PHILM - Harmonic
Mehr über Philm
- Genre:
- Avantgarde
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Ipecac Recordings / Soulfood
- Release:
- 15.05.2012
- Vitriolize
- Mitch
- Hun
- Area
- Way Down
- Harmonic
- Exuberance
- Sex Amp
- Amoniac
- Held In Light
- Dome
- Killion
- Mezzanine
- Mild
- Meditation
Visionen und Emotionen. In Wort und Bildern nicht zu schildern: PHILM
Neben den Alben zwei bis sieben von einem gewissen Jeff Ullmer (SACRED BLADE/OTHYRWORLD) und dem wahrscheinlich nie erscheinenden "Mathematics"-Release der Zappelphillipisten von WATCHTOWER, ist dieses Album hier das von mir am gierigsten erwartete Scheibchen der letzten Jahre. Der Grund ist simpel: Alles, was aus der musikalischen Feder von Gerry Nestler bislang auf die Menschheit losgelassen wurde, war schlichtweg großartig. Sei es CIVIL DEFIANCE, die einzige Band, der es gelungen ist, auf einer Tour mit der besten Liveband – namentlich PSYCHOTIC WALTZ – völlig abzuräumen, sei es KKLEQ MUZZIL, deren schwer erhältliches Album "M" ebenfalls völlig beeindruckend klingt. Gerry Nestler ist ein Visionär, ein ohne Schranken denkender Komponist, der immer aktiv ist. Völlig egal, ob das erfolgreich ist oder nicht. Die Hauptsache ist die Kreativität, das Herauslassen. So hat er sich bereits im Jahr 1995 mit Schlagzeug-Legende Dave Lombardo zusammengefunden und PHILM gegründet. In den letzten 17 Jahren war man immer wieder mit verschiedenen Bassisten aktiv, ist aufgetreten, kam aber allein aufgrund des sehr vollen Terminkalenders von Dave nie dazu, ein Album aufzunehmen. Nun ist es aber endlich so weit. Als dritten Mann an Bord hören wir den WAR-Bassisten Pancho Tomaselli und veröffentlicht wird "Harmonic" auf Ipecac, dem Label von Mike Patton und Greg Werckman, welches hauptsächlich extrem schräge Musik unterstützt. Passt also alles.
Wer aufgrund des prominenten Schlagzeugers nun Thrash Metal erwartet, ist komplett schief gewickelt. Wer die Aktivitäten von Mister Lombardo in den letzten Jahren aber mit offenen Augen verfolgt, wird wissen, dass der gute Mann unter anderem auch mit FANTOMAS und John Zorn aufgenommen hat. Insofern ist die Verwunderung über die musikalische Ausrichtung von PHILM nicht so groß. Auf den fünfzehn Titeln fährt das Trio nämlich eine Bandbreite auf, die andere Bands während einer jahrelangen Diskographie nicht auf die Reihe bekommen. Das Schöne daran ist der Umstand, dass PHILM trotz dieser Vielseitigkeit immer genau nur nach PHILM klingen. Und wie klingt das nun? Ich winde mich mehr oder weniger geschickt um diese Antwort herum.
Eröffnet wird das Album mit drei energischen Wutbratzen, bei denen sofort die hektische Rhythmik ins Ohr sticht. Schon beim wütenden Opener 'Vitriolize' wird der Adrenalinspiegel des Hörers auf einen Höhepunkt gebracht, den er eine Weile lang nicht mehr verlassen kann. Wer 'Man On Fire' von CIVIL DEFIANCE im Ohr hat – und das sollte bei jedem der Fall sein -, der ahnt, wovon ich schreibe. Und wer beim zappeligen 'Area' nicht ekstatisch mit den Gliedmaßen wedelt, hat eine Wahrnehmungsstörung.
Erst mit dem cool-jazzigen 'Way Down' gibt es eine verrauchte Verschnaufpause. Musik für eine Cajun-Bar: Man hat gerade einen selbst geangelten Alligator auf den Grill geschmissen, jodelt sich einen Drink runter und entspannt zu exakt dieser Nummer. Gerry singt hier mit so viel Gefühl, dass man Schweißperlen unter den Achseln bekommt. In dieser Halb-Instrumental-Jam-Session zeigt das Trio, welches blinde Verständnis unter ihnen herrscht. Während des völlig frei schwebenden Gitarrensolos, soliert der Tieftöner gleichberechtigt nebenher und so ganz nebenher schwingt man über den kurzen Titelsong in 'Exuberance', welches irgendwie gar keinen Anfang zu haben scheint. Free-Prog-Core. Offene Gitarrenklänge über einem solierenden Bass und dazu ein sich immer mehr steigernder Drumbeat als Beginn einer knapp acht Minuten langen Nummer. Dass halte ich mal für gewagt. Aber bei PHILM sind solche Passagen Programm, ohne programmatisch zu wirken. Alles hat einen sehr natürlichen Fluss. Nichts wirkt aufgesetzt oder erzwungen. Man hört drei Musiker mit unterschiedlichen Ideen, die gemeinsam ein Gefühl ausdrücken. Quasi ein dreifach verstärktes Gefühl. Daher auch die Intensität.
Und intensiv ist "Harmonic". Über seine gesamte Distanz von annähernd 70 Minuten. Danach ist man vitalisiert und frisch, da es den Herren gelingt, ihre Energie auf den Hörer zu übertragen. Man höre nur die fern gesteuerte Riffrakete 'Sex Amp', die kein anderes Ziel kennt als das Herz des Zuhörers. Der pulsierende Takt der Nummer, der sich wie ein Strudel immer weiter zu steigern scheint, ist hypnotisch. Man wird mitgerissen. Unweigerlich. Und 'Amoniac', ein weiterer Titel mit CIVIL-DEFIANCE-Parallelen, lässt dem Hörer ebenfalls keine Chance, sich zu lösen. Es ist wie ein Teufelskreis, aus dem man gar nicht entkommen möchte. In 'Held In Light' droht der Adrenalinspiegel zu splittern, so energisch brettern das Trio aus der Anlage heraus. Rhythmisch ist die Anspannung immer kurz vor dem Zerbersten. Man erwartet, dass einer der Beteiligten kurz zum Sauerstoffzelt getragen wird, um sich neues Leben inhalieren zu lassen. Wahrscheinlich ist es einfach die unglaubliche Dichte, die die beiden Rhythmusmusiker hier erzeugen, die das Gehörte so unfassbar energisch erscheinen lässt.
Die omnipräsente Bassdröhnung im Wasserfall namens 'Dome' lässt alle Ohrläppchen im Fahrtwind nach innen klappen und erst das trippende Doppel 'Killion'/'Mezzanine' sorgt für Entspannung. Lässige Jazzrhythmik unterlegt flirrende Saitenemotionik. Oh, das Wort gibt es nicht? Solche Musik eigentlich auch nicht. Damit der Hörer aber den richtigen bleibenden Eindruck von "Harmonic" im Ohr behält gibt es kurz vor Toreschluss mit dem elegant betitelten 'Mild' noch einmal mächtig vor den Latz, nur um im abschließenden 'Meditation' mit einer beschwörenden Gitarrenmelodie dafür zu sorgen, dass man die "Repeat"-Funktion aktiviert hat.
Ich denke, es dürfte klar geworden sein, wer dieses Album haben muss. (Jeder? - PK) Ich weise genau diejenigen noch einmal dringend darauf hin, dass sie die beiden CIVIL DEFIANCE Alben benötigen.
PHILM ist die von mir erhoffte Sensation, die alle Grenzen sprengt, musikalisch über allen Subgenres thront und die in einigen Dekaden als Meilenstein angesehen werden wird. Alles andere wäre albern.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Holger Andrae