PAATOS - Kallocain
Mehr über Paatos
- Genre:
- Melancholic Post Rock
- Label:
- Inside Out
- Release:
- 07.06.2004
- Gasoline
- Holding On
- Happiness
- Absinth Minded
- Look At Us
- Reality
- Stream
- Won´t Be Coming Back
- In Time
Du gehst in der spätwinterlichen Dämmerung durch Stockholm, der Himmel ist grau und verhangen, es nieselt leise und stetig, deine Schuhe versinken im Schneematch – es ist jene Stimmung, die du aus den Krimis der schwedischen Autoren Maj Sjöwall und Per Wählöö kennst. Um die Ecke befindet sich eine Kellerbar - Du tritts ein und da ist diese wunderschöne traurige Sängerin auf der schmalen verrauchten Bühne, die dir ganz langsam alle Bedrückung, die das Wetter draußen bietet, in die Seele singt, aber auch ein wenig Wärme mit ihrer erotischen Stimme spendet... So klingt die Musik der schwedischen Gruppe PAATOS: Emotionen pur... ein wenig wie PORTISHEAD auf dem Prog-Trip, aber noch ein bisschen näher am Herdfeuer der Seele.
Kommt diese großartige Musik einfach aus dem Nichts? Wer verbirgt sich hinter dem Namen PAATOS, der vom griechischen Äquivalent zu Pathos abgeleitet wurde? Sängerin Petronella Nettermalm gehört ganz jungfräulich zur Band, ihr Ehemann Ricard Huxflux Nettermalm (Drums) allerdings betätigte sich vorher als Sessionmusiker bei so unterschiedlichen Bands wie den Gothic-Future-Poppern COVENANT, den Drum’n’Bass-Acts BAXTER und YOGA sowie den Berühmtheiten RAMMSTEIN und CLAWFINGER. Bassist Stefan Dimle betreibt ansonsten einen Plattenladen (wo sonst als in Stockholm...). Gitarrist Peter Nylander ist eine Größe in der schwedischen Jazz-Szene und John Wallèn spielte vorher bei der Dubformation PRO-SEED. John Wallèn trägt mit seinen Klavierharmonien, Keyboards, Hammond- und Mellotronsounds eine ganze Menge dazu bei, die Musik von PAATOS in den Siebzigern zu verwurzeln.
Überhaupt die Siebziger – was wären so viele Bands ohne die kreative Aneignung der bombastisch-symphonischen Werke jener Zeit des Spät-Hippi-Rockertums?! Auch PAATOS haben CAN, RENAISSANCE, LED ZEPPELIN und die alten Jazzrockimprovisationen gehört, verinnerlicht und ihre eigenen Lehren daraus gezogen. Nach dem guten Debüt "Timeloss" konnten sie ihre Fähigkeiten verfeinern und Steve Wilson von PORCUPINE TREE für den Endmix gewinnen, der seinen Job in perfekter Reinheit erledigte. Der Genuss wird selten durch einen schrägen Ton gestört. Die Musik fließt wie ein langer ruhiger Fluss zur Quelle des Klangs zurück.
Petronella Nettermalm kann nicht nur singen, sondern auch die Streichertöne eines Cellos in den Äther senden. Mit einer lodernden feurigen Streichermelodie, die die Leidenschaft der Zigeuner imitiert, beginnt das Album "Kallocain", welches nach dem gleichlautenden dystopischen SF-Roman von Karin Boye benannt ist. Ganz langsam, völlig entrückt erklingen die trippigen Takte der Musik – 'Gasoline' brennt nur, wenn die Gitarre im Refrainpart die Ruhe durchsägt, um dann wieder in Stille zurückzusinken. Soviel Rock erlauben sich PAATOS gerade noch. In den nachfolgenden Stücken wird es aber eher sanfter werden.
'Holding On' leiten glockenartige Synthitöne ein, bevor wieder der ruhige trippige Rhythmus einsetzt, der in den verschiedensten Varianten in allen Stücken zu finden ist. Piano und Cello untermalen die schmerzvoll-sanfte Stimme: "I am broken inside", komplettiert durch psychedelische Gitarrenparts. Das folgende 'Happiness' stellt tatsächlich das fröhlichste Stück der CD dar – die nachwievor psychedelischen Gitarren klingen freundlicher und sonniger. Der im Vergleich fast schon euphorische Refrain bringt das Stück in die Nähe poppiger Musik à la BJÖRK. Doch im nächsten Stück singt Petronella Nettermalm: "My happiness is depending on you" – und da wir ja alle wissen, dass man auf dieser Welt nichts zu sehr lieben darf, endet das in der Betäubung durch hochprozentigen Absinth – 'Absinth Minded' verbreitet also wieder eine traurige Stimmung.
Beonders gut sind die mitschwingenden Mellotronklänge in 'Reality' zu hören, das durch eine wunderschöne Refrainmelodie besticht. Doch PAATOS können das alles noch langsamer, wollen sich noch tiefer ins Herz bohren, wie die letzten drei Tracks beweisen. 'Stream' stellt das Klavier in den Vordergrund, um zusammen mit Streicher und Gitarre nun schon schmerzhaft sehnsuchtsvoll die Nerven zu kitzeln. Eine coole jazzrockige Bewegtheit gliedert sich bei 'Won´t Be Coming Back' perfekt ein in die Melancholie des Gesangs und der Gitarrenmelodie. Wie von ferne klingt der Gesang in dem Track 'In Time'. Alles erstarrt fast in annähernder Bewegungslosigkeit. Diese Musik ist wie schweres Wasser – wie das Atmen im strömenden Regen. Die Töne schwingen vor und zurück, während Bewegung hier nur ein Sonderfall von Ruhe ist.
PAATOS bezeichnen ihre Musik als "Melancholic Post Rock", was die Atmosphäre ihrer Musik sehr gut wiedergibt. Sie verarbeiten Einflüsse aus dem Trip Hop, Prog Rock, Pop und Jazzrock zu einem völlig homogenen Klangbild, einem eigenen typischen Sound, der Besinnlichkeit oder Trauer den meisten Platz einräumt und damit der vielbeschworenen skandinavischen Schwermut eine weitere Facette hinzufügt. Wer wie ich einfach sehr viel Sinn für diese Art von Stimmung hat, sollte hier unbedingt zugreifen. PAATOS verkörpern eine Großstadtmelancholie, wie sie im Buche steht. "Kallocain" erscheint auch als Special Edition mit einer DVD, die vier Livestücke von ihrem Auftritt im WDR-Rockpalast enthält. Im Herbst dieses Jahres werden sie mit PORCUPINE TREE auf Tour sein.
Anspieltipps: Gasoline, Absinth Minded, Stream, Won´t Be Coming Back, In Time
- Redakteur:
- Jörg Scholz