MECHANICAL POET - Woodland Prattlers
Mehr über Mechanical Poet
- Genre:
- Progressive Orchestral Metal
- Label:
- Aural Music / SPV
- Release:
- 29.11.2004
- Main Titles
- Stormchild
- Bogie In A Coal-Hole
- Sirens From The Underland
- Will O' The Wisp
- Strayed Moppet
- Old Year's Merry Funeral
- Natural Quaternion
- Shades On A Casement
- Swamp-Stamp-Polka
- End Credits
- Handmade Essence
- Frozen Nile
- Hermetical Orchard
- Clue Of A Scarecrow
- Clockwork Shrimps
- Waltzing Skip-Jack
Nach der 2003er EP "Handmade Essence" legen die russischen Ausnahmekünstler von MECHANICAL POET nun ihr erstes vollständiges Album vor, das ohne jede Übertreibung sicher das Zeug dazu haben wird, einen neuen Stern am Himmel des progressiven und avantgardistischen Metals aufgehen zu lassen. "Woodland Prattlers" ist ein wunderschönes, emotionales und vielschichtiges Werk, wie man es nur selten zu hören bekommt. Wenn die mechanischen Poeten von Progressivität sprechen, dann bedeutet das auch Progressivität und nicht Gefrickel. Obwohl die Musiker instrumental und kompositorisch ganz große Klasse sind, liegt der Schwerpunkt der Musik nicht darauf, mit instrumentalen Kabinettstückchen anzugeben, sondern eine atmosphärisch dichte, verzaubernde Stimmung zu kreieren und den Hörer in ein Märchenland zu entführen.
Genau das gelingt mit diesem Alben perfekt. "Woodland Prattlers" ist nämlich in gewisser Weise ein Soundtrack, und zwar der Soundtrack zu einem von Lee Nicholson wunderschön und liebevoll gezeichneten zwanzigseitigen Comic, der sich mit Märchenfiguren aus Astrid Lindgrens Repertoire, mit Naturgeistern und Spukgestalten befasst. Dem Soundtrack-Konzept entsprechend arbeiten die Jungs aus Moskau mit reichhaltigen Orchestrierungen, sphärischen Keyboards und einer ebensolchen Produktion. Wer bei Orchestrierungen an neoklassisches Gefiedel mit Tralala-Faktor zehn denkt, könnte weiter daneben nicht liegen. Sowohl die klassischen als auch die metallischen Elemente von MECHANICAL POET sind sehr anspruchsvoll, dramatisch und intensiv. Jeder Song wird entsprechend seiner Stimmung und seiner Protagonisten passend und einzigartig in Szene gesetzt.
So sieht man beim romantischen Instrumental 'Main Titles', das den Auftakt bildet, buchstäblich die Inspirationsquelle des Albums, die majestätischen, wilden Landschaften Skandinaviens, an sich vorbeiziehen. Edvard Grieg als Vergleichsgröße zu nennen, mag sehr hoch gegriffen klingen, aber genau diese Assoziation habe ich. Direkt darauf folgt der härteste Titel des Albums: 'Stormchild', ein Stück, das von der Gewitternacht handelt, in der Ronja Räubertochter geboren wurde. Hier fliegen Harpyien um das Schloss, hier prasselt der Regen nieder, und es kommt der erste Auftritt von Max Samosvat, der hier in die Rolle der Harpyien schlüpft und entsprechend aggressiv, aber dennoch mit eindrucksvoller Stimme singt. 'Bogie In A Coal-Hole' erzählt sehr düster und melancholisch die Geschichte des Geistes aus dem Kohlekeller, der einsam ist, weil niemand mehr in den Keller kommt, den er erschrecken könnte. Max nutzt hier eine Mischung aus traurigem, gothiclastigem Gesang, rock'n'rolligen Anflügen und wunderbar klaren Metalvocals. 'Sirens From The Underland' ist die von den Erdgeistern dargebotene Ballade, eine verträumte Ode an den moosbewachsenen Waldgrund. In minnesangartiger Phrasierung lädt das Stück ein, sich ins Moos zu legen und zu träumen. Es folgen ein weiteres zartes, klassisches Instrumental, das 'Will O' The Wisp' gewidmet ist, und die relativ eingängige und dynamische Zombiegeschichte 'Strayed Moppet'. Das augenzwinkernde 'Old Year's Merry Funeral' ist textlich wie musikalisch ein echtes Highlight. Hier wird sarkastisch-melancholisch über Neujahr als fröhliches Begräbnis eines alten Jahres philosophiert.
Danach folgt das vierteilige Herzstück des Albums. In gut elf Minuten lässt 'Natural Quaternion' die Elementargeister von ihrem Seelenleben erzählen. Wie Max durch seinen abwechslungsreichen Gesang Sylphen, Gnomen, Wasser- und Funkengeistern Leben einhaucht, ist schlicht phänomenal. Aber auch die Instrumentalisten Lex Plotnikoff und Tom Tokmakoff erschaffen für die verschiedenen Elemente jeweils eine völlig eigene Atmosphäre, die dennoch ein roter Faden durchzieht. Hier schaffen es MECHANICAL POET, so viel Vielschichtigkeit und Tiefgang in einen einzigen Song einfließen zu lassen, wie ich es bisher nur von RUSH gehört habe. Danach bietet das Album mit 'Shades Of A Casement', einem einfühlsamen Stück über einen kleinen Jungen, der die Spukgestalten seiner Träume besiegt, ein weiteres großes Highlight, bevor es mit der 'Swamp-Stamp-Polka' langsam ausklingt. Letzteres ist ein folkloristisch angehauchtes, in punkto Orchestrierung an "Peter und der Wolf" erinnerndes Stück, in dem zwei Trolle um ein Silberstück streiten ... Dabei versehen die Herrschaften das Lied noch mit einem mächtig schrägen, jazzigen Anstrich. Auch das finale Instrumental behält die "Klassik meets Folk meets Jazz"-Stilistik bei.
Bei allem Anspruch sind MECHANICAL POET immer zu haben für ein paar sehr eingängige Hooklines und schlicht geniale Refrains. Neben der instrumentalen Klasse und der beeindruckend harmonischen Synthese zwischen klassischen und metallischen Elementen ist Sänger Max wirklich ein echtes Aushängeschild der Band. Diese direkt mit einer bekannten Größe zu vergleichen, ist eigentlich fast unmöglich, da die Jungs im Prinzip völlig eigenständig sind. Dennoch fühlt man sich bisweilen dezent an bekannte Größen erinnert. RUSH habe ich bereits erwähnt, auch das theatralische Spätwerk von SAVATAGE mag mancher raushören. In den heftigeren Momenten denkt man an neuere NEVERMORE, daneben natürlich an verschiedene klassische Komponisten, an diverse traditionelle Metalbands und an Einflüsse aus den Bereichen Gothic und Folk.
Um die Sache noch mal kurz zusammenzufassen: MECHANICAL POET sind eine der einzigartigsten und vielseitigsten Bands, die ich in letzter Zeit gehört habe. Die Tatsache, dass die Russen auf ihrem Debütalbum in jeder Hinsicht (Gesang, Sound, Songwriting, musikalische und graphische Umsetzung) absolute Extraklasse sind, ist fast schon beängstigend. Allerdings erfordert ihre Musik volle Aufmerksamkeit und intensives Hören. Wer Partymucke hören will, die auch nach dem dritten Bier noch nachvollziehbar ist, möge sich anderweitig orientieren. Wer allerdings manchmal das Musikhören auch gerne als Zeitvertreib mit intellektuellem Anspruch betrachtet, wird an "Woodland Prattlers" sicher lange riesige Freude haben. Für mich definitiv eines der besten Debüts, das ich in den letzten Jahren entdecken durfte.
Wer sich nach alledem vorstellen kann, dass er sich mit MECHANICAL POET wird anfreunden können, der soll schnell zuschlagen, da die limitierte Erstauflage als Bonus zusätzlich die "Handmade Essence"-EP hält, die sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in punkto Gestaltung dem Album in nichts nachsteht. Auch hier bekommt der Hörer sechs unkonventionelle orchestral-progressive Metalsongs der Sonderklasse geboten, und auch hier hat Lee Nicholson ein phantastisches Cover und Booklet entworfen.
Anspieltipps: Sirens From The Underland, Natural Quaternion, Old Year's Merry Funeral
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle