PARADISE LOST - At The Mill
Mehr über Paradise Lost
- Genre:
- Gothic Metal
- Label:
- Nuclear Blast Records
- Release:
- 16.07.2021
- Widow
- Fall From Grace
- Blood And Chaos
- Faith Divides Us - Death Unites Us
- Gothic
- Shadowkings
- One Second
- Ghosts
- The Enemy
- As I Die
- Requiem
- No Hope In Sight
- Embers Fire
- Beneath Broken Earth
- So Much Is Lost
- Darker Thoughts
Die Gothic-Metal–Institution meldet sich mit einer etwas anderen Live-Scheibe zurück.
Wie zu vielen anderen Durchstartern der Neunziger habe ich als damaliger, regelmäßiger "Rock Im Park"-Besucher einige großartige Live-Erinnerungen an die Mannen um Gregor Mackintosh und Nick Holmes. So denke ich gerne an die sehr unterschiedlichen Auftritte 1994 in München Riem, aber auch 1996 im Münchener Olympiastadion zurück. Der erste zeigte die Band dank des Albums "Icon" während des kommerziellen Durchbruchs in der metallischen Musiklandschaft: Roh, schweißtreibend, Metal durch und durch und "Das Ding der Stunde"! Zwei Jahre später sah ich dann eine professionell aufspielende Band mit einem erneut großartigen Album namens "Draconian Times" in der Hinterhand, die in den frühen Nachmittagsstunden Hit auf Hit ins Stadion ballerte, aber leider für meine Begriffe viel zu wenig Resonanz vom damals schon verwöhnten "Park"-Publikum erhielt. Ebenso beeindruckend, wenn auch mittlerweile eine etwas andere Stimmung von der Bühne aus vermittelnd, erlebte ich PARADISE LOST 1999 im damaligen "Alternatent" bei "Rock Am Ring". Ich erinnere mich nur zu gut, wie genervt viele Besucher im Laufe des Wochenendes von den ständigen Wiederholungen der Werbeclips für das damals nach dem Festival erscheinende Album "Host" waren, die auf den Videowänden neben allen Bühnen zwischen den Auftritten ständig zu sehen waren.
"Host" wurde dann schließlich trotz (oder wegen?) des immensen Werbeaufwands ein kommerziell so gerade noch erfolgreiches Produkt von PARADISE LOST, und über alles andere diese Album Betreffende kann man sich aufgrund des Stilwechsels in sehr poppige Gefilde tage- und wochenlang vortrefflich bis aufs Blut streiten.
Viele Jahre und viele teils fast bedenklich unterschiedliche Alben später sind die tapferen Engländer mit nur einem oder zwei Besetzungswechseln am Schlagzeug immer noch im Geschäft und gehören zu den fleißigsten Bands ihrer Größenordnung überhaupt: 16 Studioalben in 30 Jahren sind schon eine sportliche Angelegenheit, zumal die Angelsachsen auch live-technisch gesehen wirklich immer und überall gerne ihre Gitarren einstöpselten und versuchten, neue Publikumsschichten für sich zu gewinnen. Sei es als Hauptact auf Album-Promotion-Tour, als Support-Act, oder auf Festivals, je nach Größenordnung auf unterschiedlichen Positionen: PARADISE LOST ist eine fesselnde Liveband, die an guten Abenden mit ihrem unerschöpflichen Arsenal an Hits und guten Songs auch ein steiferes Publikum aus der Reserve zu locken vermag.
Und genau an dieser Stelle meines Textinhalts kommt die Corona-Misere ins Spiel, die einer ganzen Branche und nicht zuletzt unseren Mannen von der seltsamen Insel ganz heftig im übertragenen Sinne ins imaginäre Gemächt trat. Das neue Studioalbum „Obsidian“ stand im Mai 2020 auf der Startrampe und sollte ausgiebig betourt werden. Daher war das Ausfallen jeglicher Live-Aktivitäten für Band und Fans somit besonders ärgerlich, wissen wir doch inzwischen, dass es sich um das stärkste Album seit Jahren, wenn nicht gar seit Jahrzehnten handelt und im Zusammenhang mit Auftritten ein endgültiger zweiter Frühling von PARADISE LOST in unmittelbarer Reichweite gewesen wäre.
Und so entschlossen sich Greg, Nick & Co irgendwann im Laufe des frustrierenden ersten Corona-Jahres nicht mehr ewig Trübsal zu blasen, sondern aus der Not eine Tugend zu machen und am 5. November 2020 ein Konzert zu streamen und damit zudem wiederverwertbares Live-Material zu erschaffen! Als Location suchte man sich heimatnah den "The Mill" Nightclub in Bradford, Yorkshire aus und entschied sich, keinerlei Publikum im Club zuzulassen, um eine ganz besondere, intime Atmosphäre zu schaffen, die im Stream erlebbar werden sollte. Ich hatte mir letzten Herbst vorgenommen den Gig online wahrzunehmen, es damals blöderweise aber leider nicht geschafft.
Soweit ich in den bereits veröffentlichen Videos zu "Darker Thoughts" und "One Second" jedoch sehen konnte, ist diese Umsetzung der Intimität eines kleinen Gigs beindruckend gut gelungen. Die Kameraeinstellungen sind sehr nahe an den Musikern und die schmerzhafte, aber dennoch feierliche Atmosphäre eines Gigs ohne Publikum wird alleine durch das ein wenig ausgemergelte, nachdenkliche Gesicht von Nick Holmes gut widergegeben. Musikalisch betrachtet spielt die Band, wie nicht anders zu erwarten war, gut geprobt und motiviert auf. Dabei präsentiert sie ein sehr schön ausbalanciertes, aus sechzehn Liedern bestehendes Set, dessen Mini-Schwerpunkt mit drei Songs auf "Obsidian" liegt. Ansonsten werden insgesamt immerhin 11 Alben mit jeweils ein oder zwei Liedern gestreift. Daher wage ich auch ohne mir vorliegende vollständige Blu-ray-Veröffentlichung die Einschätzung, dass es sich um eine feine Konzertfilm-Produktion handelt, die man sich ins Regal stellen könnte.
Was die Tonträgervariante angeht, spreche ich für Fans gerne eine unbedingte Kaufempfehlung aus und für Neugierige die sich einmal mit PARADISE LOST befassen möchten ebenfalls! Höhepunkte hervorzuheben fällt mir schwer, da ich finde, dass der Band ein in sich schlüssiger Auftritt gelungen ist, der aufgrund der wirklich ansprechenden, weitestgehend die von der Band einst selbst entwickelte Gothic-Metal-Stilistik auf den Punkt bringenden Atmosphäre wenn möglich im Ganzen genossen werden sollte.
Mit anderen Worten: PARADISE LOST zeigt sich und das Gesamtwerk in toller Form und hat somit ein durchaus repräsentatives, live eingespieltes Best-Of-Album zustande gebracht, wenn auch Nick Holmes mit seiner etwas in die Jahre gekommenen Stimme nicht mehr ganz so kräftig growlen kann wie noch in den Neunzigern. Dieser Umstand ist den Fans der Band jedoch schon seit einiger Zeit bekannt und dürfte mittlerweile weitgehend akzeptiert worden sein.
Nun bedanke ich mich fürs Lesen und wünsche euch viel Spaß mit "At The Mill", falls ihr euch das Album oder die Blu-ray anschaffen solltet.
- Redakteur:
- Timo Reiser