METALLICA - 72 Seasons
Mehr über Metallica
- Genre:
- Thrash Metal
- ∅-Note:
- 6.50
- Label:
- Blackened Recordings (Universal)Recordings (Universal)
- Release:
- 14.04.2023
- 72 Seasons
- Shadows Follow
- Screaming Suicide
- Sleepwalk My Life Away
- You Must Burn!
- Lux Æterna
- Crown Of Barbed Wire
- Chasing Light
- If Darkness Had A Son
- Too Far Gone?
- Room Of Mirrors
- Inamorata
Zu viel Riff-Salat, zu viel Mid-Tempo und zu wenig echte Volltreffer.
Anfang Dezember letzten Jahres brachte die größte Metalband der Welt den Social-Media-Kosmos zum Stillstand, als ohne große Teaser vorab mit der Single 'Lux Æterna' das elfte METALLICA-Studioalbum "72 Seasons" angekündigt wurde. Plötzlich drehte sich alles nur um die Bay-Area-Legenden und für Wochen kauten zahlreiche Gitarristen, YouTuber oder andere Musiker in Videos oder Posts den Song durch. Kein Wunder, denn auch bei mir war angesichts der oldschooligen Nummer mit NWOBHM- und im speziellen DIAMOND HEAD-Schlagseite, flotten Drums und einem wirklich unverschämt eingängigen Riff die Vorfreude auf das neue Album groß. So frisch und ungestüm hat der Vierer immerhin seit Jahren nicht geklungen und mit einer etwas roheren Produktion hätte der rasante Thrash-Abriss sogar auf "Kill 'Em All" passen können.
Nun kommt aber die Stunde der Wahrheit, in der wir erfahren, ob "72 Seasons" in Gänze die vollmundigen Versprechen halten kann, die von der ersten Single vorab gemacht wurden. Und was soll ich sagen, mit dem eröffnenden Titeltrack geht die Begeisterung bei mir direkt weiter. Angelegt mit über sieben Minuten Spielzeit entfaltet die Nummer eine herrlich finstere Stimmung, lässt mich im besten Sinne an das Epos 'The Outlaw Torn' denken und bevor das Riff-Gewitter langweilig wird, trumpft der Track mit einem melodischen Mittelteil auf. Garniert wird das Ganze von einem James Hetfield, dessen Gesangspassagen absolut großartig sind und der noch immer weiß, wie man mit ganz eigentümlichen und trotzdem einprägsamen Gesangslinien punktet. Schon erschreckend, wie packend die Aufarbeitung der Dämonen der eigenen Kindheit klingen kann. Ein Thema, das übrigens über dem gesamten Album schwebt, das nicht umsonst die 72 Jahreszeiten als Titel trägt, die man in den ersten 18 Lebensjahren erlebt.
Die Ernüchterung folgt aber leider auf dem Fuße, denn für jedes epische '72 Seasons' gibt es auf dem gleichnamigen Album auch zwei eher lauwarm kredenzte Riff-Salate wie 'Shadows Follow' oder 'Sleepwalk My Life Away', bei denen Hetfield und Hammet viel zu lange auf eher halbgaren und wenig packenden Riffs herummäandern. Hetfield rettet mit einer großartigen Gesangsleistung zwar auch noch den letzten langatmigen Song, doch insgesamt hätte den beiden genannten Nummern eine massive Kürzung zuteilwerden müssen. 'You Must Burn!' wäre im Anschluss gerne das Wunschkind von einem Groove-Bolzen wie 'Sad But True' und der Eingängikeit der "Load"-Ära, hat dafür aber weder das große Riff, noch den richtig zwingenden Chorus im Gepäck und braucht zu allem Überfluss gute sieben Minuten um das zu realisieren. Generell fällt hier schon auf, dass sich die gesamte Gitarrenarbeit auf "72 Seasons" fürchterlich ähnelt, weshalb es schon ein Wunder ist, dass Hammet und Hetfield die einzelnen Riffs auseinanderhalten können. Ich jedenfalls verliere vor dem heimischen Player mehrfach die Orientierung wo ich mich gerade im Mid-Tempo-Sumpf der Jahreszeiten befinde.
Gut, dass 'Lux Æterna' zur Mitte der Platte hin wie eine ordentliche Adrenalin-Spritze wirkt, die einen vor dem vorzeitigen Wegnicken bewahrt und erstmalig seit dem eröffenden Titeltrack wieder richtige Begeisterung aufkommen lässt. Selbige flaut mit dem eher hüftsteifen 'Crown Of Barbed Wire' flott wieder ab, denn hier sind wir wieder zurück in der Riff-Ursuppe, aus der es auf "72 Seasons" kein Entkommen zu geben scheint. 'Chasing Light' hat im Anschluss immerhin eine unerwartet coole harmonische Struktur parat, holt mich ansonsten aber auch weniger ab und 'If Darkness Had A Son' (das übrigens dennoch als kleiner Höhepunkt durchgeht) bringt mich schließlich zur Erkenntnis, dass METALLICA schlicht und einfach verlernt hat, wie man ein Riff kurz und prägnant vorstellt. Stattdessen wird hier alles so lange wiederholt und zu scheppernder Hi-Hat zelebriert, bis auch der letzte Zuhörer oder die letzte Zuhörerin keine Lust mehr hat, nur um dasselbe Riff dann schlussendlich mit Drums erneut zu wiederholen. Irgendwie fehlt einfach die Autorität im Studio, die den Mumm dazu hätte, diesen musikalischen Legenden zu sagen, dass eben nicht jedes Riff oder jeder Song den Cut schaffen muss oder vier Wiederholungen wert ist.
Gerade wenn man aber schon fast bereit ist, "72 Seasons" in die Ecke zu stellen, serviert das cool galoppierende 'Too Far Gone?' mitsamt seines tollen Refrains einen weiteren Höhepunkt, der mich plötzlich doch wieder aus den Socken haut. 'Room Of Mirrors' hat danach wenigstens ein paar coole harmonische Ansätze und 'Inamorata' punktet mit einem wunderschönen melodischen Mittelteil, der mich frappierend and 'Suicide & Redemption' vom "Death Magnetic"-Langdreher erinnert. Leider ist der Rausschmeißer aber mit elf Minuten ebenfalls mindestens zwei Minuten zu lang. Dennoch ist die Nummer wenigstens ein abwechslungsreicher Lichtblick zwischen den ansonsten viel zu gleichförmigen Songs der 72 Jahreszeiten.
Bevor ich nun in die gleiche Falle tappe wie METALLICA und diese Rezension zu langatmig wird, komme ich zum Fazit und kann dafür eigentlich nur den Vorgänger "Hardwired ... To Self Destruct" heranziehen. Dieser hatte nämlich ebenfalls durchaus seine Längen, doch mit 'Moth Into Flame' oder 'Atlas, Rise' eben auch absolute Volltreffer im Gepäck, die mich bis heute dazu verleiten, die Scheibe regelmäßig aus dem Regal zu ziehen. Selbige sind auf "72 Seasons" einfach zu rar gesät und die Liste der langatmigen Riff-Collagen zu groß, um hier mit mehr als 6,5 Punkten über die Ziellinie zu kommen. Hopfen und Malz sind dennoch nicht verloren, denn am Vorabend der Veröffentlichung hat METALLICA bei der Talkshow "Jimmy Kimmel Live" bewiesen, dass etwa 'If Darkness Had A Son' in einer gekürzten Live-Version viel besser funktionieren kann. Dem Album hilft das in seiner Gesamtheit natürlich nicht, aber immerhin könnten sich so doch ein paar Tracks noch den Weg ins Fanherz erspielen.
- Note:
- 6.50
- Redakteur:
- Tobias Dahs