälfte überlassen würde.
Seine Texte dagegen – die Lyrics stammen alle von ihm – gefallen mir ganz gut, auch wenn sie vor Herz/Schmerz- und Suizidklischees nur so triefen. Gerade '5 Jahre' bringt das Thema Schmerz über verlorene Liebe in finsterer Manier treffend auf den Punkt. Das Stück ist zudem musikalisch eines der Highlights des Albums. Der intensive weibliche Gesang dynamisiert den ohnehin schon treibenden und rockigen Song, während Violinen und Pianotöne das Ganze untermalen. Ehrlich gesagt fahren mir L'ÂME IMMORTELLE bei allen Vorbehalten hier richtig unter die Haut. Sehr gut ist auch das eröffnende Stück 'Es zieht dich davon', das wieder vor allem durch die Stimme von Sonja Kraushofer und den einprägsamen Refrain überzeugen kann.
'Fear' dagegen ist trotz pumpender Gitarre ein ziemlich belangloser Popsong mit männlich-weiblichem Wechselsang. Nur der atmosphärische Zwischenteil bringt ein wenig Prägnanz in die tausendmal gehörten Harmonien und Refrainstrukturen. Das Weib/Mann-Duett gibt es ebenso im nachfolgenden 'Stumme Schreie' zu hören, das dann vollends in schlagerhafte Disco-Gefilde abdriftet. Der süssliche Schmalz und die "Bonny-M.-Rhythmik" rinnen mir ziemlich klebrig die Kehle herunter. Selbst die Gitarre kann hier nicht für mildernde Umstände plädieren. Ne, ne, dann schon lieber das balladeske 'Fallen Angel' mit seinen Streicherarrangements, den gefälligen Ohrwurm-Melodien und dem Weib allein am Mikro ...
Richtig schön traurig und verträumt rollen dann die 'Gezeiten' an die Ufer einer "Zeit, die nicht immer grausam war". Die Violine schwebt über ruhigen elektronischen Takten, während Sonja Kraushofers Stimme einschmeichelnde suizide Worte erklingen lässt. Ohne ihren Gesang wäre der nächste Track 'Rain' allerdings nichts Besonderes. Der stumpfe Discobeat am Anfang nervt mich über alle Maßen, wird aber wenigstens schnell von den Gitarren begraben. 'Masquerade' tendiert mit härteren Sequenzen und dem angezerrten Gesang in Richtung EBM. Ganz netter elektronischer Pop regiert im 'Kingdom', der bei allem ruhigen Fluss doch nicht vergisst, auf die Tanzfläche zu schielen. Ähnlich steht es mit 'Calling', wobei die Tanzfläche wieder ein wenig aus dem Blick verloren wird und Thomas Rainer den Refrainpart an sich reißt. Der dunkle Dark Wave von 'Ohne dich' beginnt mit dumpfen Glockenschlägen, gefolgt vom flehenden Gesang der Sängerin, der von einem langsamen Marschtempo voran getragen wird. Irgendwie erinnern mich einzelne Textzeile dabei ganz stark an JANUS, wobei L'ÂME IMMORTELLE mit den Psychosumpf-Finsterlingen ja auch schon auf Tour gewesen sind bzw. studiotechnisch zusammenarbeiteten.
Als Fazit bleiben ein paar herausragende Songs, eine gute Sängerin und viel Mittelmaß, das manchmal auch in richtige Niederungen absackt. Wenn L'ÂME IMMORTELLE doch wenigstens die widerlichen Discobeats einiger Tracks auf die Schrotthalde werfen würden! Da das Duo allerdings schlicht kommerziell erfolgreich ist und wahrscheinlich diesen Erfolg nicht gefährden will, wird das wohl ein frommer Wunsch bleiben. Aber da sind wir wieder beim leidigen Thema des schlechten "Massengeschmacks", welches einen leicht zu Pauschalurteilen verführen kann – naja, auch nicht ganz zu Unrecht ...
L'ÂME IMMORTELLE werden vermutlich mit dem neuen Album ihren Erfolgskurs weiter halten können. Leute, die ihre alten Scheiben mochten, dürfen auf jeden Fall bedenkenlos zuschlagen. Für mich bleiben L'ÂME IMMORTELLE nach wie vor eine sehr zwiespältige Angelegenheit.
Anspieltipps: Es zieht dich davon, 5 Jahre, Gezeiten, Masquerade
- Redakteur:
- Jörg Scholz