NIGHTWISH - Century Child
Mehr über Nightwish
- Genre:
- Gothic Metal
- Label:
- Drakkar
- Release:
- 24.06.2002
- Bless The Child
- End Of All Hope
- Dead To The World
- Ever Dream
- Slaying The Dreamer
- Forever Yours
- Ocean Soul
- Feel For You
- The Phantom Of The Opera
- Beauty Of The Beast
Wer dachte, NIGHTWISH könnten nach der Perfektion von „Wishmaster“ und der Nachfolge-EP „Over The Hills And Far Away“ kaum noch mit Überraschungen und Neuem aufwarten, der hat sich getäuscht; das aktuelle Album „Century Child“ belehrt uns eines Besseren.
Zu Zeiten, als NIGHTWISH bekannter wurden, standen sie mit ihrer Form der Musik allein auf weiter Flur, und noch heute gibt es kaum Vergleichbares. Allerdings stellen mich die Finnen durch ihre Weiterentwicklung bereits bei der Genre-Zuordnung vor das Dilemma, nicht konkret werden zu können. Sie vereinen inzwischen Elemente aus Gothic, Speed, Power und Progressive Metal harmonisch miteinander, hinzu kommen noch die orchestralen Arrangements und natürlich ihr Markenzeichen: Der vielschichtige Sopran-Gesang von Metal-Diva Tarja, die auf der Sibelius-Akademie klassisch geschult wurde und inzwischen auf einer deutschen Musikhochschule im Opernbereich eingeschrieben ist. Bei dieser Mischung dürfte für so ziemlich jeden etwas dabei sein, es sei denn, man kann sich mit weiblichem Hauptgesang im Metal gar nicht anfreunden. Und an allem wurde erneut gefeilt. So gibt es auf fünf der Tracks diesmal Unterstützung durch ein Orchester und der Chor, der im Hintergrund werkelt, ist nicht aus der Konserve, sondern echt. Tarja hat ihren Gesang einen Tick runtergeschraubt, was sich ja bereits seit „Wishmaster“ bemerkbar machte, und singt nun kraftvoller und auch für „Neueinsteiger“ zugänglicher. Dadurch fügt sich auch ein „altes neues“ Element besser ein: Es gibt wieder männlichen Gesang wie auf dem Debüt, diesmal vom neuen Bassisten Marco, der bereits ausgiebig Erfahrung mitbringt, da er in seinen vorherigen Bands als Leadsänger agierte. Er schraubte auch an dem zehnminütigen Opus „Beauty Of The Beast“ mit, das den Abschluss dieses erstklassigen Albums bildet. Der gesamte Sound ist noch kraftvoller, rockiger und geht stärker in den Bereich des Heavy / Power Metal als zuvor, was besonders in den Songs „Dead To The World“ und „Feel For You“ deutlich zutage tritt, was nicht zuletzt am Vokalisten liegen dürfte. Und „Slaying The Dreamer“ dürfte die bisher härtesten Passagen beinhalten, die NIGHTWISH bzw. Mastermind Tuomas jemals hervorbrachten.
Aber los geht dieses Meisterwerk bei „Bless The Child“ mit schillernden Chören, orchestralen Passagen und dem seit „Wishmaster“ nur noch göttlichen Drumming. Dann entlädt sich eine inzwischen unverwechselbare NIGHTWISH-Hymne, die alle klanglichen Register zieht und mit der traumhaften Melodie des Refraingesanges eines der besonderen Markenzeichen dieser Combo offenbart. Als wären die sechs genussvollen Minuten des Openers nicht genug, schließt sich nahtlos „End Of All Hope“ wie ein zweiter Teil des vorigen Songs an und hängt noch einmal vier Minuten an diesen Teil des Albums dran – Und diese vier Minuten sind eines der absoluten Highlights von „Century Child“; wem es hier nicht in den Fingern juckt, die Anlage bis zum Kotzen aufzureißen und wild moschend durch den Saal zu toben, sollte in den Vorruhestand gehen. Diese Hammerhymne ist ein absoluter Brecher mit einem vielstimmigen Mitgrölchorus sondergleichen und kann es locker mit „Wanderlust“ aufnehmen. Allein für diese Nummer liebe ich dieses Album.
Dann kommt das bereits erwähnte „Dead To The World“, wo Marco seine Gesangskünste beisteuern kann und gemeinsam mit Tarja ein Fest für Metaller abhält, das in Teilen auch auf die AVANTASIA gepasst hätte, auch wenn die Anteile an Drum-Gewitter und Keyboardgefrickel typisch Marke NIGHTWISH bleiben.
„Ever Dream“ schlägt wieder bereits erforschte Pfade melodiöser Halbballaden ein, wie sie nur diese Band zaubern kann; solide Kost mit einer durch Keyboards getragenen kämpferischen Hymnenpassage, die mir irgendwo her bekannt vorkommt, und einem grandiosen Finale.
Mit „Slaying The Dreamer“ kommt, wie bereits angekündigt, das absolute Brett des Albums mit fettem Riffing und Trommelstakkatopassagen, die es in sich haben und von Fans der Band sicherlich ein mehrfaches Anhören erfordern werden; ein kleiner Kulturschock. Marco ist hier im letzten Teil eine echte Bereicherung und bringt diesen Song erst richtig nach vorn. NIGHTWISH erfolgreich auf neuen Wegen.
Erst „Forever Yours“ bringt die obligatorische Ballade ins Spiel, und die ist wie immer zum Schwelgen und Träumen. Einfach wunderschön, wie man es erwartet und genau das richtige Spielfeld für Tarjas Stimme. Eine ganz besondere Nuance fügt das Flöten-Gastspiel hinzu und natürlich die Tatsache, dass das Orchester hier stärker zur Geltung kommt. Nach meiner Sicht leider zu kurz geraten das Ganze, aber ein sehr schöner Übergang zu „Ocean Soul“, das von Männerchor und dezenter Instrumentierung eingeleitet wird und sich dann zu einer griffigen Halbballade entwickelt, die mit einem Ohrwurmrefrain aufwarten kann.
Für die Powermetaller gibt’s dann von „Feel For You“ was auf die Ohren, wo Rhythmusfraktion und der Gesang von Marco dominieren, während Tarja den langsameren Strophenteil übernimmt. Gemeinsam kommen sie auch bei der Coverversion von „Phantom Of The Opera“ zum Zuge, wo die Engelsstimme von Tarja und der kratzbürstige, hier noch knurrendere Gesang von Marco einen sehr interessanten Kontrast präsentieren. Irgendwie hatte ich bei Tuomas’ Vorliebe für Keyboardgefrickel ohnehin darauf gewartet, dass endlich mal ein Versuch dieser Art kommt, damit er sich mit Orgeleien so richtig austoben kann. Natürlich gibt es schon Dutzende Coverversuche dieses Songs, aber zu NIGHTWISH passt er einfach perfekt und ich würde das Experiment als gelungen betrachten, wenngleich das Album stärkere Stücke vorzuzeigen hat.
Aber das war ohnehin nur das Vorspiel zum Finale Grande: „Beauty Of The Beast“ beschließt das Album. Ein komplex arrangiertes, nicht leicht zugängliches Epos in verschiedenen Tempobereichen, das bei jedem Durchhören neue Feinheiten entfaltet.
Hier liegt ein mehr als würdiger, inspirierter und beeindruckender Nachfolger für den Erfolg von „Wishmaster“ und „Over The Hills And Far Away“ vor – und ein Album, das übrigens in Finnland innerhalb von zwei Stunden Goldstatus erlangte und inzwischen natürlich Platin abgestaubt hat.
Anspieltipps: „Bless The Child“ + „End Of All Hope“; “Ocean Soul”
- Redakteur:
- Andreas Jur