MUDVAYNE - Lost And Found
Mehr über Mudvayne
- Genre:
- Nu Metal
- Label:
- Epic / Sony BMG
- Release:
- 04.04.2005
- Determined
- Pushing Through
- Happy?
- Imn
- Fall To Sleep
- Rain. Sun. Gone.
- Choices
- Forget To Remember
- TV Radio
- Just
- All That You Are
- Pulling The String
Es gibt Menschen, die warten auf besseres Wetter. Es gibt Menschen, die warten auf ihre Verabredung. Es gibt Menschen, die warten auf die Erlösung. Und es gibt mich - ich wartete auf "Lost And Found".
Anhand des dauerhaften Infoflusses auf http://www.mudvayne.com und der beiden Vorabvideos zu 'Determined' und 'Happy?' warf MUDVAYNEs mittlerweile vierter Output lange Schatten voraus. Der Erwartungsdruck der Fans, speziell der Fan(atiker) wie mir, übertraf noch den zum 2002er Release "The End Of All Things To Come", war das Album doch als rauer, straighter und experimenteller angekündigt, als es sein Vorläufer war. Die Worte "L.D. 50" waren in aller Munde. 'Determined' als geradliniger Powersong schürte das Feuer weiter. Ob nun gut oder schlecht - auch "Lost And Found" wird dem Major-Debüt der Jungs den Rang nicht ablaufen, aber: Das Sequel zu dieser Überplatte schlägt es mit links.
Stilistisch setzen MUDVAYNE genau dort an, wo "The End Of All Things To Come" aufhörte. Mit der Brechstange wird zwar gleich mit den ersten zwei Songs 'Determined' und 'Pushing Through' die futuristische und leicht klinische Atmosphäre des Vorgängers ausgehebelt, ansonsten jedoch präsentieren die Jungs in brillanter Qualität ihren Mix aus Nu Metal, Rock und mittlerweile auch mal etwas mehr Was-auch-immer-Core, aufgebaut auf den wieder etwas vetrakteren Rhythmen von Drummer Matthew McDonough. Klampfenquäler Greg Tribbett setzt seinem Spiel erneut die Krone auf, zaubert groovige Riffs und stimmige Leads auf den Sechssaiter und übernimmt auch dieses Mal wieder die Backing Vocals. Das extraterrestrische Basspiel von Ryan Martinie wurde von Producer Dave Fortman (der vierte Produzent beim vierten Album - öfter mal was Neues) endlich wieder stärker in den Vordergrund gemischt. Und Chad Gray? Der erlebt nach der teilweise etwas schwächeren Leistung auf "The End Of All Things To Come" seinen zweiten Frühling. Gepresstes Shouting, kehliges Kreischen und Clean-Vocals, mit denen er wieder beweist, dass er einer der genialsten Songwriter auf Erden ist.
So viel zur Allgemeinheit. Klingt gut? Ist besser! "Lost And Found" repräsentiert die reifste MUDVAYNE-Platte aller Zeiten. Ihren Stil haben die Jungs endgültig gefunden und fahren auf dieser Strecke dermaßen konsequent, dass sie jede im Ansatz vergleichbare Konkurrenz weit hinter sich lassen. Vom schieren Nu Metal, den sie ja eigentlich nie wirklich vertreten haben, sind sie längst weg. Der rein technische Math Metal ist es auch nicht mehr, aber für Progressive Rock sind MUDVAYNE um Längen zu hart. 'Determined' ist als klassischer Opener und Live-Kracher schon ein guter Beleg dafür. Zweieinhalb Minuten kurz, ohne Atempause auf die Fresse. Dazu ein paar schöne Mitgrölpassagen fürs Publikum - kein Wunder, dass der Song live noch besser fegt als auf Plastik. 'Pushing Through' marschiert in eine ähnliche Richtung, erinnert mit seinem Anfangsriff sogar stark an 'Internal Primates Forever'. Dafür ist der Song jedoch zu klar strukturiert. Chad vollzieht im Song sehr schöne und krasse Wechsel zwischen Aggressivität und Ästhetik, die im Laufe des Albums öfter wiederkommen.
Wohl jeder, der das Album zum ersten Mal hört, würde bei 'Happy?' sofort "Single!!!" brüllen. Denn mit jeder Sekunde, jedem Ton scheint 'Happy?' als Repräsentant für die Massen zu funktionieren. Das Tolle dabei, und im Rückschluss mit ein Grund, warum ich diese Band einfach nur liebe, ist dass sich der Song deshalb nicht gezwungen poppig anhört, sondern einfach nur wunderschön ist. Chad schmachtet in den Strophen dahin, um im Chorus wieder ein paar ordentliche Brüller loszulassen. Der Song weist ein recht gesetztes Tempo auf, entbehrt jedoch nicht einer gewissen Dynamik. Das Lied steigert sich in seiner Intensität von Sekunde zu Sekunde und endet mit einem wütenden "Are you fucking happy, now that I've lost, left with nothing?". Und was dann folgt, ist der Beweis, dass MUDVAYNE trotz allem immer noch zu überraschen wissen, und trägt den Namen 'IMN'. Die Atmosphäre wechselt in Nullzeit von "melancholisch" zu "scheiße noch mal angepisst", und nach einem druckvollen Intro sondert Chad in giftigster Art und Weise Hasstiraden, Vorwürfe und Selbstzweifel ab, die das erste Mal seit 2001 wieder "L.D. 50"-würdig klingen. Ebenfalls zum ersten Mal haben es MUDVAYNE geschafft, ihre Live-Intensität vor allem stimmlich eins-zu-eins auf eine CD zu übertragen. Der Song ist nicht schnell, aber mörderisch treibend. Erst gegen Ende wird die beklemmende Stimmung kurz durchbrochen, aber nur, um einem psychedelischen Break Platz zu machen, das alle Reserven für das große Finale forciert. "My world, my rules, my noose. My world, my rules, fuck you!" Wie ein schwerer Atem umhüllen die letzten Stakkatos aus Gitarren und Doublebass das Ohr und faden schließlich langsam aus. Ein selten intensives Erlebnis, und der vielleicht beste MUDVAYNE-Song der letzten fünf Jahre.
Tja, und das, liebe Leser, war erst Lied vier von zwölf! Und bisher bekam man schon einiges geboten. 'Fall Into Sleep' füllt jetzt die letzte Lücke und setzt das Konzept Halbballade noch mal ein Eckchen konsequenter um als 'Happy?'. Das Coverartwork wird nun inhaltlich verwertet ("Dreams of hurricanes ...") und ist Basis für einen Song, ergreifend wie ein blutendes Herz, über einen Menschen, der als Einziger den Verfall der Welt zu sehen scheint. Und genau mittig haben MUDVAYNE dann die beiden Kernstücke von "Lost And Found" platziert. 'Rain. Sun Gone.' steht mit seiner sehr ausgeglichen Mischung aus Melodie und Melancholie, beißender Härte, schrägen Elementen und genialem Text in Sachen bester Album-Song ganz dicht hinter 'IMN' an, und ist auch als der Titelsong der Platte zu sehen. Nach einem längeren Instrumentalspiel zwischen Bass und Gitarre am Ende des Songs rutschen MUDVAYNE übergangslos in das fünfeinhalb Minuten lange Epos 'Choices', das von hypnotischer Apokalypse bis hin zu Kinderreimen ein Bündel der Kreativität ist. Dazu gesellen sich leicht vernebelte Samples am Songende.
Halbzeit. Immer noch fünf Songs übrig, und dabei wäre man hier schon so zufrieden. Aber MUDVAYNE legen Schippe um Schippe drauf. 'Forget To Remember' geht in eine ähnliche Richtung wie 'Happy?' und 'Fall Into Sleep', und es sollte niemanden wundern, dass MUDVAYNE zu diesem Song das nächste Video drehen (auch wenn ich mir 'Rain. Sun. Gone.' oder 'IMN' gewünscht hätte). Ein eher ruhiges Stück, versüßt durch einen stets wiederkehrenden unverzerrten Gitarrenlauf. 'TV Radio' zieht das Tempo wieder an, und dreht sich inhaltlich genau um diesen beiden Dinge: Fernsehen und Radio. Der Chorus erinnert vom Aufbau her stark an DISTURBED, und Chad packt eine nette Keifstimme aus, die er so vorher noch nicht benutzt hat.
Der Knackpunkt des Albums ist 'Just'. Als einziger Song der Scheibe wirkt er ein wenig ungeordnet, leider aber auch uninspiriert. Dieser Eindruck legt sich aber mit der Zeit, und der abgehakte Verlauf des Songs weiß durchaus zu gefallen. Bis auf 'Pushing Through' und 'Determined' ist er auch eigentlich der einzige Vollblut-Powersong. Vor der Kraft von 'All That You Are' verblasst er jedoch völlig. Dieses sphärische Stück scheint völlig frei von Schwerkraft und doch so belastet vom Leben zu sein, dass man erstmal innehält. Der verträumt traurige Start fängt sich selbst in einem wunderschönen, verzweifelten Refrain und gipfelt in einem giftigen Endpart, der den Hörer vollends mitzieht. Ein göttlicher Song, der nur knapp an der Atmosphäre eines 'Severed' scheitert. "Lost And Found" erreicht an dieser Stelle einen glanzvollen Höhepunkt, findet aber mit 'Pulling The String' einen ebenso würdigen Ausklang. Hier wird endlich noch mal richtig mit dem Rhythmus und der Struktur gespielt. Und nach einem stets frenetisch wiederholtem "I'm tied to no one - pulling the string!" endet das Album, ohne Fragen zu hinterlassen.
Das Warten hatte sich also mehr als gelohnt. MUDVAYNE haben mit "Lost And Found" selbst meine hohen Erwartungen an vielen Stellen übertroffen. Der Sound ist wieder fett, das Selbstvertrauen groß wie nie zuvor, und mit 'Rain. Sun. Gone.', 'IMN' und 'All That You Are' sind drei Garanten für schönste Stunden mit an Bord. Wer nach "The End Of All Things To Come" noch an MUDVAYNEs Platz auf dem Thron der modernen Metalbewegung gezweifelt hat, sollte spätestens jetzt zugeben, dass er im Unrecht war!
Anspieltipps: IMN, Rain. Sun. Gone., All That You Are
- Redakteur:
- Dennis Hirth