PAIN OF SALVATION - Entropia
Mehr über Pain Of Salvation
- Genre:
- Progressive Metal
- Label:
- Inside Out
- ! (Foreword)
- Welcome To Entropia
- Winning A War
- People Passing By
- Oblivion Ocean
- Stress
- Revival
- Void Of Her
- To The End
- Circles
- Nightmist
- Plains Of Dawn
- Leaving Entropia (Epilogue)
"Walk with me! There are worlds to see." Recht hat der Herr Gildenlöw mit seinen ersten Worten, welche den Erstling dieser Ausnahmeband einläuten. "Entropia", das bedeutet soviel wie das Maß der Ungewissheit des Ausgangs eines Versuches. Wer diesen Satz bei vollem Bewusstsein überlebt und ihn auch verstanden hat, kann sich nun denken, wohin einen die Mannen von PAIN OF SALVATION tragen. Es ist zwar ein leidiges Thema und viele Leute werden fragen: "Wie? Muss das denn jetzt sein? Meine Lieblingsband hat das doch auch nicht!". Aber durch eines besticht dieses Album vor allem: Abwechslungsreichtum.
Natürlich ist es ziemlich gewagt, ein solch komplexes, wie technisch eindrucksvolles Werk nur mit einem Begriff zu bezeichnen. Zu wertvoll sind alle einzelnen Teile und ergeben hierdurch ein wahrhaft gravitätisches Zusammenspiel, frei nach dem Motto: "Das Ergebnis ist mehr als die Summe seiner Teile (wenn das Ergebnis sehr groß und die Teile sehr klein sind)". Allem voran lässt sich die glasklare Produktion setzen. Druckvoll wurden die Bollerpassagen in Szene gesetzt und fast erhaben klingt es, sobald es etwas gemächlicher zugeht. Wenn sich dazu noch wahre Kleinode der Poesie und grandiose Kompositionen gesellen, braucht's keinen "Nuklearphysiker" um zu wissen, dass man eines der besten Erstwerke, welche in den letzten Jahren auf den Markt schipperten, in der Hand hält.
"Entropia", das sind außergewöhnliche 65 Minuten unter der Fuchtel von Daniel Gildenlöw, seines Zeichens Gitarrist und Sänger der Schmerzbarden. Sowohl größtenteils die musikalische Grundlage als auch die Lyrics stammen aus der hyperaktiven Feder des charismatischen Schweden. Aber halt ... ich weiß, was du Leser da draußen jetzt denkst ... "Wieder so eine Ein-Mann-Band mit Bühnenstatisten"... Neenee, so ist das nämlich nicht. Nur einen der vier noch Ungenannten hervorzuheben käme eigentlich Blasphemie gleich. Da aber nun einmal Sprache nicht auf einem Haufen, sondern in einer ordentlichen Reihe daherkommt, muss ich ja mit irgendwem anfangen. Wer den mitreißenden Anfang von 'People Passing By' vernimmt, dem wird sich als erstes (naja, vielleicht doch eher nach der Frage, wie der gute Bassist das da anstellt) der Name Kristoffer Gildenlöw in's Gehirn fräsen. Was die drollige Langmähne da auf seinem Tieftonstäbchen anstellt, ist wahrlich Weltklasse. Vom Slappen und Poppen bis zum Doublestopping ist alles dabei und sicher noch viel mehr, wovon man als Gitarrist sowieso keine Ahnung hat. Weiter im Booklet: An den Kochtöpfen sitzt Johan Langell und sorgt mit seinem intensiv-songdienlichen Drumming für ordentliches Timing, weiß aber auch den geneigten Hörer mit pfundschweren Kanonaden zuzuknattern ('Stress', `To The End`). Fredrik Hermansson schaut zwar im Beilegheftchen ein wenig drein, als stecke er gerade in irgenwelchen Kalamitäten, aber wenn diese ihn zu seinem virtuosen Keyboardspiel animieren, dann gerne doch. Verstecken braucht er sich nach der Leistung auf dem Album sowieso vor so ziemlich keinem. Nun bleibt noch einer übrig und das wäre Daniel Magdic an der zweiten Gitarre, welcher auch zum Songwriting beigetragen hat.
Wer jetzt nach diesen Superlativen noch glaubt, dass diese Rezension ein Verriss wird, der sollte in seinem Oberstübchen erst einmal die Logikfädchen zusammenkramen und verknoten, denn ihr werdet sie bei diesem Album sicher noch brauchen. Wie bereits schon angesprochen sind die dreizehn Titel von "Entropia" echte Schätze an Kreativität und Ideenreichtum. Dies gilt im Musikalischen als auch von der textlichen Seite her gesehen. Keine Zeile wirkt aufgesetzt und kein Arrangement hinzuergänzt, alles bildet eine Einheit. Was jedoch bis vor Kurzem eher die Domäne sanft rockender Gruppen wie SPOCK'S BEARD, der Allstar-Band TRANSATLANTIC (Gott habe den lieben Neal selig) oder den Instrumental-Göttern von DREAM THEATER war, wird hier auf neuen Säulen postiert, wobei es auch mal recht verzerrt zugehen kann. Hinzu stößt die unwahrscheinliche Flexibilität Daniel Gildenlöws, was den Gebrauch seiner Stimmbänder angeht. Beim Singen, Kreischen, Wimmern, Sprechen legt er eine Intensität an den Tag, die einem die Nackenhaare sträuben lässt ('People Passing By', 'Oblivion Ocean'). Mit 'Stress' und 'To The End' sind auch zwei Kompositionen vorhanden, welche ordentlich zu poltern wissen. Als wären die bisherigen Stücke noch nicht genug, um den Anspruch der Progressivität zu untermauern, findet man in 'Void Of Her' das traurig-schöne Gitarren-/Gesangsthema aus 'People Passing By' als "Überleitung" zwischen zwei Titeln wieder. Selbstzitate und variiert auftretende Textphrasen in unterschiedlichen Songs sind an der Tagesordnung. Hallo, Leute, das ist euer Erstlingswerk, sowas Feines ist erst frühestens ab der dritten Scheibe erlaubt!
Inhaltlich zeigt sich das Album sehr interpretationsfreudig. "Entropia", das ist nicht nur der Titel, sondern auch eine fehlgeschlagene Welt, welche durch ihre Irrungen und nicht durch Menschlichkeit fortbesteht. Geschildert werden Ereignisse von Menschen, die das außer Kontrolle geratene Spiel um Macht und Profit verloren haben, physisch wie psychisch. Es geht um Verlust, Einsamkeit und andere Dinge, allgemeinhin ungern diskutiert und an die Öffentlichkeit gebracht. PAIN OF SALVATION liefern Denkanstöße zu Themen, welche eigentlich jeden bewegen sollten, jedoch allzu häufig in gleichgültigem Eigennutz erstickt werden. Das Album gipfelt in einem bedächtig zurückschauenden Ende. Ein jeder ist Teil der entropianischen Negativutopie, welche wir in diplomatischen Momenten Gesellschaft nennen. Die Zukunft ist noch unbestimmt, unbeeinflusst der inhumanen Gegenwart. Wer die Gelegenheiten erkennt und sich seine eigene Treue zu bewahren vermag, derjenige ist auch imstande, die Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen. Es mag kein Weltfriede sein, aber der innere ist schon ein erster Schritt dahin. "Walk with me and change the world we see...". Danke, Herr Gildenlöw.
Fazit: PAIN OF SALVATION haben hier ein grandioses Erstlingswerk abgeliefert, welches einigen seit Jahren oder Jahrzehnten bestehenden Gruppen einfach mal so eben das Existenzrecht entzieht. Musikinteressierten, denen DREAM THEATER zu technisch-kühl, Prog-Rock der Marke PROCOL HARUM oder der frühen KING CRIMSON zu psychedelisch und das Popgedudel auf MTVIVA sowieso zu gehirnzellentötend erscheint, können bedenkenlos zugreifen. Allen anderen ist diese Platte ebenfalls wärmstens an's Herz gelegt, stellt sie doch in einer weitgehendst sinnfreien Musikbranche ein kleines Fünkchen Hoffnung in Zeiten der Dunkelheit dar. Und um vielleicht noch den Dreh aus diesem theatralischen Ende zu schaffen: Nehmt euch Zeit, kauft euch gute Kopfhörer und LEST DAS BOOKLET, verdammte Kacke!
Anspieltipp: Die "Play"-Taste an einem Musikabspielgerät eurer Wahl
- Redakteur:
- Lasse Rosenberger