NEUROSIS - Enemy Of The Sun (Re-Release)
Mehr über Neurosis
- Genre:
- Depri-Core
- Label:
- Cargo Records/ Neurot Recordings
- Lost
- Raze The Stray
- Burning Flesh In Year Of Pig
- Cold Ascending
- Lexicon
- Enemy Of The Sun
- The Time Of The Beasts
- Cleanse
- Takeahnase (Demo Version)
- Cleans II (Live in Oberhausen)
Was für ein Trip! 76:16 Minuten dauert NEUROSIS' viertes Werk aus dem Jahr 1993, das jetzt noch einmal neu aufgelegt wird. Die apokalyptischen Welten der Mannen um Bassist und Sänger Dave Edwardson blühen ab der ersten Note in Farben aus Lavarot und erdigem Braun, alles endlos überdeckt vom düsteren Schatten der weltlichen Realität. Die Sounds sind endlos lang. Schon im ersten Song 'Lost' darf man über acht Minuten lang versinken, zwischendrin von simpler Wut aufgerüttelt werden, am Ende wieder in tiefer Tristesse verzweifeln. NEUROSIS halten in ihrer Musik nie viel von Hoffnung, dem Aufballen der Instrumente folgt endlose Traurigkeit. Sei es der Kummer über die eigene graue Existenz in der Großstadt, das Vergehen von Natur und Artenvielfalt auf dem Planeten oder der nicht gut zu machende Verlust von lieben Menschen - die Musik von NEUROSIS eignet sich als Ventil für jede Scheiße des Lebens. Dabei wird die absolute Melancholie aber mit einem fast schon manischen Abwechslungsreichtum zelebriert, als wollten NEUROSIS ihrer eigenen trüben Stimmung ein Extrafass Kreativität gegenüberstellen. Einmal schluchzen Streicher im Hintergrund, dann wieder erklingt wie am Anfang von 'Raze Of Stray' eine glockenhelle Frauenstimme und immer wieder hallen nicht enden wollende Percussion-Parts im Ohr nach. Freilich sind solche Parts nur als Kontrapunkte zum allgemein schweren NEUROSIS-Sound gedacht: Die Gitarrenwände der Saitenhexer Steve von Till und Scott Kelly türmen sich im Wettstreit nach oben und fallen klatschend, geradezu niederschmetternd über dem geplagten Hörer zusammen. So werden Bilder im Kopf erzeugt, krasse Bilder, neurotische Gemälde aus Verfall und stinkendem Fleisch. Die Stimme von Dave Edwardson tut da ihr Übriges, sie klingt mal wütend und verzweifelt, mal bittend und flehend, dann wieder zornig. Der sich so ergebende Akustik-Mix ist über Kopfhörer besonders intensiv, hier ballert es einem trotz der allgemeinen Langsamkeit sämtliche Synapsen aus dem Hirn - selten klang eine Band so intensiv wie NEUROSIS. 'Burning Flesh In Year Of The Pig' startet als drittes Stück als Intro zu 'Cold Ascending' mit langen Filmsamples, im Hintergrund nervöses Wasserblubbern und Pfeifen, das Chaos steigert sich. Übergangslos fängt 'Cold Ascending' im Ultradoom-Mode an - zwischen den einzelnen Gitarrenläufen bleibt Zeit für 'nen Tee. Dennoch: Gerade diese provozierende Lähmung von Klang ist das geniale Moment bei NEUROSIS - sie spielen nicht um der Langsamkeit Willen so, sondern weil sie im Kopf eine Vision ablaufen haben. Diese große Idee zwingt sie dann auch wieder dazu, plötzlich das Tempo in 'Cold Ascending' anzuziehen und den Song in eine Noise-Orgie zu verwandeln. Und so geht es weiter auf "Enemy Of The Sun", erscheinen immer wieder neue und ausgefallene Klangwelten - krachig, chaotisch, sanft, bunt, Musik von einem anderen Stern, schlichtweg existenziell.
Anspieltipps: Gesamtkunstwerk
- Redakteur:
- Henri Kramer