MUCC - Kuchiki No Tou
Mehr über Mucc
- Genre:
- Visual Rock
- Label:
- Gan-Shin / Universal
- Release:
- 12.09.2005
- Kuchiki No Tou
- Daremo Inai Ie
- Isho
- Mikan No Kaiga
- Dakkuu
- Gentou Sanka
- Akatsukiyami
- 2.07
- Garo
- Kanashimi No Hate
- Rojiura Boku To Kimi E
- Oboreru Sakana
- Namonaki Yume
- Monochuro No Keshiki
- Kuchiki No Tou
In Japan bereits seit gut fünfzehn Jahren fester Teil der Musik- bzw. J-Rock-Szene, in Europa noch relativ frisch: Die Rede ist vom neusten Hype aus Japan, Visual Kei. Das ist die Bezeichnung für Bands, deren Mitglieder meistens männlich sind, allerdings, dank Schminke und extravaganter Haarfrisur, vom bizarren Äußeren her manchmal kaum von Frauen zu unterscheiden sind. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie wir gleich sehen werden ...
Um Visual Kei nun auch in Europa populärer zu machen, taten sich jüngst die Promotion-Firma Brainstorm Music und der Münchner Japan-Shop Neo Tokyo zusammen und gründeten das Label Gan-Shin Records. Als Vertriebspartner fand sich dazu noch Universal.
Eine der ersten Bands im Programm von Gan-Shin, welche sich durch eine hohe Qualität in der Musik auszeichnet und dafür weniger auffällig geschminkt ist, heißt MUCC oder MUKKU, was eine japanische Formulierung für die Zahlenkombination 69 darstellt. Da fängt es auch schon an mit japanischer Eigenartigkeit, denn diese Ziffern haben es MUCC angetan: So kündigte man zum Beispiel am 09.06. um 6.09 Uhr eine Show für den Abend um 21.06 Uhr an, die nach zwei Stunden dann auch prompt ausverkauft war, wobei die Anzahl der Tickets in die Tausender ging. In Europa feiern derweilen DIR EN GREY solch große Erfolge wie bei ihrem Konzert in Berlin, wo innerhalb von 72 Stunden alle Tickets weg waren.
In Japan scheinen MUCC ein echter Abräumer zu sein. Eine gewisse Besessenheit für ihre Musik lässt sich auch von der Tatsache ableiten, dass sie bei einem Altersdurchschnitt von 25 Jahren schon an die 600 Konzerte gespielt haben. Die Band ist seit 1997 aktiv! Europa dürfte ihnen aber noch jungfräulich gegenüberstehen. Bis auf ein paar wenige Auftritte in unseren Breiten, wie z. B. beim Wacken 2005, gab es von ihnen noch nicht viel zu hören. Ehrlich gesagt, waren sie mir bis vor kurzem auch überhaupt noch kein Begriff. Und nun erhalte ich die Promo zu "Kuchiki No Tou" und könnte mich schon nach dem ersten Reinhören so richtig in den Arsch beißen, dass ich MUCC beim Wacken ignoriert habe!
Dabei genügt schon ein Blick ins CD-Heft, um festzustellen, dass MUCC wohl doch nicht so ganz ins Visual-Kei-Klischee reinpassen. So stehen die vier Jungs mit schwarz geschminkten Augen mitten im japanischen Urwald, haben schwarze Anzüge an, über die weiße Farbe gespritzt wurde, und gucken mächtig traurig beziehungsweise weltfremd drein. Da stellt sich bei mir sofort ein erdiges Gefühl der Abgeschiedenheit ein. Außerdem strahlt die ganze Kulisse eine eigenartige Kälte und Dunkelheit aus.
Beim Anblick der japanischen Songtexte bekomme ich erst einmal einen Schreck, aber dafür gibt es ja noch ein zweites Songbook, und zwar mit deutschen Übersetzungen. Ein erstes Durchstöbern derselben ergibt folgendes: MUCC erzählen bittere Geschichten über das Leben in Japan, zweifeln mächtig an der Existenz und schreien vor allem nach einem - Freiheit! Die Texte sind sehr persönlich geschrieben und lassen viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Aber es wird auf jeden Fall deutlich, dass MUCC den lyrischen Aspekt ihrer Musik extrem ernst nehmen und die Kritik an der Gesellschaft und dem Leben aus einer sehr persönlichen Perspektive heraus entsteht. Also, keine Phrasen, sondern japanischer Realismus, und das in ziemlich abgedrehter Weise! (In etwa so, wie man es von japanischen Indie-Filmen kennt.)
Ihre Musik nennen MUCC Visual Rock. Praktisch steckt dahinter eine Mischung aus Crossover Metal und Hard Rock, gepaart mit sanfteren Passagen. Dabei geht es in einigen der fünfzehn Songs auf "Kuchiki No Tou" ungemein heavy zur Sache, so zum Beispiel in dem aufrührerischen 'Dakkuu', das stilistisch zwischen neuen METALLICA und SYSTEM OF A DOWN einzuordnen ist, also richtig abgeht. Ähnlich geartet ist auch das gleich darauf folgende 'Gentou Sanka'. Faszinierend ist die Stimme von Sänger Tatsuro, der abwechselnd nach Gesangsausbildung klingt und dann wieder einfach nur alle Aggression herausbrüllt.
Und nicht nur vom Gesang her wird es auf "Kuchiki No Tou" nie langweilig. MUCC scheinen einfach nie die Ideen auszugehen für neue Melodien oder verrückte Rhythmuswechsel, und so schaffen sie harte Kontraste zwischen ganz sanft oder aggressiv, zerbrechlich oder steinhart. Dementsprechend sind auch die Songs auf der CD so angeordnet, dass nach zwei bis drei harten Stücken wieder ein getrageneres, melodisches folgt.
Ein Hördurchlauf genügt da längst nicht, um alle Höhen und Tiefen zu erfassen, durch die MUCC uns mitnehmen. Von zu Tode betrübt und melancholisch bis vor Energie übersprudelnd, der Aggression und dem Hass freien Lauf lassend, gehen MUCC bei jeder emotionalen Tonart an die Grenzen des Ertragbaren. Das Meisterliche daran ist: Das gesamte Material ist organisch in sich geschlossen, ein einziger Fluss, der durch das Ohr rauscht und von dem man sich gerne in alle nur erdenklichen musikalischen Gefilde mitstrudeln lässt.
Es fällt schwer, da einzelne Songs herauszugreifen, weil alles in Bewegung ist und sich ständig zu neuen Formen zusammenfindet. Am Anfang tickt eine Uhr, hört man das Schlagzeug einen treibenden Marschrhythmus spielen und anfeuerndes Klatschen, wie in einem Konzert, untermalt vom leisen, melancholischen Spiel einer Gitarre. Dann setzt 'Daremo Inai Ie' in ziemlich finsterer Weise mit fetten Rhythmus-Gitarren, wühlendem Bass und unruhigem Gesang ein, perfektioniert in bester SLIPKNOT-Manier. Daraufhin setzt 'Isho' erst mal die angeschlagene Härte fort, nimmt dann aber eher getragenere Züge an, um am Ende wieder richtig Gas zu geben. 'Mikan No Kaiga' gerät etwas sanfter, besticht dafür aber mit bitterzarten Melodien.
Und so zieht sich dieses Auf und Ab durch das gesamte Album, welches mit 'Kuchiki No Tou' ein denkbar düsteres elfminütiges Ende nimmt. Oder sollte ich lieber sagen, einen gar düsteren Anfang?! Wer weiß, vielleicht werden in Japan nicht nur Texte von hinten nach vorne gelesen, sondern auch die CDs vom Ende zum Anfang abgespielt? Egal, denn "Kuchiki No Tou" fängt mit 'Kuchiki No Tou' an und hört lustigerweise auch mit 'Kuchiki No Tou' auf. Nach satten 69 Minuten - eine andere Zeit kam bei MUCC aka MUKKU wohl nicht in Betracht - völlig japanisiert beziehungsweise muccu-isiert, war ich auch schon drauf und dran, dieses Review rückwärts zu schreiben, frei nach dem Motto: Am Anfang war das Ende. Wie herum auch immer ihr nun diesen Text ihr lest, wisset eines: Ich bin begeistert!
Anspieltipps: eigentlich alles, aber wenn es hilft: Dakkuu, Akatsuki Yami, 2.07 (abgedrehtes Instrumental), Kanashimi No Hate (stimmgewaltig!), Kuchiki No Tou (der vertonte Wahnsinn)
- Redakteur:
- Wiebke Rost