NAGLFAR - Cerecloth
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2020
Mehr über Naglfar
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Century Media (Sony)
- Release:
- 08.05.2020
- Cerecloth
- Horns
- Like Poison For The Soul
- Vortex Of Negativity
- Cry Of The Serafim
- The Dagger In Creation
- A Sanguine Tide Unleashed
- Necronaut
- Last Breath Of Yggdrasil
Acht lange Jahre kreativ genutzt und mit Macht zurück auf die nordische Black-Metal-Landkarte.
Die seit den frühen Neunzigern aktive und 1994 mit ihrem großartigen Demotape "Stellae Trajectio" debütierende Band aus Umeå im hohen Norden des schwedischen Königreiches war schon bald eine der prägenden Größen der typisch schwedischen Ausprägung des Black Metals der zweiten, der großen Welle. Rasend schnelle doch dabei stets hochmelodische doppelte Gitarren, Doublebass, Blastbeats und eine heiser keifende, dabei aber doch gut verständliche Stimme. Zusammen mit MARDUK, DARK FUNERAL und DISSECTION kann man NAGLFAR fraglos zu den "Großen Vier" der schwedischen Black-Metal-Szene der Mittneunziger zählen, und auf ihren bisherigen sechs Studioalben lieferte die Band auch immer Qualität ab, allerdings nicht ganz ohne Einschnitte. So wollten nach "Sheol" (2003) nicht alle Fans mit dem Weggang des beliebten Frontmannes Jens Rydén und der Übernahme des Mikrophons durch Bassist Kristoffer W. Olivius klar kommen, obwohl jener seine Sache fraglos gut machte, und langsam schien ein wenig Sand ins Getriebe zu kommen. Die Abstände zwischen den Alben verlängerte sich zusehens, auf "Téras" - den Vorgänger des aktuellen Albums - mussten die Fans satte fünf Jahre warten, und seither sind gar schon wieder acht Jahre ins Land gezogen, auch in Västerbotten.
Manchmal indes ist es hilfreich für eine Band, aus dem Veröffentlichungsrhythmus auszubrechen und sich die nötige Zeit zu lassen für eine neue Scheibe, und so scheint der Fall bei NAGLFAR zu liegen, denn das siebte Studioalbum "Cerecloth" wirkt auf mich wieder ein wenig frischer als seine beiden Vorgänger, auch wenn die Produktion von Altmeister Dan Swanö für den archetypischen Schweden-Black-Metal der Band vielleicht ein wenig dumpf klingt und im Gitarrenbereich einen Tick mehr Schärfe vertragen hätte. Doch das ist Jammern auf höchstem Niveau, den die Scheibe klingt gleichwohl sehr natürlich und hat ordentliche Durchschlagskraft, ohne dabei steril zu wirken, so dass das Klangbild mit den richtigen EQ-Einstellungen durchaus Laune macht.
Der Einstieg mit dem Titelstück ist so urtypisch wie effektiv: Zehn Sekunden Synth-Wabern, zwei kurze Drumakzente, dann ein melodisches Gitarrenlead, zwei Akkordattacken und ein markerschütternder Begrüßungsschrei: Wir sind wieder da! Dann surren sie, flirren sie und rasen sie, die urtypischen NAGLFAR-Gitarren von Marcus E. Norman und Andreas Nilsson, eine Wand aus Melodie und Raserei mit messerscharfen Breaks und effektiv gesetzten Pausen, angetrieben von unbarmherzigen Beat Efraim Juntunens und dem nicht übermäßig prominent im Mix stehenden, aber doch präsenten Bass A. Impalers. Darüber thront Kristoffer Olivius mit seiner zwar nicht übermäßig individuellen, aber eben doch perfekt zum Genre pssenden Stimme. In ähnlich unbarmherziger Raserei bricht dann 'Horns' über uns herein, doch es wechselt immer wieder in einen zwar immer noch schnellen, aber walzenden und mitnehmenden Groove, hinter dem immer eine stark verzerrte Leadmelodie durch den Schneesturm lockt und sich im Mittelpart ein markantes Solo ins Rampenlicht drängt.
Erstmals ein kleines bisschen Tempo wird dann bei 'Like Poison For The Soul' herausgenommen, wodurch ein mächtig in den Nacken gehender Headbanger mit sehr dunkler Aura geschaffen wird, dessen Leadgitarren immer wieder spannungsgeladene Dissonanzen zelebrieren, mit deren harmonischer Auflösung sie sich lange Zeit lassen. Ein packendes und forderndes Stück. Wer nun direkt Angst hat, die Band könnte das Midtempo für sich entdeckt haben, der kann sich direkt im Anschluss von 'Vortex Of Negativity' wieder im ICE-Tempo vermöbeln lassen, das in einem Inferno aus allerlei Blast und Doublebass zu versinken droht, den Hörer aber immer wieder von einer markanten Snare aus dem Strudel ziehen lässt und zum Ende des zweiten Drittels sogar über einen drastischen Tempowechsel in eine majestätisch schleppende Doomigkeit transzendiert, nur um am Ende - natürlich - nochmals den Cerberus von der Leine zu lassen.
Damit sind wir im Herzen des Albums angelangt, in welchem 'Cry Of The Serafim' eine sehr zentrale und eindrucksvolle Rolle spielt. Das Stück glänzt mit den schärfsten Riffs und Breaks der Scheibe und auch mit der interessantesten kompositorischen Konzeption, den drastischsten Stimmungswechseln, die instrumental und stimmlich toll heraus gearbeitet und akzentuiert werden. Auch in der zweiten Hälfte des Albums folgen weitere Highlights wie etwa die tollen Soli und das eigenwillige Cymbalspiel bei 'The Dagger In Creation', die packenden Drums, das überbordende Gitarreninferno und der hier wirklich perfekt in Szene gesetzte und bisweilen gar hysterisch kulminierende Gesang bei 'A Sanguine Tide Unleashed'. Ja werte Gemeinde, das passt schon bis hierhin alles ganz hervorragend, was NAGLFAR zum Besten gibt, und dann gibt es kurz vor Schluss mit einer gemächlich solierenden Leadgitarre und dann ganz langsam einsetzendem doomigem Beat noch einen mächtigen Kontrapunkt zur überwiegend sehr hohen Geschwindigkeit. Durch den Tempowechsel ins Largo setzt 'Necronaut' auf jeden Fall eine sehr intensive Duftmarke, auch wenn es dann nach dreieinhalb Minuten etwas abrupt endet beziehungsweise in den großartigen Hinausschmeißer 'Last Breath Of Yggdrasil' übergeht, der nochmals eine ganz wunderbare Balance zwischen Raserei und markantem, angezogenem Midtempo findet und live die Häupter intensivst kreisen lassen dürfte.
Die Scheibe mit ihrer Spielzeit von einer knappen Dreiviertelstunde lädt zum regelmäßigen und wiederholten Abspielen ein, und obwohl sie letztlich kein Stück weit aus dem von NAGLFAR selbst in drei Jahrzehnten gesteckten Rahmen ausbricht, bleibt sie spannend und lässt immer wieder neue Details offenbar werden. Wenn ich also nach all den bisherigen Durchläufen so auf das schöne und passende, wenn auch farblich sowohl für die Band als auch für den Künstler ungewöhnliche Necrolord-Artwork der "Cerecloth" blicke, dann bleibt mir nur die Erkenntnis, dass den Schweden anno 2020 ein richtig starkes Comeback gelungen ist, das sie mit Macht zurück auf die Landkarte des schwarzen Nordlandstahls bringt. Die acht langen Jahre wurden also kreativ genutzt.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle