NORMA JEAN - Deathrattle Sing For Me
Mehr über Norma Jean
- Genre:
- Post Hardcore / Mathcore
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Solid State Records
- Release:
- 12.08.2022
- 1994
- Call For The Blood
- Spearmint Revolt
- Memorial Hoard
- Aria Obscura
- Any%
- Parallella
- W W A V V E
- A Killing Word
- Penny Margs
- el-roi
- Sleep Explosion
- Heartache
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Ich habe wochenlang gebraucht, um mir von NORMA JEANs neuestem Streich überhaupt ein klares Bild zu machen. Die Meister des gepflegten Post-Hardcore- und Mathcore-Chaos zelebrieren auf "Deathrattle Sing For Me" höchst souverän und mit einer rotzigen Unbekümmertheit den scheinbar willkürlichen Wechsel aus nachvollziehbaren, griffigen Riffs und Rhythmen und einem geradezu kakophonen Durcheinander von schrägen Klängen und atmosphärischen Soundeffekten. Beinahe eine komplette Stunde lang wirbeln sie die Hörerschaft von einer Überraschung zur nächsten, verstören, reißen mit, pausieren, setzen zur nächsten Attacke an... Von einem Hörvergnügen zu sprechen wäre wohl irreführend, und dennoch macht die Auseinandersetzung mit den Szeneveteranen mächtig Laune.
Der Band muss indes niemand etwas vormachen; in ihrem Bereich gehört sie zu den absoluten Vorreitern und hörbaren Vorbildern von so unterschiedlichen Underground-Acts wie FALL CITY FALL, THE ADVENT OF A MIRACLE oder THE PRESTIGE. Entsprechend mutet man uns nicht nur ein völlig zerfasertes, noisiges Intro-Gemetzel namens '1994' zu, sondern mit 'Call For The Blood' im Anschluss einen nicht minder verstörenden Klotz, dessen Elektro-Effekte und wenig eingängige Gesangslinien die Daumenschrauben eher noch stärker anziehen. Zugleich sucht die Intensität, die NORMA JEAN schon zu Beginn aufbaut, genreübergreifend ihresgleichen. Und, ja, an dritter Stelle wird man mit 'Spearmint Revolt' doch noch mit dem Bedürfnis nach einem nachvollziehbaren Song-Erlebnis abgeholt: sensationell das Zusammenspiel aus Cory Putmans Shouts und den brutalen, DEFTONESesken Riffs, Gänsehaut beim unvermittelt besinnlichen Interlude, unwiderstehliches Zucken der Nackenmuskulatur beim Mosh-Ende; befremdlich nur die völlig überzerrten Schlusssekunden. 'Memorial Hord' im Anschluss beginnt sphärisch-entrückt und bleibt auch nach dem Einsatz von Shouts und verzerrten Gitarren dem entrückten DEFTONES-Universum verhaftet. Richtig cool im Anschluss das treibende 'Aria Obscura', das durchaus noch Verwandtschaft zur christlichen Nu-Metal-Szene und deren Ur-Vertretern wie P.O.D. aufweist.
Im Prinzip geht es nun mehr oder weniger im Wechsel zwischen atmosphärischen Zwischenstücken und abwechslungsreichen Post-Hardcore-Krachern wie 'W W A V V E' oder 'A Killing Word' weiter, wobei auch nachdenkliche Stücke ihren Platz auf der Platte haben, wie beispielsweise 'Penny Margs' oder 'Heartache'. Was sich zunächst nach ziemlich perfekter Ausgewogenheit anhört, besteht allerdings auch aus ziemlich viel Leerlauf. Dafür sind weniger die Interludes verantwortlich als die Neigung der Band, vielen ihrer Songs unnötig lange, mehr oder weniger leere Ausklingphasen zu verpassen. Unter künstlerischen Aspekten mag dies nachvollziehbar sein, diese Vorgehensweise verlängert nur ungünstigerweise die Wartezeit auf das nächste packende Stück unnötig.
"Deathrattle Sing For Me" ist an Qualität einerseits kaum zu toppen, werden hier doch gepflegtes Chaos, Dissonanz und effektive Brachialität auf höchstem Niveau und unbeschreiblich intensiv zelebriert. Andererseits erfordert die Auseinandersetzung mit dem Album sehr viel Zeit und Geduld; die Entschlüsselung und damit musikalische Aha-Erlebnisse lassen lange auf sich warten. Wer also Hörvergnügen auch als Arbeit versteht, wer vertrackten Post-Hardcore liebt, wem die DEFTONES zu soft geworden sind und wer Lynn Straits Rotzigkeit seit seinem Ableben vermisst, könnte mit NORMA JEANs neuesten Streich viele Glücksmomente erleben.
Anspieltipps: Spearmint Revolt, Aria Obscura, A Killing Word
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Timon Krause