MUFF POTTER - Heute wird gewonnen, bitte.
Mehr über Muff Potter
- Genre:
- Punkrock / Indie / Rock
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Huck's Plattenkiste / Indigo
- Release:
- 15.09.2003
- Yount Until I Die
- Placebo Domingo
- Das Ernte 23 Dankfest
- Wir sitzen so vorm Molotow
- Am 5. Oktober wie jedes Jahr
- Vom Streichholz und den Motten
- Die etwas öde Ballade der Tristessa M.
- Die Hymne
- Dieser Saatjohann
- Bis zum Mond
- Schwester im Rock
- Denn Du bist es auch
- Sudholt
- Elend #16
Punkrock auf Deutsch? Und dann noch mehr Rock als Punk? Kann das gutgehen?
Es kann nur gutgehen, wenn eine Band mit trockenem Humor wie MUFF POTTER sich ernster bis wolkiger Themen annimmt und die dazu ersonnenen Texte mit ungehobeltem aber geschickt verfugtem Songwriting versieht. Abgebeizt mit punkig angeschrofftem Spiel und voll und ganz in Ordnung gehender, organisch wirkender Produktion aus einem Guss, aber ohne mehr hermachen wollender Politur als an Substanz wirklich da ist. Statt dessen: Understatement. Der selbstbewussten bis selbstironischen Art, allerdings. Und so löst die Band ein, was der Titel in hintersinnig ironisierter, jahrmarktschreierischer Großspurigkeit ankündigt: "Heute wird gewonnen, bitte."
Man kracht in medias res mit einem schnörkellosen Zwiegespräch mit sich selbst namens 'Young until I die' und dem Versprechen "Ich werd' nicht zum Psychiater rennen, denn der findet meinen Wahn doof" in 'Placebo Domingo', einem wohl als selbsterfüllende Prophezeiung gedachten Durchhalte- und Motivations-Song für alle, die sich abseits ausgetretener Pfade ins Unterholz des Lebens schlagen wollen. "Ich will mich nur erinnern / Komm! Komm! / Über all die Zeittotschläger lachen / Komm! Komm! / Ich will ja nicht verhungern / Komm, Schätzchen, lass es krachen!" Hymenhaft und krachig zugleich, und damit ist die Richtung für den Rest des Albums dann auch weitgehend vorgegeben. "Heute wird gewonnen, bitte" ist sicherlich nichts für zart besaitete, allzu feinfühlige Schöngeister, wohl aber eine Platte für Freunde raubeinig verschalter Musik mit gutmütig-weichem Kern, die flüchtige Schönheit gerade auch im Kratzbürstigen suchen. So furchtbar sperrig sind die Songs nämlich nicht, wie sich nach wenigen Rotationen feststellen lässt.
Der erste Hit prasselt mit 'Das Ernte 23 Dankfest' ins majestätisch weite Feld: "Krähen kreisen über dein Haus / Du sitzt drin und traust dich nicht raus / Deine Augen leuchten groß / Sie leuchten schön so wie der Wahnsinn / Schade, dass das keiner sieht / weil's dich eigentlich gar nicht gibt", wird hier ein nervöses Mauerblümchen besungen, dem MUFF POTTER - ganz im Sinne des Leitmotifs - ein Lied opfern; "und nur für einen Moment / lebst Du in mir". Um das geborgte Leben in Stellvertretung geht es auch in der Hymne an die Literatur 'Bis zum Mond'. Wer kennt es nicht, das Gefühl, mittendrin zu sein, während man aus allem anderen rausgefallen ist und nicht möchte, dass man jemals die letzte Seite erreicht? Hier ist der Song dazu! Mit Flugzeugen über dem Bett und Monstern drumherum. Dann gibt es aber auch noch die Monster in einem drin, über die man vielleicht niemals den letzten Buchdeckel wird schließen können, und die beständig Zweifel säen, und die man dennoch immer wieder aufs Neue auszurupfen versuchen muss. Ihnen ist 'Dieser Saatjohann' gewidmet. Soviel zum Säen, Wachsen und Ernten.
Dann gibt es die Lieder über das Herumsitzen und Warten im oder auf die Befreiung aus dem Alltag. Sei es der leicht nostalgische Tribut-Song 'Wir sitzen so vorm Molotow', der mit seiner im besten Sinne holzigen Dynamik sicherlich nicht nur Cocktailtrinkern und Hamburger Szeneclubgängern munden wird. Sei es die basslastige, schleppend-brummlige, leicht vernölte, sachlich nüchterne Obdachlosenballade 'Am 5. Oktober, wie jedes Jahr'. Oder sei es das im Intro unverhohlen MARIANNE FAITHFULLs Selbstmördertraum 'The Ballad Of Lucy Jordan' zitierende Stück 'Die etwas öde Ballade der Tristessa M.' mit seinem halb einfühlsamen, halb sarkastischen Text. "Bis dass der Tod euch scheidet / Gähno und Tristessa / Reichst du mir mal das Messer?"
Die Motten kriegen kann man aber nicht nur vom Alltag oder vor der Furcht vor dem Ausstieg daraus. Wie die Motte auf dem Weg zum Licht kann man sich auch fühlen, wenn man dem Fernweh nachgibt, berauscht vom Gefühl einer Freiheit, die es so vielleicht gar nicht gibt. Und so heißt es dann in 'Vom Streichholz und den Motten', dieser surrealen Hymne für alle Träumer auf Autopilot: "Alles zieht vorbei / und ich fühl mich groß / Da vorn sind meine Beine / und du wohnst auf meinem Schoß / Fahrtwind hüllt mich ein / Fahrtwind hüllt mich ein / Fahrtwind lässt mich nicht allein". Der treibende Sound dazu klingt freudigerweise so, als hätte dieser Radler außer punkigem Indierock auch MOTÖRHEAD auf seinem Mixtape gehabt. Einen weiteren Ausbruchsversuch aus dem immergleichen Trott regt 'Schwester im Rock' an, und dieser Song scheint sich gleichermaßen auf konservative Verklemmungen wie auch auf den Status von Frauen als Männer-Anhängsel in der sich sonst ach so rebellisch gebenden Rockszene zu beziehen. 'Denn Du bist es auch' ist eine aufgeräumte Ode an die Zweisamkeit, die nicht vieler Worte bedarf. Und wenn danach mit dem raubeinigen 'Sudholt' wieder der grobe Punkhobel angesetzt und allen Schleimern eine Grenzlinie in den Staub gezogen wird, dann kommt das gerade recht. Die Eingängigkeit haben die Jungs von MUFF POTTER bei diesem Stück sowieso gepachtet. Rock 'n' Roll!
Wenn man trotz dieser mutvoll antreibenden und tragende Soundwände in den Klangraum stellenden Musik einmal durchhängt, dann sind zumindest 'Die Hymne' als melancholisch versilberter Hoffnungsschimmer oder 'Elend #16' als letztes Aufgebot dazu geeignet, ehedem vollresignative Katerstimmung doch noch in ein schief über sich selbst grinsendes Aufraffen zu verwandeln. Immer daran denken: "Lachen kann so leicht sein / wenn man genügend oder / gar keine Gründe hat". Und: "Du hast nicht verloren / Die anderen haben nur gewonnen."
Aber "heute wird gewonnen, bitte".
Anspieltipps: Das Ernte 23 Dankfest, Wir sitzen so vorm Molotow, Vom Streichholz und den Motten, Die etwas öde Ballade der Tristessa M., Die Hymne, Bis zum Mond.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz