NIBLETT, SCOUT - Kidnapped By Neptune
Mehr über Niblett, Scout
- Genre:
- Gehauchter Noise/Slow Punk
- Label:
- toopure/Beggars Group
- Release:
- 10.05.2005
- Hot To Death
- Kidnapped By Neptune
- Pompoms
- Lullaby For Scout In 10 Years
- Fuck Treasure Island
- Relax
- Valvoline
- Good To Me
- Handsome
- Safety Pants
- Newberryport
- This City
- Wolfie
- Drink To Me
- Where Are You?
Scout Niblett hat einen seltsamen Namen und ist eine Frau. Eine, die rohe, kryptische und minimalistische, da keineswegs überproduzierte Musik vorlegt. Vorspielt, vorkeift, vorsummt, vorflüstert und manchmal auch vorschreit. Damals, kurz nach Erwerb wie auch heute, drängen sich mir bei der Festlegung der Pole, zwischen denen sich diese Musik hier einordnen lässt, AMBER ASYLUM, PJ HARVEY, L7 oder aber SLEATER KINNEY in die Synapsen.
Schon der erste Song 'Hot To Death' beginnt schmeichelnd und balladesk. Wie eine Minnetante haucht die Gute ihre Stimme in die Dunkelheit hinein. Eigentlich könnte unser Herumirren an einem dunklen Strand noch lang, lang so weitergehen ... Da brechen auf einmal Schläge und eine fies verstimmte Klampfe über uns herein. Ein unweigerliches "Oh Gott, was kommt da noch?" Der Ausbruch ereilt uns unerwartet, wie vieles an dieser Platte. Die gute Scout aber hat nichts weiter zu tun als über den Krach in reinen Gesangslinien Beschwörungsformeln zu singen. Wie die böse Fee.
Die Fee ist nicht eingeladen worden zum Fünfzehnten. Und hat auch sonst immer ganz alleine gefeiert: mit Drumkit und Gitarre. Ja, ich denke, die junge Dame ist eher von der undurchsichtigen und schwer berechenbaren Fraktion. Geholfen haben ihr, wie nur in der Innenseite bekannt wird, zwei Typen: ein gewisser Sal und ein Kourkounis. Es ist also so, dass Scout Niblett irgendwie alle relevanten Instrumente ebenso eigenhändig eingespielt zu haben scheint.
Um nicht ganz auf professionelle Hilfe zu verzichten, hat das Ganze der gute Steve Albini verfeinert, umtriebigster Produzent mit Hang zur klanglichen Rauheit – diese Vorliebe hat er ja oft schon bewiesen. Und seine Hauptband SHELLAC ist ja sowieso fast genrestiftend geworden. Wie Messer, wie Metall und andere eher kalte Stoffe klingen alle diese hier benutzten Tonspuren. Als hätten die Musiker das Ganze bei Minusgraden eingespielt.
Nur manchmal, manchmal, da wärmten sie sich selbst, indem sie dann mal Wutausbrüche in ihre Bedienelemente droschen. Zu hören ganz wunderbar in 'Lullaby For Scout in 10 Years' - ein Song, der wie eine bremsende Teerwalze endet. Die Schreistimme schlägt ein, zwei Male in wahre Wut um und überschlägt sich, gerät außer Kontrolle. Hier könnte man denken, man hört einer Pubertierenden beim Mutti-Anschreien zu. Schön.
Es folgen nun zwei Darbietungen, in denen sich meine Erwartung bestätigt: Hier ist eine Stimme mit extrem hohem Wiedererkennunswert am Werke. Jeweils nur Drum und Gitarre begleiten Scout durch zwei endlich mal erwärmende Schmeicheleien. 'Valvoline' scheint aus einer nächtlichen Studiosession zu stammen, nur wenig Aufwand, eher unfertig.
Dann rumpelt eine SHELLAC-Klampfe aufs Gehör. Albini lässt grüssen, um sich in einen eingezähmten Hintergrundblues zu verwandeln. Die Gitarre schmeichelt sich um der Sängerin Gebein wie eine Katze, die abwartend nach oben schielt. Dann aber wird sie mutig und nimmt das Heft in die Kralle. Schon packt Frau Niblett das freche Vieh am Kragen und drückt es zu Boden. Und langsam merkt die schwarze Katze, dass da nichts zu holen ist – denn Frauchen ist missmutig. Sie weiß selbst nicht, warum, und deshalb fräst sich das nachfolgend dreckige 'Handsome' im Halbtempo seinen Weg in die Platte. Frau Niblett hat gerade die Studio-Wände instrumental zerkratzt.
Dann hat sie wieder Bock auf Leute. Ungewöhnliche Idee, denn nun clappen eingeladene Kumpels in ihre hands und keiner wagt zu widersprechen. Auch wenn’s doof ist. Aber der Refrain ist so bestechend einfach, dass das auch egal ist. Come on Honeys ... Was mir ausnehmend gut gefällt und auffällt, dabei KIDNAPPED BY NEPTUNE einen gehörigen Psycho-Touch verleiht, ist das Schlagzeugspiel. Die Garagenzeit ist noch nicht so lange her. Wer nun aber die Entscheidung zu diesem ruppigen Gehaue gefällt hat - wer weiß das schon.
Scout Niblett, nehme ich an, zeichnet aber für alles hier gebotene Songwriting und -arrangement höchstselbst verantwortlich. War ja nicht anders zu erwarten. In 'Newberryport' verbergen sich übrigens deutlich gleich zwei Liedchen – die Dame versucht im jazzigen 'This City' Verwirrung zu stiften, da wird’s eine Hommage an all die unbequemen Ellenbögen, die TORI AMOS oder PJ HARVEY so zieren. Effektvoll wird geklimpert – wer’s mag.
Ab zurück in die Zeit, als die Kleine mit fünfzehn in der Fußgängerpassage gestanden und mit zerrissener Punker-Attitüde Lieder von NIRVANA auf der Klampfe nachgezischt hat: 'Wolfie'. Das ist wohl damals ihr zotteliger Hund gewesen, der auf die hingeworfenen Geldstücke aufgepasst hat. 'Drink To Me' wiederum ist so ein bedrohlich anwachsender und herumirrender Song, dass es einem eigentlich angst und bange werden müsste, warum eine so junge Künstlerin so verdammt negativ eingestellt zu sein scheint. Nein, negativ ist zu hart ... eher nachdenklich und unterschwellig immer angestrengt bis angepisst. Aus dem Off heraus klingt die Nummer 15, 'Where Are You?', dann diese abwechslungsreiche Platte aus. Nicht umsonst eine Frage, denke ich. Ein für mich völlig zutreffendes Fazit zu ziehen, fällt schwer, da beschränke ich mich auf drei Adjektive: melancholisch, cholerisch, irgendwie einsam.
Das Layout und auch schon der Titel weisen auf nächtliches Meer hin, wirft man dann noch einen Blick in das spartanisch gestaltete Innere, sieht man die Wuttante in der See verschwinden. Das brausende Wasser sieht kalt aus und schlägt über Scout Niblett zusammen, aber ob Neptun mit ihr dann seine Freude haben wird?
Anspieltipps: God To Me, Handsome, Hot To Death, Wolfie
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben