MADDER MORTEM - Desiderata
Mehr über Madder Mortem
- Genre:
- Progressive Metal
- Label:
- Peaceville/SPV
- Release:
- 24.04.2006
- My Name Is Silence
- Evasions
- Plague Of This Land
- Dystopia
- M For Malice
- The Flood To Come
- Changeling
- Cold Stone
- Hypnos
- Sedition
- Desiderata
- Hangman
Wäre "Desiderata" eine Person, ich würde ihr wenig schmeichelhafte Charaktereigenschaften attestieren. "Interessant" wäre noch die netteste Umschreibung, "schwierig" oder "zickig" träfe es besser, und "extrovertiert" sowieso. Weiblich wäre sie auf jeden Fall, und zwar die Sorte Frau, die die ganze Palette von Himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, von Engel bis Teufel exzellent beherrscht und bei der man nie weiß, wie sie im nächsten Moment reagieren wird.
Ja, MADDER MORTEM haben es sich noch nie leicht gemacht. Statt Sängerin Agnete in ein schwarzes Flatterkleidchen zu stecken und ihr ein paar Gesangstunden für Möchtegern-Opernsängerinnen zu spendieren, spielen sie seit ihrem Debütalbum "Mercury" alles, nur keinen klischeetriefenden Gothic-Rock mit Engelsstimme. Das vor vier Jahren über ihr altes Label Century Media veröffentlichte "Deadlands" mag zwar vergleichsweise zahm und eingängig gewesen sein, aber an irgendwelche kommerzielle Trends angebiedert haben sich die Norweger nie. Vielleicht hat's deswegen mit der Dortmunder Plattenfirma, die mit LACUNA COIL einen massenkompatiblen Top-Seller unter Vertrag hat, auch nicht geklappt. Die neue Heimat Peaceville passt sicher besser zu den ungekrönten Dissonanz-KönigInnen, und 2006 erblicken die bereits zwei Jahre zuvor fertiggestellten und zwischenzeitlich nochmals neu abgemischten 12 Tracks endlich das Tageslicht.
"How long can the silence hold?" flüstert eine Stimme zu Beginn, und das dazugehörige 'My Name Is Silence' liefert sogleich die Antwort - nicht lange, zumindest nicht bei MADDER MORTEM! Ruppig und gewohnt schräg (aber mit einer Schrägheit, die gewollt ist und nicht etwa auf mangelnde Fähigkeiten zurückzuführen wäre) bolzt sich der Fünfer durch diesen Brecher, der langfristig echte Ohrwurmqualitäten entwickelt. Und in die kurze, vergleichsweise hohe Akkordfolge, die inmitten der extrem tiefer gestimmten Gitarren (von den Bassläufen ganz zu schweigen) hin und wieder aufblitzt, habe ich mich sofort verliebt. Auf diesen dreiminütigen Orkan folgt mit dem chilligen, bis auf wenige Momente eingängig-verträumten 'Evasion' sogleich die Ruhe nach dem Sturm, und überhaupt gibt es in der knappen Stunde Laufzeit immer wieder herrliche kleine Aussichtspunkte, die den Hörer kurz Luft holen lassen. Die meisten Songs sind jedoch (im durchaus positiven Sinne) förmlich überfrachtet mit allen erdenklichen, auch von Agnetes charakterstarkem Organ erzeugten Stimmungen und so vielen Details und musikalischen Stilmitteln, dass man sie vermutlich beim 100sten Durchlauf noch nicht komplett erfasst hat und deren detaillierte Beschreibung den Rahmen dieses Reviews sowieso sprengen würde. Von Avantgarde über Jazz bis Thrash ist irgendwie alles vertreten. Hinter dem Titel 'Cold Stone' verbirgt sich schließlich der wohl ungewöhnlichste Song, den MADDER MORTEM je veröffentlicht haben: Nach drei leisen, minimalistischen Minuten mit etwas Akustik-Geklampfe und Agnetes sanftem Hintergrundgesang entwickelt er sich zu einem stetig anschwellenden und lediglich von rhythmischem Trommeln unterlegten choralen Epos.
Ich behaupte nicht, dass ich "Desiderata" auch nur ansatzweise verstanden habe oder jemals wirklich verstehen werde. Aber genau wie Ecken und Kanten einen Menschen erst interessant machen, so sind auch die musikalischen Ergüsse von MADDER MORTEM spannender denn je. Ein Pflichttipp für alle Fans des bisherigen Schaffens, und eine Empfehlung für all diejenigen, die bereit sind, sich auf dieses schwierige Wesen einzulassen. Doch beschwert euch hinterher nicht, ich hätte euch nicht davor gewarnt, dass das Viech verdammt kratzbürstig sein kann!
Anspieltipps: Für Einsteiger vielleicht die etwas gradlinigeren Stücke My Name Is Silence, Evasions, The Flood To Come und Cold Stone - für Fortgeschrittene der Rest.
- Redakteur:
- Elke Huber