MARS VOLTA, THE - De-Loused In The Comatorium
Mehr über Mars Volta, The
- Genre:
- Progressive Rock
- Label:
- Universal / Universal
- Release:
- 23.06.2003
- Son Et Lumiere
- Inertiatic Esp
- Roulette Dares (The Haunt Of)
- Tira Me A Las Aranas
- Drunkship Of Lanterns
- Eriatarka
- Cicatriz Esp
- This Apparatus Must Be Unearthed
- Televators
- Take The Veil Cerpin Taxt
- Ambuletz
2003 scheint ein großes Jahr für die Musik zu werden. Schon zur Halbzeit gab es eine Liste an Platten, die qualitativ die kompletten beiden Jahre davor in den Schatten stellten. Und was noch kommen soll, beflügelt die Phantasien eines jeden Musikliebhabers. Kurz vor dem Ende der ersten Spielhälfte erschien allerdings erst einmal eine Platte, mit der man in der Form kaum rechnen konnte....
Bei dem Album mit dem merkwürdig entrückten Titel "De-Loused In The Comatorium" und dem noch seltsamereren Cover begeben wir uns auf wieder einmal auf Spurensuche nach einer Spezies, die in Wahrheit viel öfter auftaucht, als es uns die vielen Legenden, die um sie ranken, glauben machen würde: Das perfekte Album, das zumeist von einer Formation kommt, die man vorher nicht wirklich auf dem Plan hatte oder von der man es keinesfalls erwartet hätte.
Das von einer eingeschworenen Musikfangemeinde lange erwartete und von der Band immer wieder verschobene Debüt des Kollektivs THE MARS VOLTA, der zweiten Gruppe neben den im Vergleich eher traditionell orientierten SPARTA, die aus der Auflösung von AT THE DRIVE-IN entstanden ist, ist eine dieser Platten, ist Monument und Offenbarung zugleich. "De-Loused In The Comatorium" ist ganz nebenbei außerdem das beste Debüt einer Newcomerband seit vor knapp drei Jahren eine Formation namens A PERFECT CIRCLE ihr Meer der Namen auf die staunende Masse losgelassen hat.
Einige Wochen vor dem Release: Keyboarder und Soundtüftler Jeremy Ward stirbt an einer Überdosis eines Drogencocktails. So bizarr es klingen mag, aber es passt zur Veröffentlichung dieses Albums. Welcome to the 70s. Enter Progressive Rock. Remember LED ZEPPELIN? Seit Jahren halten Heerscharen von Musikjournalisten rastlos Ausschau nach jemandem, der die Rock-Götter beerben könnte. THE MARS VOLTA sind wahrscheinlich diese Band. This is it. Und dieses Mal definitiv. "De-Loused In The Comatorium" ist vielleicht die erste wirklich wichtige Platte des neuen Jahrtausends, auf jeden Fall dieses Jahres, auch wenn ich ungern in diesen Jubelsturm einstimme, der zur Zeit über dieser Platte hereinbricht. Believe the Hype.
Die Zutaten sind dabei eher traditionell, die Vermischung revolutionär, die Arrangements großartig. Die Musikalität und Innovation die wir zu hören bekommen, sprengt das Vorstellungsvermögen selbst von jemandem, der 20 bis 30 neue Platten im Monat hört. Die schriftsprachlich oft inflationär gebrauchten Superlative finden ihre Entsprechung in der Realität. Und wieder einmal ist es Produzent Rick Rubin, der der Platte den letzten Schliff verleiht. Überhaupt scheint von SLIPKNOT über die letzten Alben der CHILI PEPPERS bis hin zu AUDIOSLAVE alles zu Gold (oder besser: Platin *g*) zu werden, was der Mann anfasst.
"Now I'm lost". Dem kann man sich sofort anschließen, auch wenn der Opener 'Inertiatic Esp' mit seinem Intro-Vorlauf 'Son Et Lumiere', bei dem Sänger Cedric Bixler-Zavalas mit seiner hohen Kopfstimme zu psychedelischen Sounds und Stakkato-Riffs singt, die wie eine Mischung aus Prog-Rock und Funk klingen, in der Relation zu den anderen Songs noch einigermaßen traditionell daherkommt. Bei 'The Haunt Of Roulette Dares' ist der Spaß dann allerdings endgültig vorbei, und die Songstrukturen lösen sich vollständig im Nichts auf und machen einem Song Raum, der mit siebeneinhalb Minuten deutlich zu kurz ist, um seine gesamte Wirkung und seine kompletten Ideen auszuspielen und wie ein zerklüfteter Berg bei einem Erdbeben wirkt: Es geht auf und ab in Tempo, Lautstärke und Stimmung, die Gitarren flirren und funken von allen Ecken und Enden aus den Boxen, spielen Jimmy-Page-Riff-Türme, um sie Sekunden später im Nichts verschwinden zu lassen, Soundeffekte und Samples fließen hier und da aus den Winkeln, das Schlagzeug spielt vertrackte, schnelle, sich steigernde Rhythmen und über allem thront Robert Plant, ups... Bixler-Zavalas und singt seine genial-schrägen Texte, über die man eine eigene Abhandlung schreiben könnte...
Beim Intro 'Tira Me A Las Arenas' und dem dazugehörigen Hauptsong 'Drunkship Of Lanterns' erreicht die Sprachlosigkeit dann ihren Höhepunkt: Dieser Song ist für mich das mit einem Hauch Samba-Rhythmik und Funk-Gitarren versehene 'Stairway To Heaven' des 21. Jahrhunderts. Der Track steigert sich zu einem orgiastischen und mit einer wahnwitzigen Leidenschaft getrommelten Höllenritt durch das, was man sich unter den positivsten Aspekten des Progrock nur vorstellen kann. Man gibt jeglichen Widerstand gegen "De-Loused In The Comatorium" auf angesichts dieser Komposition.
Dabei hat die Reise ohne Halt in Raum und Zeit gerade erst begonnen. Die Ballade 'Eriatarka', die sich nach ein paar Minuten plötzlich weigert, eine zu sein, entgeistert durch die unglaubliche Gitarrenarbeit von Omar Rodriguez-Lopez und das geradezu vollendete Arrangement. Man versteht, warum gestandene Musiker wie die RED HOT CHILI PEPPERS diese Band so sehr verehren, dass sie sie in jedem Interview erwähnen, und man versteht, warum Flea auf dieser Platte komplett die Bassparts übernommen hat.
Auch sein Kollege John Frusciante, Gitarrist derselben Gruppe, gibt sich auf diesem Album die Ehre, wenn auch nur auf einem der zehn erstaunlichen Tracks: Im zwölfminütigen 'Cicatriz Esp' verliert man sich selbst und jegliche Orientierung, treibt durch trippige und wabernde Gitarren, durchzogen und durchklüftet von der Rhythmusfraktion, erlebt langgesponnene Gedankenträume in den psychedelisch-verlangsamten Atemräumen des Songs.
"De-Loused In The Comatorium" wird am Ende 2003 nicht nur in Dutzenden von Top10-Listen landen, und könnte nicht nur zum Klassiker avancieren, es schafft nebenbei noch etwas, das selten genug passiert, um hier Erwähnung zu finden: Die Vereinigung von Fans und Kritikern auf einen gemeinsamen Nenner.
THE MARS VOLTA erfinden den Prog-Rock quasi neu, bereiten seinem Namen die höchste Ehre und kreieren ein monumentales Konzept-Progressiv-Rock-Album, von dem selbst ich nicht erwartet hatte, dass es derart überzeugen würde. Es sind die sechs Saiten, die hier innovativer benutzt werden als bei jeder anderen Band, die absolut überzeugende Drum-Arbeit und eine Stimme, die immer und immer wieder zu neuem Staunen verleiten, und zusammen mit den wirklich verblüffenden Arrangements das Rückrat dieses Albums bilden, für das man Monate des Dauerrotierens brauchen wird, um es in seiner Gesamtheit zu fassen. Erstaunliche Musikalität und bewusstseinserweiternde Innovation finden sich und zueinander.
Auch wenn es da noch diese andere Band gibt, die eine ebenso starke Art-Rock-Platte gemacht hat, und die sich nach einem perfekten Kreis benennt: Das hier ist ein extrem heißer Kandidat für die Platte des Jahres.
Anspieltipps: Drunkship Of Lanterns
- Redakteur:
- Sebastian Baumer