OPETH - The Last Will And Testament
Auch im Soundcheck: Soundcheck 11/24
Mehr über Opeth
- Genre:
- Progressive Death Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Moderbolaget / Reigning Phoenix
- Release:
- 22.11.2024
- §1
- §2
- §3
- §4
- $5
- §6
- §7
- A Story Never Told
Musikalische Perfektion ohne Sterilität.
In Sachen Erwartungshaltung gibt es im gesamten Metal-Zirkus wohl wenige Bands, die den Status von OPETH innehaben. Auch die Tatsache, dass wir mit "The Last Will And Testament" bereits das vierzehnte Album serviert bekommen, macht es für die meisten Fans nicht weniger spannend. Bis zuletzt heizte auch die Frage, wann es denn endlich wieder Growls auf einem OPETH-Album geben würde, die Diskussionen vor Veröffentlichung an. Diese Frage ist seit der Auskopplung von '§1' beantwortet, sodass der beschworene Weg zurück zu den Wurzeln vermeintlich begonnen hat. Doch ganz so einfach ist es nicht. "The Last Will And Testament" sucht nicht die Nähe von Band-Klassikern wie "Blackwater Park" oder gar dem famosen 1990er Frühwerk. So abschweifend wie "Heritage" oder "Sorceress" ist es aber auch nicht geworden. Wir müssen uns mit den Details beschäftigen, die dieses Album souverän über den Grat zwischen Selbstreferenz und Weiterentwicklung lotsen.
Wie passend der erste Song eines Albums als Gratmesser fungieren kann, hören wir in diesem Sechsminüter. OPETHs flirrende, sich in endlose Spiralen weiterdrehende Gitarren werden vom berühmten OPETH-Paraddidle-Schlagzeug getrieben, welches Neuzugang Waltteri Värynen so souverän spielt, als wäre er schon seit einem Jahrzehnt in der Band. Synkopische Rhythmusverschiebungen, Mikaels wechselnde Gesangstimme und atmosphärische Keyboards: Das ist Signature-Sound allererster Güte. Gleichzeitig intensiv, packend und energetisch, andererseits fühlt es sich an wie ein Nachhausekommen. Innerhalb dieser Aneinanderreihung von Qualitätsmaßstäben, welche die Schweden hier setzen, lohnt sich auch der Fokus auf unscheinbare Details. Die das Stück galant einhüllenden Streicher am Ende des Songs sorgen für einen harmonischen Übergang, sind aber auch wegen ihrer Natürlichkeit (das sanfte Vibrato!) nicht mit Streichern vom Band zu vergleichen.
Mich beeindruckt auf "The Last Will And Testament" wie bei OPETH schon lange nicht mehr die Tatsache, dass sämtliche Musik aus der Feder von Mikael Åkerfeldt stammt, die anderen Bandmitglieder aber wie treffsichere Bogenschützen ihr jeweils einzigartiges Spiel inmitten des Bulls Eye platzieren. Wie viel Arbeit im Studio noch in die Songs investiert wurde? Die anspruchsvollen Arrangements von '§3' oder '§5' lassen tief blicken. Wer bei "sinfonischen" Elementen und Orchester-Arrangements an oberflächlichen Pomp denkt, wird hier eines Besseren belehrt. Alleine für die ineinander verworrenen Elemente in '§3' (bei dieser Heaviness!) braucht man einige Durchläufe, um der Musik die gebotene Anerkennung zollen zu können. Das Wunderbare an OPETH ist in dieser Hinsicht, dass die Musik stets auf verschiedensten Ebenen funktioniert. Während ich in den ersten ein, zwei oder drei Durchläufen damit beschäftigt bin, das Album als Ganzes zu genießen und die dichte Atmosphäre einfach auf mich wirken zu lassen, wende ich mich anschließend immer anderen Details zu. Seien es die "Watershed"-artigen Keyboards von '§2' aus der Feder von Joakim Svalberg, Ian Andersons Querflötenspiel im proggig-elegischen '§4' (das einige beinahe Jazz-artige Momente im Sinne von "Trading Fours" enthält) oder die sich überschlagende Dramaturgie in eben jenem Song. Alle Aspekte hier zu sezieren, würde hier zu weit führen. Ich sage nur: Wer Prog will, bekommt Prog!
Neben den bereits erwähnten Musikern möchte ich natürlich auch Gitarrist Frederik Åkesson und Bassist Martín Méndez nicht unerwähnt lassen. Vor allem die groovige, zurückhaltende und warme Art des Bass-Spiels in kongenialer Ergänzung zum oben genannten Drumming bekommt auf diesem Album viel Raum, in dem sich dann auch die Gitarren-Leads und -Soli frei wie eh und je bewegen dürfen. '§5' ist vielleicht das beste Beispiel hierfür. Fans früherer Alben werden sich an 'The Grand Conjuration' erinnert fühlen, dem diese Nummer in keiner Weise nachsteht. Ich kann es kaum erwarten, dieses Songmonster live zu hören! Dieser Satz gilt aber für alle Tracks des neuen OPETH-Albums, denn auch das folgende '§6' bietet so viele Widerhaken, Details und hervorstechende Elemente (das Italo-Western-artige Orchester-Arrangement mit bratenden Gitarren und dem immer pulsierenden Schlagzeugspiel ist Weltklasse!), dass es beinahe ungerecht erscheint, irgendeinen Song der Scheibe über einen anderen zu stellen. Auch mit '§7' und dem balladesken Schlusspunkt 'A Story Never Told' muss man sich in aller Ruhe beschäftigen, um das sich entfaltende Potenzial auch wertzuschätzen.
"The Last Will And Testament" bietet sieben herausragende Songs, die durch das inhaltliche Band sogar mehr sind als nur die Summe ihrer Teile. Sobald das Album hier auch in physischer Präsenz vorhanden ist, werde ich mich dem Artwork und den Texten des Konzeptes widmen. Die von der Fernsehserie "Succession" inspirierte Geschichte und das tolle Artwork (wieder einmal von Travis Smith) sind weitere Ebenen eines Meisterwerks, das meine Jahres-Bestenliste noch einmal ordentlich aufrüttelt und mich doch daran zweifeln lässt, ob ich hier nicht einen halben Punkt zu wenig im Soundcheck gegeben habe. Mein liebstes OPETH-Album seit "Watershed"!
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Nils Macher