MISOTHEIST - Vessels By Which The Devil Is Made Flesh
Mehr über Misotheist
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Terratur Possessions / Ván
- Release:
- 01.03.2024
- Stigma
- Vessels By Which The Devil Is Made Flesh
- Whitewashed Tombs
MISOTHEIST ist ein weiteres Mal ein sehr vielseitiges, intensives, kompositorisch anspruchsvolles Album gelungen.
Ende der Neunzehnneunziger und zu Beginn des neuen Jahrtausends schien der norwegische Black Metal langsam aber sicher auserzählt zu sein. Er drehte sich nurmehr um die verbliebenen alten Helden, von denen viele allmählich im metallischen Mainstream anzukommen drohten. Doch nach und nach formierte sich in Trondheim und Umgebung eine Szene mit neuen Bands, die sich einerseits auf die alten musikalischen Traditionen bezog, sich aber gleichsam auch davon abgrenzte und mit einer neuen Ernsthaftigkeit und unkommerzieller Attitüde eigene Wege beschritt. Das plakative, schockierende Element der einstigen Vorreiter wich einer werkbezogenen kreativen Hingabe, die sich gleichwohl um dieselben Dinge drehte: um den Tod, um die Misanthropie, um den Nihilismus, doch abstrakter und philosophischer als in den Neunzigern. Nach und nach erzielte der Nidrosian Black Metal, wie diese neue Szene bald genannt wurde, Achtungserfolg um Achtungserfolg, und heute sind die Protagonisten jener Bewegung aus dem Black Metal kaum mehr wegzudenken, wenn auch kommerziell betrachtet nicht auf dem gleichen Level wie ihre Vorgänger. Doch wen schert das?
Zu den wesentlichen Eckpfeilern der aktuellen Trondheimer Szene gehört fraglos MISOTHEIST, die Band um B. Kråbøl (auch bekannt von ENEVELDE), welche dieser Tage über Terratur Possessions ihr drittes Studioalbum "Vessels By Which The Devil Is Made Flesh" an den Start gebracht hat. Wie schon auf den beiden Vorgängern sind auch dieses Mal drei ausgesprochen lange Stücke enthalten, die es durchschnittlich auf knapp dreizehn Minuten Spielzeit bringen. Das sind Dimensionen, die völlig genreunabhängig gerne mal entweder für faszinierendes Songwriting oder aber für gähnende Langeweile sorgen. MISOTHEIST fällt aus meiner Sicht indes klar in die erstere Kategorie, denn trotz der epischen Dimensionen und des gewählten Genres sind alle drei Stücke gerade nicht von mantrisch-repetitiven Mustern geprägt. Sie mäandern auch nicht ziellos umher, sondern sie haben eine lebhafte innere Dramaturgie, markante Wendungen und faszinierende Stimmungs- und Tempowechsel. Dies jedoch, ohne dabei in allzu verkopfte oder progressive Strukturen zu verfallen. Eine gewisse Stringenz und Prägnanz bleibt erhalten, obschon es natürlich seine Zeit braucht, bis man als Hörer durchsteigt und sich ein Wiedererkennungswert offenbart.
Wo sich die kaskadischen Kollegen in Sachen modernen Black Metals gerne mal weitestgehend auf postrockige und ätherische Weise naturmystischer Misanthropie nähern, da verfolgen die Nidaros-Vertreter gleichwohl, bei aller Innovation, eine weit klassischere Herangehensweise. Diese lässt sich auch an der neuen MISOTHEIST wunderbar nachvollziehen, wenn man etwa den Opener 'Stigma' anhört, der sich zunächst transparenten, fragilen Klängen widmet, dann jedoch schnell in eine unbarmherzige Black-Metal-Walze übergeht, die immer wieder scharfe Rhythmusbreaks setzt, dabei aber doch schon bald in einen rockenden Groove verfällt, der den Hörer mitnimmt. Die Produktion ist dabei sehr natürlich und basisch, aber bei weitem nicht so reduziert und kalt wie dereinst bei den frühen Vertretern der norwegischen Szene. Man präsentiert sich immer wieder schroff und dissonant, doch niemals in einem Maße, wie etwa MAYHEM oder DEATHSPELL OMEGA, sondern weit eher transparenter und sphärischer, etwa wie SVARTIDAUÐI oder SINMARA, oder auch mal ganz frühe SÓLSTAFIR-Werke. So präsentiert sich auch der misotheistische philosophische Ansatz der Band nicht plakativ und blasphemisch, sondern subtiler, luziferianischer, was die Zitate im Booklet sehr anschaulich machen.
Im Verhältnis zu den beiden Vorgängern gibt es vielleicht sogar einen Tick weniger postmetallische Einflüsse, was etwa das für MISOTHEIST-Verhältnisse recht reduzierte, nur gut sechsminütige Titelstück in der Mitte des Albums unterstreicht, das im rasenden Tempo wirklich weitgehend voll auf die Zwölf geht. Natürlich aber nicht, ohne immer wieder auch sowohl melodische wie auch dissonante instrumentale Kabinettstückchen einzuflechten, und sich so hier und da auch ein Stück weit an Death-Metal-lastige Gitarren- und Growlparts heranzuwagen. Diese atmen gar einen Hauch von MORBID ANGEL, bevor das Stück unverhofft - aber dennoch gelungen eingewoben - mit psychedelischen, klar gesungenen, leicht orientalisch anmutenden Doom-Parts um die Ecke kommt und in rasender Schwarzmetallerei kulminiert.
Ihr seht, MISOTHEIST ist ein weiteres Mal ein sehr vielseitiges, intensives, kompositorisch anspruchsvolles Album gelungen, das im abschließenden Zwanzigminüter 'Whitewashed Tombs' nochmals alle Register zieht. So begegnen uns einmal mehr flirrende Nordlandriffs, majestätische Breaks im Stile früher SATRYRICON-Werke, ein bedrohlich grollendes Gesangsoeuvre, immer wieder episch-doomige Einschübe und ein erhabener, dräuender Stimmduktus von B. Kråbøl. Nun, das Album hat wahnsinnig viel zu bieten, und es gibt eine ganze Menge zu entdecken, und doch präsentiert sich die Band stringent, schlüssig und durch und durch als überzeugender Vertreter einer blühenden, zukunftsweisenden Sparte innerhalb des Black Metals. Daher gibt es von mir eine definitive Empfehlung zum Probehören für jeden, der seinen schwarzmetallischen Horizont nicht 1997 enden lassen möchte.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle