MORBID ANGEL - Heretic
Mehr über Morbid Angel
- Genre:
- Progressive Death Metal
- Label:
- Earache Records
- Release:
- 22.09.2003
- Cleansed In Pestilence (Blade Of Elohim)
- Enshrined By Grace
- Beneath The Hollow
- Curse The Flesh
- Praise The Strength
- Stricken Arise
- Place Of Many Deaths
- Abyssous
- God Of Our Own Divinity
- Within The Enemy
- Memories Of The Past
- Victorious March Of Reign The Conqueror
- Drum Check
- Born Again
Ganze drei Jahre haben sich MORBID ANGEL mit ihrem mittlerweile achten regulären Studioalbum Zeit gelassen - das können sich ansonsten eher absolute Szenegrößen leisten, von einigen Ausnahmen mal abgesehen.
Mit Sicherheit kann man auch die morbiden Engel zu eben diesen Größen zählen, jedoch haben sich die Death Metal-Urväter einen denkbar schlechten Zeitpunkt für interne Querelen und kreative Pausen ausgesucht: Nicht nur in den US of A hat die Genre-Konkurrenz in diesem Zeitraum mitnichten gepennt, auch in europäischen Breitengraden hat sich in Sachen Todesbleigießerei viel getan. So haben
sich NILE und DYING FETUS mit erstklassigen Alben zu absoluten Röchel-Institutionen hochgespielt, die sich auch - oder gerade - auf der technischen Seite mindestens auf dem Niveau von Azagthoth und Co. befinden. Auf der anderen Seite des großen Teiches haben sich VADER endlich die Anerkennung einheimsen können, die sie verdienen, und mit jungen Truppen wie DECAPITATED, ESQARIAL oder SCEPTIC scharren die nächsten, verdammt hoffnungsvollen Todes-Frickler bereits ungeduldig mit den Hufen.
Mit dieser Ausgangsposition dürfte klar sein, dass "Heretic" kein Selbstläufer werden würde - mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sowieso noch kein MORBID ANGEL-Album wie der Vorgänger geklungen hat.
Ohne floridianisches Froschgequake geht es dieses Mal gleich frisch-fröhlich und Intro-frei los, und der Opener 'Cleansed In Pestilence (Blade Of Elohim)' sollte jeden Anhänger der Band vollkommen zufriedenstellen: Ein höllisches Grundtempo, viele gut platzierte Breaks sowie eine Gitarrenarbeit, wie sie unverkennbar nur aus den Fuchteln von Trey "nicht Lovecraft" Azagthoth stammen kann. Wer über das teils gedrosselte Tempo vom Vorgänger "Gateways To Annihilation" nicht genug meckern konnte, der sollte sich -nicht nur zu Beginn - bei "Heretic" sehr heimisch fühlen, denn im Prinzip und in Kurzform gesagt
ist das Teil vom musikalischen Grundgedanken her eine deutlich schnellere Ausgabe von Langrille Numero sieben.
Soll heißen: Wir haben immer noch eine beachtliche Anzahl an Tempo- und Taktwechseln zu vermelden, arschtightes, fast nicht mehr menschliches und vor Allem unverschämt variables Drumming von Meister Sandoval, recht schräges, intensives, interessantes und mitreißendes Riffing, Treys typisch atonal-abgehobene Soli, die von ihrem Harmonieverständnis irgendwo außerhalb dieser Galaxie zu Hause sein sollten sowie einen Steve Tucker am Mikro, welcher der Tradition des Toilettenspülungsgegurgels sehr
ordentlich frönt. Sogar instrumentale Zwischenspiele in bester "Domination"-Manier sind auf dem ketzerischen Werk zu finden, mal atmosphärisch mit sanften Gitarrenklängen, mal monumental-majestätisch mit wabernden Synthies.
Geistige Notiz nach den ersten Hördurchgängen: Ein typisches MORBID ANGEL-Album, das mit all dem
aufwartet, was man als anspruchsvoller Fan erwarten kann.
Doch das alleine würde nicht ausreichen, um sich den Thron wieder zu sichern, den man in drei Jahren Ruhepause fast achtlos hat verstauben lassen - und so finden sich einige neue Nuancen im Sound des Trios wieder, welche auf der einen Seite klar machen, dass die Herren Azagthoth, Sandoval und Tucker mindestens mit zur DM-Elite gehören, wenn nicht sogar an deren Spitze stehen, auf der anderen Seite aber auch zeigen, dass es kein Ding der Unmöglichkeit ist, sich selbst beim achten Studiooutput noch nennenswert weiterzuentwickeln anstatt musikalisch auf der Stelle zu treten.
So gibt es im Vocal-Bereich einige gelungene Experimente zu vermelden, die von "Ich kotze Blut" über "Kehlkopfkrebs" und "Elch in der Paarungszeit" bis hin zu "Pandabär beim Kirchenanzünden" reichen. Sehr fein. Eine weitere Neuerung ist im Prinzip eine Dezimierung: Axtschwinger Erik Rutan wurde bekanntlich geschasst, somit hat Egomane Azagthoth die alleinige Regie über die Sechssaitigen inne.
Das resultiert zum einen darin, dass "Heretic" in punkto Gitarrenarbeit das mit Abstand anspruchsvollste MORBID ANGEL-Album geworden ist, weil Trey hier seinen teils doch recht wirren rhythmischen und harmonischen Ideen freien Lauf lassen konnte, was meine Wenigkeit nur zu gerne sehr positiv bewertet. Auf der anderen Seite fehlt, gerade bei der Gitarrenfraktion, doch ein wenig der bodenständige Punch, das eher simpel gehaltene Riff, der endgültige Arschtritt, den Meister Azagthoth dank seiner Unfähigkeit, die Griffel etwas stiller zu halten, nicht sehr oft gebacken bekommt. Leider hatte der Gute auch ziemlich freies Spiel in Sachen Produktion der Scheibe und wollte dabei insbesondere mit dem Gitarrensound neue Sachen anstellen. Dieser Schuss ging m.E. dann doch eher nach hinten los, den im Gegensatz zum mörderisch satten, mächtigst drückenden Sound auf "Gateways..." ist der Klang
von "Heretic" doch arg schwachbrüstig ausgefallen - kein Wumms in tieferen Frequenzbereichen und zu wenig Differenzierung zwischen den einzelnen Instrumenten haben daran Schuld. Sandovals filigranes Spiel geht ein wenig im Soundbrei der viel zu Höhen-lastig bratenden Klampfen unter, Tuckers Bass ist stellenweise nur zu erahnen und den Gitarren mangelt es an Ausdrucksstärke und brachialer Urgewalt. Schade, denn der gute Herr Azagthoth hat sich viele zweistimmige Spielereien im Riffing-Bereich ausgedacht, die nun im zu undifferenzierten Sound viel zu sehr untergehen. Das mag jetzt arg abwertend klingen, ist es aber gar nicht. Denn bei der unbestreitbaren Klasse der Kompositionen und der unglaublichen atmosphärischen Dichte des Albums ist ein nicht hundertprozentig zufriedenstellender Sound zwar ärgerlich, führt im Endeffekt aber nur zu Abzügen in der B-Note, sobald man sich einmal in die komplexen Kompositionen eingearbeitet hat.
Bleibt als Fazit die Erkenntnis, dass sich MORBID ANGEL mit einer fast schon erschreckenden Leichtigkeit wieder an die Spitze der Death Metal-Szene gespielt haben (man sollte bedenken, dass nur ein Bruchteil der dreijährigen Schaffenspause zum Aufnehmen dieses Albums genutzt wurde) und vor Allem mit stetiger, schlüssiger und auch musikalisch wertvoller Weiterentwicklung zu
glänzen wissen. Mir persönlich gefällt "Heretic" so langsam schon besser als sein Vorgänger, und da eben diesen mindestens jeder zweite Anhänger der Truppe aus Prinzip scheiße findet (so viel Abwechslung kann ja nicht gut sein...), dürfte das neue Werk insbesondere ein gefundenes Fressen für alteingesessene Fans sein - hey, sogar der Sound klingt wie zu euren Lieblingszeiten.
Aber auch für diejenigen, die MORBID ANGEL wegen ihrer unbestreitbaren technischen Klasse zu schätzen wissen, ist "Heretic" absolutes Pflichtprogramm. Das hier ist der ideale Mittelweg zwischen musikalischer Finesse und brachialer, simpler, akustischer Urgewalt. Vielleicht sogar der Stein der Weisen für Todesblei-Begriffe. Verdammt stark.
Kleine Randnotizen noch: Mit 'Drum Check' gibt's nicht nur ein feines Überschall-Solo von Meister Sandoval, sondern auch den Beweis, dass MORBID ANGEL humorvoll sein können. Und 'Born Again' ist der Beleg dafür, dass man nicht unbedingt bekifft auf der Klampfe rumschraddeln sollte - selten klang Azagthoth so unsauber und uninspiriert. Das nächste Mal bitte lieber ein Bass-Solo.
Anspieltipps: Cleansed In Pestilence, Stricken Arise, God Of Our Own Divinity
- Redakteur:
- Rouven Dorn